Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Eisenstück. Im Uebrigen sei nur noch erwähnt, daß der Steuercensus des ac¬
tiven Wahlrechtes von 3 Thlr. für die nicht großen Städte aus 2 Thlr. und des¬
gleichen bei der Wahlfähigreit im Bauernstande herabgesetzt wurde; beide
Gesetze wurden nut 55 gegen 12 und 54 gegen 13 Stimmen im Wesentlichen,
unter Anderem mit Ablehnung der drei Mitglieder der ersten Kammer, ange¬
nommen. Diesen Beschlüssen trat die erste Kammer in der Hauptsache bei.

So war denn diese wichtigste Aufgabe des Landtags in einer Weise ge¬
löst, die mit Recht in der zweiten Kammer als eine Kriegserklärung gegen
die öffentliche Meinung bezeichnet wurde, die in Sachsen zur Zeit zwar noch
ein sehr schwacher Gegner ist, aber mit der Zeit doch den Krieg mit mehr
Nachdruck führen dürfte, und deren bisherige Schwäche zum guten Theile
an diesem Ergebnisse die Schuld trügt. Denn es hieße vielen Abgeordneten,
namentlich den sogenannten Altliberalen, großes Unrecht thun, wenn man dieses
Wahlgesetz für ihr politisches Ideal halten wollte; allein bei der Erstorbenheit
des politischen Geistes im Volke fehlte jeder geistige und moralische Druck auf
diejenigen Elemente der Kammer, die aus dem Besitze ihrer bisherigen Vor¬
rechte gesetzt werden sollten, und es war klar ersichtlich, daß diese Elemente,
welche über die große Majorität verfügen, freiwillig keinen Verzicht bringen
würden; die Sache gestaltete sich bei ihnen daher zur einer Zweckmüßigketts-
Nage: ob geringe Vortheile als Abschlagszahlung annehmen oder nicht?
und mit einem gewissen, durch langjährige Erfahrung in Sachsen bestärkten
Skepticismus gegen die Wichtigkeit und selbständige Macht eines Wahlgesetzes
haben sie sich für das Erstere entschieden. Wir können diesen Entschluß nicht
billigen, ober doch wenigstens verstehen und würdigen.

Man mag in gewissen Kreisen außerordentlich befriedigt gewesen sein von
diesen Ergebnissen der Wahlreform. Wir glauben, daß dies eine etwas kurz-
I'adlige Freude ist, denn es ist Sachsen nun damit unzweideutig in einen Ent¬
wicklungsproceß eingetreten, der sich eben in allen deutschen Ländern vollzieht:
^e enge Verbindung innerer Reformen mit der deutschen Frage, und es ist
U' diese Entscheidung der Wahlreformfrage unter für den Particularismus
"ick ungünstigeren Verhältnissen eingetreten, als viele andere Länder. Während
'u einigen Mittelstaaten ein liberaler Wechsel des Ministeriums eingetreten ist
""d z. L. in Bayern der Particularismus hieraus große Kraft geschöpft hat,
'se in Sachsen Reaction und Particularismus in unlösliche Verbindung gebracht
worden. Wie ehedem im Jahre 1850 der Bruch mit den Kammern aus An.
^ der deutschen Frage entstand, so ist auch bei der jetzigen Wahlreform der
^tende Gedanke deutlich erkennbar gewesen: jeder Schutt zum Liberalismus
^ eine Niederlage des Particularismus, und so ist denn den liberalen Parteien
Beweis geführt worden: man kann nicht liberal sein, ohne national gesinnt
iU sein! Die Gegensätze schärfen sich immer mehr, und der nationale Gesichts-'


Eisenstück. Im Uebrigen sei nur noch erwähnt, daß der Steuercensus des ac¬
tiven Wahlrechtes von 3 Thlr. für die nicht großen Städte aus 2 Thlr. und des¬
gleichen bei der Wahlfähigreit im Bauernstande herabgesetzt wurde; beide
Gesetze wurden nut 55 gegen 12 und 54 gegen 13 Stimmen im Wesentlichen,
unter Anderem mit Ablehnung der drei Mitglieder der ersten Kammer, ange¬
nommen. Diesen Beschlüssen trat die erste Kammer in der Hauptsache bei.

So war denn diese wichtigste Aufgabe des Landtags in einer Weise ge¬
löst, die mit Recht in der zweiten Kammer als eine Kriegserklärung gegen
die öffentliche Meinung bezeichnet wurde, die in Sachsen zur Zeit zwar noch
ein sehr schwacher Gegner ist, aber mit der Zeit doch den Krieg mit mehr
Nachdruck führen dürfte, und deren bisherige Schwäche zum guten Theile
an diesem Ergebnisse die Schuld trügt. Denn es hieße vielen Abgeordneten,
namentlich den sogenannten Altliberalen, großes Unrecht thun, wenn man dieses
Wahlgesetz für ihr politisches Ideal halten wollte; allein bei der Erstorbenheit
des politischen Geistes im Volke fehlte jeder geistige und moralische Druck auf
diejenigen Elemente der Kammer, die aus dem Besitze ihrer bisherigen Vor¬
rechte gesetzt werden sollten, und es war klar ersichtlich, daß diese Elemente,
welche über die große Majorität verfügen, freiwillig keinen Verzicht bringen
würden; die Sache gestaltete sich bei ihnen daher zur einer Zweckmüßigketts-
Nage: ob geringe Vortheile als Abschlagszahlung annehmen oder nicht?
und mit einem gewissen, durch langjährige Erfahrung in Sachsen bestärkten
Skepticismus gegen die Wichtigkeit und selbständige Macht eines Wahlgesetzes
haben sie sich für das Erstere entschieden. Wir können diesen Entschluß nicht
billigen, ober doch wenigstens verstehen und würdigen.

