Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"ach mehreren Anführungen in den übrigen Tractaten nur eine neue Auflage
eines vor 1630 erschienenen Werkchens zu sein. Außerdem erwähnt der Ver¬
fasser noch ein Werk von sich mit dem Titel "Christianus", dessen ich aber
nicht habe habhaft werden können. Die Form der Typen, das Papier, der
Druck überhaupt scheinen darzuthun, daß alle diese genannten Tractate des
Pseudonymen Lebendes in den Niederlanden gedruckt wurden. -- Man wird
nun von einem Mystiker nicht erwarten, daß er feine Anschauungen in ratio¬
nellen Systemen entwickele und im Gegensatze zu der herrschenden Dogmcttck
nun auch das Netz seiner Speculation über das ganze Bereich des praktischen
Lebens auswerfe. Dazu ist sein ganzes Philosophiren zu willkürlich, zu sehr
an die wechselnde innere Anschauung gebunden, die ja doch immer den An¬
spruch erheben muß, für den Ausdruck der vollen und lebendigen Göttinn.gte.t
SU gellen. Daher gelingt es ebenso wenig wie bei Böhme die Anschauungen
unsers Unbekannten in em wohl ausgelegtes Fachsystem zu bringen, wenn wir
auch hervorheben müssen, daß bei der größeren Gedantenklarhcit und der ge¬
ringeren Gemüthsfülle, die unser Paulus besitzt, der rationelle Zusammenhang
seltener verloren gehl, und eine gewisse Planmäßigkeit der Anordnung, die
freilich durch Wiederholungen immer noch häufig gestört wird, in der That
nicht verkannt werden kann.

Wir beginnen unsere Darstellung mit den speculativen Grundlagen des
Mystikers: Gott ist Jesse. ein Esse und Wesen, nämlich ein Wesen aller We¬
sen, d. i. Alles in Allem. Alles, was außer ihm ist. hat einen sich selbst
Unerkannten Abgrund und ist Nichts. In Gott ist kein Nicht, da er 'AM >n
Allein ist, wohl aber ist rc> Nicht Princip der Creatur, die ja aus dem Nichts
>n ihren eignen Anfang, der da kann gemessen, gewogen und gezählt werden,
gesetzt worden ist. Durch das Wort der Schöpfung ist das Nicht in ein Et-
^as, das Unsichtbare in ein sichtbares gestellt worden. Das Auge>chaffene
Lottes ist Alles in Allem gewesen und bleibt es bis in Ewigkeit; das Unge¬
schaffene der Creatur ist aus Nichts ein Etwas geworden durch pas^Wort der
Schöpfung und wird wieder zu Nichts werden, wenn das Wort der Schöpfung
ihm genommen wird. Das Unsichtbare. Ungeschaffene, Anerkannte des
Satans ist jedoch ein solcher Abgrund, daß es das Nichts der Creatur weit
^"trifft, da Gott aus demselben keine Schöpfung hervorrufen kann, wie aus
Nicht der Creatur. Denn der Bösewicht ist selbständig für sich selbst, in,
und durch sich selbst, ein Schöpfer ferner selbst und daher auch eure Crea-
^ seiner selbst; denn er steht in der Gesehen und kann weder Anfang noch
^"de fewer selbst finden, und ist dadurch se.n selbst Anfang und Ende. -
^ Theosoph aber allein ist es, welcher erkennen kann, wie die Welt aus
Unsichtbaren ... e.n sichtbares, aus dem Nichts in e.n Etwas, und aus
Ungestalten und Finsteren in ein Wohlgestal-es und Licht gemacht sen eure


