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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Weise gewissen Klassen ein Uebergewicht im Staate eingeräumt war, welches
mit den realen Verhältnissen im schreiendsten Widerspruche stand, die Haupt¬
sache war der Kampf des Standes gegen den Stand, das Begehren endlichen
Ausgebens der maaßlosen Bevorrechtung des großen Grundbesitzes, der ohne
irgend erheblichen wirthschaftlichen, oder administrativen, oder socialen, oder gar
geistigen Einfluß im Lande zur Belohnung seines ConservatismNs von sehr
Zweifelhaftem Werthe die Entscheidung der ganzen legislativen Entwicklung
Sachsens in Händen hielt. Was konnte es nun helfen, wenn bei der Wahl
der städtischen Abgeordneten, die überdies; noch eine indirecte ist, einige Men¬
schen mehr sich einbilden konnten, einen Abgeordneten gewählt zu haben, wenn
das breiter gewordene Wahlrecht zuletzt doch nur wieder 25 städtische Abge¬
ordnete ergab; klingt es nicht fast wie Ironie, wenn man davon sprach, daß
"bei der eminenten Entwickelung der sächsischen Industrie eine größere Betheiligung
derselben und überhaupt des mobilen Vermögens neben dein Grundbesitze bei
der Landesvertretung gerechtfertigt erscheine", und wenn sie doch der reell er¬
höhte Einfluß des mobilen Vermögens (von Personen wird wohlweislich gar
nicht gesprochen), nur auf fünf Vertreter des Handels- und Fabrikstandes be^
läuft, welche gegenüber der geschlosseuen Phalanx des Grundbesitzes von gar keiner
entscheidenden Bedeutung werden können, und wenn die übrigen gesellschaft¬
lichen Kreise, welche das Unglück haben, nicht dem Handels- und Fabrikstande
anzugehören, leer ausgehen. In der That, das war ein Kunststückchen von
so wenig geistreicher Art. daß wir den Herrn Autor kaum darum beneiden
können. Wenn die großen Städte Dresden und Leipzig notorisch mehr Grund¬
steuern zahlten, als alle Rittergutsbesitzer zusammengenommen, so hatten sie
nun den Trost, daß ihre Abgeordneten jetzt von einigen Schultern mehr
auf das glatte Parquet des Ständesaales gesetzt wurden, daß ihre Stimme
dort auch nicht mehr zählte als bisher, das konnte nur böswilligen Men¬
schen ein Gegenstand der Beschwerde sein. Mit dem Steuercensus von 3 Thlr.
für das active Wahlrecht hatte es außer dem seine eigenthümliche Bewandt-
niß; es wurde sofort nachgewiesen, daß dadurch das Wahlrecht nur einer
verschwindend kleinen Anzahl zu Gute kommen würde, und daß bei dem Weg¬
falle des Erfordernisses des Bürgerrechtes einen großen Bruchtheil hiervon die
Staatsbeamten bilden würden.

Vor Allem aber war es die strenge Aufrechterhaltung des Bezirkszwanges,
welche das neue Gewand zur Zwangsjacke aller Intelligenz und politischen Entwick¬
lung machte. Es wäre überflüssige Mühe, über Vortheile und Nachtheile des
Bezirkszwanges noch ein Wort zu verlieren, wir befinden uns nun einmal noch auf
demselben politischen Niveau wie ehedem die Bundescommissäre in Kurhessen.
Noch immer dieselbe Hetzjagd gegen alle Intelligenz, noch immer derselbe
Stolz gegen Alle, welche unter Constitutionalismus etwas Anderes verstehen.


Weise gewissen Klassen ein Uebergewicht im Staate eingeräumt war, welches
mit den realen Verhältnissen im schreiendsten Widerspruche stand, die Haupt¬
sache war der Kampf des Standes gegen den Stand, das Begehren endlichen
Ausgebens der maaßlosen Bevorrechtung des großen Grundbesitzes, der ohne
irgend erheblichen wirthschaftlichen, oder administrativen, oder socialen, oder gar
geistigen Einfluß im Lande zur Belohnung seines ConservatismNs von sehr
Zweifelhaftem Werthe die Entscheidung der ganzen legislativen Entwicklung
Sachsens in Händen hielt. Was konnte es nun helfen, wenn bei der Wahl
der städtischen Abgeordneten, die überdies; noch eine indirecte ist, einige Men¬
schen mehr sich einbilden konnten, einen Abgeordneten gewählt zu haben, wenn
das breiter gewordene Wahlrecht zuletzt doch nur wieder 25 städtische Abge¬
ordnete ergab; klingt es nicht fast wie Ironie, wenn man davon sprach, daß
»bei der eminenten Entwickelung der sächsischen Industrie eine größere Betheiligung
derselben und überhaupt des mobilen Vermögens neben dein Grundbesitze bei
der Landesvertretung gerechtfertigt erscheine", und wenn sie doch der reell er¬
höhte Einfluß des mobilen Vermögens (von Personen wird wohlweislich gar
nicht gesprochen), nur auf fünf Vertreter des Handels- und Fabrikstandes be^
läuft, welche gegenüber der geschlosseuen Phalanx des Grundbesitzes von gar keiner
entscheidenden Bedeutung werden können, und wenn die übrigen gesellschaft¬
lichen Kreise, welche das Unglück haben, nicht dem Handels- und Fabrikstande
anzugehören, leer ausgehen. In der That, das war ein Kunststückchen von
so wenig geistreicher Art. daß wir den Herrn Autor kaum darum beneiden
können. Wenn die großen Städte Dresden und Leipzig notorisch mehr Grund¬
steuern zahlten, als alle Rittergutsbesitzer zusammengenommen, so hatten sie
nun den Trost, daß ihre Abgeordneten jetzt von einigen Schultern mehr
auf das glatte Parquet des Ständesaales gesetzt wurden, daß ihre Stimme
dort auch nicht mehr zählte als bisher, das konnte nur böswilligen Men¬
schen ein Gegenstand der Beschwerde sein. Mit dem Steuercensus von 3 Thlr.
für das active Wahlrecht hatte es außer dem seine eigenthümliche Bewandt-
niß; es wurde sofort nachgewiesen, daß dadurch das Wahlrecht nur einer
verschwindend kleinen Anzahl zu Gute kommen würde, und daß bei dem Weg¬
falle des Erfordernisses des Bürgerrechtes einen großen Bruchtheil hiervon die
Staatsbeamten bilden würden.