Man mag in gewissen Kreisen außerordentlich befriedigt gewesen sein von
diesen Ergebnissen der Wahlreform. Wir glauben, daß dies eine etwas kurz-
I'adlige Freude ist, denn es ist Sachsen nun damit unzweideutig in einen Ent¬
wicklungsproceß eingetreten, der sich eben in allen deutschen Ländern vollzieht:
^e enge Verbindung innerer Reformen mit der deutschen Frage, und es ist
U' diese Entscheidung der Wahlreformfrage unter für den Particularismus
"ick ungünstigeren Verhältnissen eingetreten, als viele andere Länder. Während
'u einigen Mittelstaaten ein liberaler Wechsel des Ministeriums eingetreten ist
""d z. L. in Bayern der Particularismus hieraus große Kraft geschöpft hat,
'se in Sachsen Reaction und Particularismus in unlösliche Verbindung gebracht
worden. Wie ehedem im Jahre 1850 der Bruch mit den Kammern aus An.
^ der deutschen Frage entstand, so ist auch bei der jetzigen Wahlreform der
^tende Gedanke deutlich erkennbar gewesen: jeder Schutt zum Liberalismus
^ eine Niederlage des Particularismus, und so ist denn den liberalen Parteien
Beweis geführt worden: man kann nicht liberal sein, ohne national gesinnt
iU sein! Die Gegensätze schärfen sich immer mehr, und der nationale Gesichts-'


