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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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vollwichtiger waren als ihre Offizicrspatentc, konnte ich nicht entscheiden. Trotz
aller Sorge war die Sterblichkeit groß und von den zuerst Angekommenen, den un¬
sterblichen Vierundfünszig, wie sie ein halbofficiellcr Artikel einmal nannte, war schon
über die Hälfte todt. Die Gefechte waren weit weniger mörderisch als das Klima
Granada's, das von jeher einen schlechten Ruf hatte. Die Nordländer litten von
der Hitze und den angestrengten Märschen. Das Campiren des Nachts im Freien,
die Regen, die ungewohnte Nahrung, schlechtes Trinkwasser und das Uebermaaß gei¬
stiger Getränke brachten die Konstitution herunter. Ein Marsch von 4—5 deutschen
Meilen zu Fuß mit Waffen und Munition ist unter solchen Umständen schon eine
außerordentliche Anstrengung. Die Unzufriedenheit war groß und Desertion häufig,
die Ausreißer wurden verfolgt, Patrouillen ausgeschickt, Preise auf das Einbringen
ausgesetzt und ausführliche Steckbriefe in die Zeitung eingerückt, in denen, außer
einer genauen Persons- und Charakterschilderung, auch das Gewicht der Deserteure
angegeben wurde.

Während meines Aufenthaltes, der sich durch den Umstand, daß beide Dampfer
nach San Carlos stationirt wurden, um Verstärkungen aus Nordamerika abzuwar¬
ten, bedeutend verlängerte, gab es einige Scenen von drastischen Effect; die erste
wurde durch einen Mäßigkeitsapostel hervorgerufen, einen Priester der anglicanischen
Kirche, welcher die Flibusticrsitten reformiren wollte. Schon die Nachricht, daß ein
Tcatotaler angekommen sei, verursachte im Lager große Heiterkeit, und als er zu
einem Meeting aufforderte, um den Leuten das Abscheuliche des Branntweintrinkens
vorzustellen, brach ein allgemeiner Jubel aus, nicht über die gute Gelegenheit, sich
zu reformiren, sondern über das Vergnügen, das man sich von dem Meeting ver¬
sprach. Nach der Parade hatte sich beinahe die ganze Garnison nach und nach
bei der Hauptkirche in erwartungsvollen Gruppen eingefunden. Der Apostel stieg
auf die Stufen und legte zuerst ein politisches Glaubensbekenntniß ab; er erzählte
ihnen, daß auch er ein Uankce, von der Nothwendigkeit der Vergrößerung ihres
Vaterlandes durchdrungen und von dem glücklichen Erfolg der großen National¬
unternehmung, die sie begonnen, überzeugt sei, sie sollten Zutrauen zu ihm haben,
denn er sei in seinem Herzen ein Flibustier wie sie. Dieser Theil der Harangue
wurde mit ungetheilten Beifall aufgenommen. Im zweiten Theile seiner Rede be¬
schrieb er die Nachtheile des Branntweintrinkens, was mit Kopfschütteln, unartigen
Bemerkungen und Ausrufen der Verwunderung begleitet wurde. Als er im dritten
Theile mit der Gründlichkeit eines deutschen Hydropathen die Vortheile und An¬
nehmlichkeiten des Wasscrtrintens für Leib und Seele in diesem Erdenleben und der
Ewigkeit zu rühmen anfing, war kein Bleiben. Ein Loblied ans das Wasser, das
etwas lang war und das er am Schlüsse mit lauter Stimme sang, wurde kaum
"och von einem Dutzend Zuhörer angehört. Die ungeheure Majorität hatte sich
leise fortgeschlichen oder laut lärmend entfernt, um in ven Branntweinschenken ent¬
schiedene Opposition zu machen. Unser Mäßigkeitsapostel war über sein gänzliches
Fiasco fo verblüfft, daß er erklärte, nach Kalifornien gehen zu wollen.

An einem Abend gab es zur Siegesfeier eines Gefechtes, von dem aber nur
das officielle Journal etwas wußte, großes Theater. Ein großer Saal war in


Grenzboten III. 1661. 4t)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/323>, abgerufen am 08.01.2025.