Vor Allem aber war es die strenge Aufrechterhaltung des Bezirkszwanges,
welche das neue Gewand zur Zwangsjacke aller Intelligenz und politischen Entwick¬
lung machte. Es wäre überflüssige Mühe, über Vortheile und Nachtheile des
Bezirkszwanges noch ein Wort zu verlieren, wir befinden uns nun einmal noch auf
demselben politischen Niveau wie ehedem die Bundescommissäre in Kurhessen.
Noch immer dieselbe Hetzjagd gegen alle Intelligenz, noch immer derselbe
Stolz gegen Alle, welche unter Constitutionalismus etwas Anderes verstehen.


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[0335] Weise gewissen Klassen ein Uebergewicht im Staate eingeräumt war, welches mit den realen Verhältnissen im schreiendsten Widerspruche stand, die Haupt¬ sache war der Kampf des Standes gegen den Stand, das Begehren endlichen Ausgebens der maaßlosen Bevorrechtung des großen Grundbesitzes, der ohne irgend erheblichen wirthschaftlichen, oder administrativen, oder socialen, oder gar geistigen Einfluß im Lande zur Belohnung seines ConservatismNs von sehr Zweifelhaftem Werthe die Entscheidung der ganzen legislativen Entwicklung Sachsens in Händen hielt. Was konnte es nun helfen, wenn bei der Wahl der städtischen Abgeordneten, die überdies; noch eine indirecte ist, einige Men¬ schen mehr sich einbilden konnten, einen Abgeordneten gewählt zu haben, wenn das breiter gewordene Wahlrecht zuletzt doch nur wieder 25 städtische Abge¬ ordnete ergab; klingt es nicht fast wie Ironie, wenn man davon sprach, daß »bei der eminenten Entwickelung der sächsischen Industrie eine größere Betheiligung derselben und überhaupt des mobilen Vermögens neben dein Grundbesitze bei der Landesvertretung gerechtfertigt erscheine", und wenn sie doch der reell er¬ höhte Einfluß des mobilen Vermögens (von Personen wird wohlweislich gar nicht gesprochen), nur auf fünf Vertreter des Handels- und Fabrikstandes be^ läuft, welche gegenüber der geschlosseuen Phalanx des Grundbesitzes von gar keiner entscheidenden Bedeutung werden können, und wenn die übrigen gesellschaft¬ lichen Kreise, welche das Unglück haben, nicht dem Handels- und Fabrikstande anzugehören, leer ausgehen. In der That, das war ein Kunststückchen von so wenig geistreicher Art. daß wir den Herrn Autor kaum darum beneiden können. Wenn die großen Städte Dresden und Leipzig notorisch mehr Grund¬ steuern zahlten, als alle Rittergutsbesitzer zusammengenommen, so hatten sie nun den Trost, daß ihre Abgeordneten jetzt von einigen Schultern mehr auf das glatte Parquet des Ständesaales gesetzt wurden, daß ihre Stimme dort auch nicht mehr zählte als bisher, das konnte nur böswilligen Men¬ schen ein Gegenstand der Beschwerde sein. Mit dem Steuercensus von 3 Thlr. für das active Wahlrecht hatte es außer dem seine eigenthümliche Bewandt- niß; es wurde sofort nachgewiesen, daß dadurch das Wahlrecht nur einer verschwindend kleinen Anzahl zu Gute kommen würde, und daß bei dem Weg¬ falle des Erfordernisses des Bürgerrechtes einen großen Bruchtheil hiervon die Staatsbeamten bilden würden. Vor Allem aber war es die strenge Aufrechterhaltung des Bezirkszwanges, welche das neue Gewand zur Zwangsjacke aller Intelligenz und politischen Entwick¬ lung machte. Es wäre überflüssige Mühe, über Vortheile und Nachtheile des Bezirkszwanges noch ein Wort zu verlieren, wir befinden uns nun einmal noch auf demselben politischen Niveau wie ehedem die Bundescommissäre in Kurhessen. Noch immer dieselbe Hetzjagd gegen alle Intelligenz, noch immer derselbe Stolz gegen Alle, welche unter Constitutionalismus etwas Anderes verstehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/335>, abgerufen am 24.08.2024.