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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Ganz diesen Eigenschaften und Strebungen entspricht denn auch die Ge¬
setzesvorlage, welche er den Ständen bezüglich der Wahlreform gemacht, und
welche von diesen im Wesentlichen angenommen worden ist. Ohne Idee und
Charakter ist sie auf sorgfältige Conservirung derjenigen Elemente und Grund¬
sätze berechnet, welche dem Landtage seinen bureaukratisch-particularistischen
Charakter geben, und enthält nur einige Scheinconcessionen, um wenigstens
den Anschein zu gewinnen, als habe man "reformiren" wollen. -- Es hat
schon das sächsische Volk sich nicht überwinden können, diesen Vorlagen und den
darüber gepflogenen Verhandlungen der Stände irgendwelches regere Inter¬
esse zu widmen, wir halten es daher dem Charakter dieser Blätter um so
mehr angemessen, nur die Hauptgrundzüge zu berühren.

Die Vorlage zerfiel in zwei Gesetze, von denen das erste einige Abänderungen
der Verfassungsurkunde, das andere ein neues Wahlgesetz enthielt. Jenes
ließ den Kammern vollständig ihre bisherige ständische Zusammensetzung und
vermehrte nur die erste Kammer um drei vom Könige auf Lebenszeit zu er¬
nennende Mitglieder, und die zweite Kammer um fünf Vertreter des Handels¬
und Fabrikwesens. Das andere verschärfte, jedoch unter Wegfall des Erfor¬
dernisses der christlichen Religion, gewisse allgemeine Ausschlicßungsgründe vom
Stimmrechte, und traf bezüglich der Wahlen der Städte und auf dem Lande
folgende Abänderungen: 1) bez. der Städte: Wegfall des Erfordernisses der
Ansässigkeit und des Bürgerrechtes zur Stimmberechtigung und Wählbarkeit
als Wahlmann, und Herabsetzung des Census auf 2 Thlr. zur Stimmbe¬
rechtigung, Feststellung des Census für die Wählbarkeit als Abgeordneter auf
15 Thlr. directe Personalabgaben; 2) bez. des Bauernstandes: ebenfalls
Wegfall des Erfordernisses der Ansässigkeit zur Stimmberechtigung und M
Wählbarkeit als Wahlmann und als Abgeordneter, wofür im ersteren F"^
3 Thlr.. im zweiten 10 Thlr., im dritten 20 Thlr. directe Personalabgabc"
genügen sollen; und sodann Ausdehnung der Wählbarkeit über den Bauern¬
stand hinaus auf die Betreibung eines Fabrikgeschästcs auf dem flachen Lande-
Daneben aber war der Bezirkszwang strict aufrecht erhalten, in der Weise, daß
sowol der städtische als der bäuerliche Abgeordnete bereits seit drei Jahren un
Wahlbezirke ansässig oder als Gemeindemitglied wesentlich wohnhaft sein und
den angegebenen Steuerbetrag gezahlt haben muß.

Die Tendenz dieses ideenlosen Stückwerkes ist leicht zu erkennen. Me>"
wollte durch eine, übrigens doch ziemlich unbedeutende Ausdehnung des act>
ven und passiven Wahlrechtes bei gewissen Volksklassen die Täuschung erzeugen,
als ob ihr politischer Einfluß im Staate gestiegen sei; allein es war ja ewe
völlige Verdrehung der gegen den bisherigen Zustand gerichteten Beschwerde"'
wenn man das zur Hauptsache machte, daß das active und passive W"^"
nu eng gezogen sei: die Hauptbeschwerde war ja die, daß in tendenz-


Ganz diesen Eigenschaften und Strebungen entspricht denn auch die Ge¬
setzesvorlage, welche er den Ständen bezüglich der Wahlreform gemacht, und
welche von diesen im Wesentlichen angenommen worden ist. Ohne Idee und
Charakter ist sie auf sorgfältige Conservirung derjenigen Elemente und Grund¬
sätze berechnet, welche dem Landtage seinen bureaukratisch-particularistischen
Charakter geben, und enthält nur einige Scheinconcessionen, um wenigstens
den Anschein zu gewinnen, als habe man „reformiren" wollen. — Es hat
schon das sächsische Volk sich nicht überwinden können, diesen Vorlagen und den
darüber gepflogenen Verhandlungen der Stände irgendwelches regere Inter¬
esse zu widmen, wir halten es daher dem Charakter dieser Blätter um so
mehr angemessen, nur die Hauptgrundzüge zu berühren.