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0337" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112307"/>
          <p xml:id="ID_1090" prev="#ID_1089"> Eisenstück. Im Uebrigen sei nur noch erwähnt, daß der Steuercensus des ac¬<lb/>
tiven Wahlrechtes von 3 Thlr. für die nicht großen Städte aus 2 Thlr. und des¬<lb/>
gleichen bei der Wahlfähigreit im Bauernstande herabgesetzt wurde; beide<lb/>
Gesetze wurden nut 55 gegen 12 und 54 gegen 13 Stimmen im Wesentlichen,<lb/>
unter Anderem mit Ablehnung der drei Mitglieder der ersten Kammer, ange¬<lb/>
nommen.  Diesen Beschlüssen trat die erste Kammer in der Hauptsache bei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1091"> So war denn diese wichtigste Aufgabe des Landtags in einer Weise ge¬<lb/>
löst, die mit Recht in der zweiten Kammer als eine Kriegserklärung gegen<lb/>
die öffentliche Meinung bezeichnet wurde, die in Sachsen zur Zeit zwar noch<lb/>
ein sehr schwacher Gegner ist, aber mit der Zeit doch den Krieg mit mehr<lb/>
Nachdruck führen dürfte, und deren bisherige Schwäche zum guten Theile<lb/>
an diesem Ergebnisse die Schuld trügt. Denn es hieße vielen Abgeordneten,<lb/>
namentlich den sogenannten Altliberalen, großes Unrecht thun, wenn man dieses<lb/>
Wahlgesetz für ihr politisches Ideal halten wollte; allein bei der Erstorbenheit<lb/>
des politischen Geistes im Volke fehlte jeder geistige und moralische Druck auf<lb/>
diejenigen Elemente der Kammer, die aus dem Besitze ihrer bisherigen Vor¬<lb/>
rechte gesetzt werden sollten, und es war klar ersichtlich, daß diese Elemente,<lb/>
welche über die große Majorität verfügen, freiwillig keinen Verzicht bringen<lb/>
würden; die Sache gestaltete sich bei ihnen daher zur einer Zweckmüßigketts-<lb/>
Nage: ob geringe Vortheile als Abschlagszahlung annehmen oder nicht?<lb/>
und mit einem gewissen, durch langjährige Erfahrung in Sachsen bestärkten<lb/>
Skepticismus gegen die Wichtigkeit und selbständige Macht eines Wahlgesetzes<lb/>
haben sie sich für das Erstere entschieden. Wir können diesen Entschluß nicht<lb/>
billigen, ober doch wenigstens verstehen und würdigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1092" next="#ID_1093"> Man mag in gewissen Kreisen außerordentlich befriedigt gewesen sein von<lb/>
diesen Ergebnissen der Wahlreform. Wir glauben, daß dies eine etwas kurz-<lb/>
I'adlige Freude ist, denn es ist Sachsen nun damit unzweideutig in einen Ent¬<lb/>
wicklungsproceß eingetreten, der sich eben in allen deutschen Ländern vollzieht:<lb/>
^e enge Verbindung innerer Reformen mit der deutschen Frage, und es ist<lb/>
U' diese Entscheidung der Wahlreformfrage unter für den Particularismus<lb/>
"ick ungünstigeren Verhältnissen eingetreten, als viele andere Länder. Während<lb/>
'u einigen Mittelstaaten ein liberaler Wechsel des Ministeriums eingetreten ist<lb/>
""d z. L. in Bayern der Particularismus hieraus große Kraft geschöpft hat,<lb/>
'se in Sachsen Reaction und Particularismus in unlösliche Verbindung gebracht<lb/>
worden. Wie ehedem im Jahre 1850 der Bruch mit den Kammern aus An.<lb/>
^ der deutschen Frage entstand, so ist auch bei der jetzigen Wahlreform der<lb/>
^tende Gedanke deutlich erkennbar gewesen: jeder Schutt zum Liberalismus<lb/>
^ eine Niederlage des Particularismus, und so ist denn den liberalen Parteien<lb/>
Beweis geführt worden: man kann nicht liberal sein, ohne national gesinnt<lb/>
iU sein! Die Gegensätze schärfen sich immer mehr, und der nationale Gesichts-'</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0337] Eisenstück. Im Uebrigen sei nur noch erwähnt, daß der Steuercensus des ac¬ tiven Wahlrechtes von 3 Thlr. für die nicht großen Städte aus 2 Thlr. und des¬ gleichen bei der Wahlfähigreit im Bauernstande herabgesetzt wurde; beide Gesetze wurden nut 55 gegen 12 und 54 gegen 13 Stimmen im Wesentlichen, unter Anderem mit Ablehnung der drei Mitglieder der ersten Kammer, ange¬ nommen. Diesen Beschlüssen trat die erste Kammer in der Hauptsache bei. So war denn diese wichtigste Aufgabe des Landtags in einer Weise ge¬ löst, die mit Recht in der zweiten Kammer als eine Kriegserklärung gegen die öffentliche Meinung bezeichnet wurde, die in Sachsen zur Zeit zwar noch ein sehr schwacher Gegner ist, aber mit der Zeit doch den Krieg mit mehr Nachdruck führen dürfte, und deren bisherige Schwäche zum guten Theile an diesem Ergebnisse die Schuld trügt. Denn es hieße vielen Abgeordneten, namentlich den sogenannten Altliberalen, großes Unrecht thun, wenn man dieses Wahlgesetz für ihr politisches Ideal halten wollte; allein bei der Erstorbenheit des politischen Geistes im Volke fehlte jeder geistige und moralische Druck auf diejenigen Elemente der Kammer, die aus dem Besitze ihrer bisherigen Vor¬ rechte gesetzt werden sollten, und es war klar ersichtlich, daß diese Elemente, welche über die große Majorität verfügen, freiwillig keinen Verzicht bringen würden; die Sache gestaltete sich bei ihnen daher zur einer Zweckmüßigketts- Nage: ob geringe Vortheile als Abschlagszahlung annehmen oder nicht? und mit einem gewissen, durch langjährige Erfahrung in Sachsen bestärkten Skepticismus gegen die Wichtigkeit und selbständige Macht eines Wahlgesetzes haben sie sich für das Erstere entschieden. Wir können diesen Entschluß nicht billigen, ober doch wenigstens verstehen und würdigen. Man mag in gewissen Kreisen außerordentlich befriedigt gewesen sein von diesen Ergebnissen der Wahlreform. Wir glauben, daß dies eine etwas kurz- I'adlige Freude ist, denn es ist Sachsen nun damit unzweideutig in einen Ent¬ wicklungsproceß eingetreten, der sich eben in allen deutschen Ländern vollzieht: ^e enge Verbindung innerer Reformen mit der deutschen Frage, und es ist U' diese Entscheidung der Wahlreformfrage unter für den Particularismus "ick ungünstigeren Verhältnissen eingetreten, als viele andere Länder. Während 'u einigen Mittelstaaten ein liberaler Wechsel des Ministeriums eingetreten ist ""d z. L. in Bayern der Particularismus hieraus große Kraft geschöpft hat, 'se in Sachsen Reaction und Particularismus in unlösliche Verbindung gebracht worden. Wie ehedem im Jahre 1850 der Bruch mit den Kammern aus An. ^ der deutschen Frage entstand, so ist auch bei der jetzigen Wahlreform der ^tende Gedanke deutlich erkennbar gewesen: jeder Schutt zum Liberalismus ^ eine Niederlage des Particularismus, und so ist denn den liberalen Parteien Beweis geführt worden: man kann nicht liberal sein, ohne national gesinnt iU sein! Die Gegensätze schärfen sich immer mehr, und der nationale Gesichts-'

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/337
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/337>, abgerufen am 03.07.2024.