Die Vorlage zerfiel in zwei Gesetze, von denen das erste einige Abänderungen
der Verfassungsurkunde, das andere ein neues Wahlgesetz enthielt. Jenes
ließ den Kammern vollständig ihre bisherige ständische Zusammensetzung und
vermehrte nur die erste Kammer um drei vom Könige auf Lebenszeit zu er¬
nennende Mitglieder, und die zweite Kammer um fünf Vertreter des Handels¬
und Fabrikwesens. Das andere verschärfte, jedoch unter Wegfall des Erfor¬
dernisses der christlichen Religion, gewisse allgemeine Ausschlicßungsgründe vom
Stimmrechte, und traf bezüglich der Wahlen der Städte und auf dem Lande
folgende Abänderungen: 1) bez. der Städte: Wegfall des Erfordernisses der
Ansässigkeit und des Bürgerrechtes zur Stimmberechtigung und Wählbarkeit
als Wahlmann, und Herabsetzung des Census auf 2 Thlr. zur Stimmbe¬
rechtigung, Feststellung des Census für die Wählbarkeit als Abgeordneter auf
15 Thlr. directe Personalabgaben; 2) bez. des Bauernstandes: ebenfalls
Wegfall des Erfordernisses der Ansässigkeit zur Stimmberechtigung und M
Wählbarkeit als Wahlmann und als Abgeordneter, wofür im ersteren F"^
3 Thlr.. im zweiten 10 Thlr., im dritten 20 Thlr. directe Personalabgabc»
genügen sollen; und sodann Ausdehnung der Wählbarkeit über den Bauern¬
stand hinaus auf die Betreibung eines Fabrikgeschästcs auf dem flachen Lande-
Daneben aber war der Bezirkszwang strict aufrecht erhalten, in der Weise, daß
sowol der städtische als der bäuerliche Abgeordnete bereits seit drei Jahren un
Wahlbezirke ansässig oder als Gemeindemitglied wesentlich wohnhaft sein und
den angegebenen Steuerbetrag gezahlt haben muß.

Die Tendenz dieses ideenlosen Stückwerkes ist leicht zu erkennen. Me>"
wollte durch eine, übrigens doch ziemlich unbedeutende Ausdehnung des act>
ven und passiven Wahlrechtes bei gewissen Volksklassen die Täuschung erzeugen,
als ob ihr politischer Einfluß im Staate gestiegen sei; allein es war ja ewe
völlige Verdrehung der gegen den bisherigen Zustand gerichteten Beschwerde»'
wenn man das zur Hauptsache machte, daß das active und passive W"^"
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[0334] Ganz diesen Eigenschaften und Strebungen entspricht denn auch die Ge¬ setzesvorlage, welche er den Ständen bezüglich der Wahlreform gemacht, und welche von diesen im Wesentlichen angenommen worden ist. Ohne Idee und Charakter ist sie auf sorgfältige Conservirung derjenigen Elemente und Grund¬ sätze berechnet, welche dem Landtage seinen bureaukratisch-particularistischen Charakter geben, und enthält nur einige Scheinconcessionen, um wenigstens den Anschein zu gewinnen, als habe man „reformiren" wollen. — Es hat schon das sächsische Volk sich nicht überwinden können, diesen Vorlagen und den darüber gepflogenen Verhandlungen der Stände irgendwelches regere Inter¬ esse zu widmen, wir halten es daher dem Charakter dieser Blätter um so mehr angemessen, nur die Hauptgrundzüge zu berühren. Die Vorlage zerfiel in zwei Gesetze, von denen das erste einige Abänderungen der Verfassungsurkunde, das andere ein neues Wahlgesetz enthielt. Jenes ließ den Kammern vollständig ihre bisherige ständische Zusammensetzung und vermehrte nur die erste Kammer um drei vom Könige auf Lebenszeit zu er¬ nennende Mitglieder, und die zweite Kammer um fünf Vertreter des Handels¬ und Fabrikwesens. Das andere verschärfte, jedoch unter Wegfall des Erfor¬ dernisses der christlichen Religion, gewisse allgemeine Ausschlicßungsgründe vom Stimmrechte, und traf bezüglich der Wahlen der Städte und auf dem Lande folgende Abänderungen: 1) bez. der Städte: Wegfall des Erfordernisses der Ansässigkeit und des Bürgerrechtes zur Stimmberechtigung und Wählbarkeit als Wahlmann, und Herabsetzung des Census auf 2 Thlr. zur Stimmbe¬ rechtigung, Feststellung des Census für die Wählbarkeit als Abgeordneter auf 15 Thlr. directe Personalabgaben; 2) bez. des Bauernstandes: ebenfalls Wegfall des Erfordernisses der Ansässigkeit zur Stimmberechtigung und M Wählbarkeit als Wahlmann und als Abgeordneter, wofür im ersteren F"^ 3 Thlr.. im zweiten 10 Thlr., im dritten 20 Thlr. directe Personalabgabc» genügen sollen; und sodann Ausdehnung der Wählbarkeit über den Bauern¬ stand hinaus auf die Betreibung eines Fabrikgeschästcs auf dem flachen Lande- Daneben aber war der Bezirkszwang strict aufrecht erhalten, in der Weise, daß sowol der städtische als der bäuerliche Abgeordnete bereits seit drei Jahren un Wahlbezirke ansässig oder als Gemeindemitglied wesentlich wohnhaft sein und den angegebenen Steuerbetrag gezahlt haben muß. Die Tendenz dieses ideenlosen Stückwerkes ist leicht zu erkennen. Me>" wollte durch eine, übrigens doch ziemlich unbedeutende Ausdehnung des act> ven und passiven Wahlrechtes bei gewissen Volksklassen die Täuschung erzeugen, als ob ihr politischer Einfluß im Staate gestiegen sei; allein es war ja ewe völlige Verdrehung der gegen den bisherigen Zustand gerichteten Beschwerde»' wenn man das zur Hauptsache machte, daß das active und passive W"^" nu eng gezogen sei: die Hauptbeschwerde war ja die, daß in tendenz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/334>, abgerufen am 22.07.2024.