"ach mehreren Anführungen in den übrigen Tractaten nur eine neue Auflage
eines vor 1630 erschienenen Werkchens zu sein. Außerdem erwähnt der Ver¬
fasser noch ein Werk von sich mit dem Titel „Christianus", dessen ich aber
nicht habe habhaft werden können. Die Form der Typen, das Papier, der
Druck überhaupt scheinen darzuthun, daß alle diese genannten Tractate des
Pseudonymen Lebendes in den Niederlanden gedruckt wurden. — Man wird
nun von einem Mystiker nicht erwarten, daß er feine Anschauungen in ratio¬
nellen Systemen entwickele und im Gegensatze zu der herrschenden Dogmcttck
nun auch das Netz seiner Speculation über das ganze Bereich des praktischen
Lebens auswerfe. Dazu ist sein ganzes Philosophiren zu willkürlich, zu sehr
an die wechselnde innere Anschauung gebunden, die ja doch immer den An¬
spruch erheben muß, für den Ausdruck der vollen und lebendigen Göttinn.gte.t
SU gellen. Daher gelingt es ebenso wenig wie bei Böhme die Anschauungen
unsers Unbekannten in em wohl ausgelegtes Fachsystem zu bringen, wenn wir
auch hervorheben müssen, daß bei der größeren Gedantenklarhcit und der ge¬
ringeren Gemüthsfülle, die unser Paulus besitzt, der rationelle Zusammenhang
seltener verloren gehl, und eine gewisse Planmäßigkeit der Anordnung, die
freilich durch Wiederholungen immer noch häufig gestört wird, in der That
nicht verkannt werden kann.

Wir beginnen unsere Darstellung mit den speculativen Grundlagen des
Mystikers: Gott ist Jesse. ein Esse und Wesen, nämlich ein Wesen aller We¬
sen, d. i. Alles in Allem. Alles, was außer ihm ist. hat einen sich selbst
Unerkannten Abgrund und ist Nichts. In Gott ist kein Nicht, da er 'AM >n
Allein ist, wohl aber ist rc> Nicht Princip der Creatur, die ja aus dem Nichts
>n ihren eignen Anfang, der da kann gemessen, gewogen und gezählt werden,
gesetzt worden ist. Durch das Wort der Schöpfung ist das Nicht in ein Et-
^as, das Unsichtbare in ein sichtbares gestellt worden. Das Auge>chaffene
Lottes ist Alles in Allem gewesen und bleibt es bis in Ewigkeit; das Unge¬
schaffene der Creatur ist aus Nichts ein Etwas geworden durch pas^Wort der
Schöpfung und wird wieder zu Nichts werden, wenn das Wort der Schöpfung
ihm genommen wird. Das Unsichtbare. Ungeschaffene, Anerkannte des
Satans ist jedoch ein solcher Abgrund, daß es das Nichts der Creatur weit
^"trifft, da Gott aus demselben keine Schöpfung hervorrufen kann, wie aus
Nicht der Creatur. Denn der Bösewicht ist selbständig für sich selbst, in,
und durch sich selbst, ein Schöpfer ferner selbst und daher auch eure Crea-
^ seiner selbst; denn er steht in der Gesehen und kann weder Anfang noch
^"de fewer selbst finden, und ist dadurch se.n selbst Anfang und Ende. -
^ Theosoph aber allein ist es, welcher erkennen kann, wie die Welt aus
Unsichtbaren ... e.n sichtbares, aus dem Nichts in e.n Etwas, und aus
Ungestalten und Finsteren in ein Wohlgestal-es und Licht gemacht sen eure


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0297" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112267"/>
          <p xml:id="ID_974" prev="#ID_973"> "ach mehreren Anführungen in den übrigen Tractaten nur eine neue Auflage<lb/>
eines vor 1630 erschienenen Werkchens zu sein. Außerdem erwähnt der Ver¬<lb/>
fasser noch ein Werk von sich mit dem Titel &#x201E;Christianus", dessen ich aber<lb/>
nicht habe habhaft werden können. Die Form der Typen, das Papier, der<lb/>
Druck überhaupt scheinen darzuthun, daß alle diese genannten Tractate des<lb/>
Pseudonymen Lebendes in den Niederlanden gedruckt wurden. &#x2014; Man wird<lb/>
nun von einem Mystiker nicht erwarten, daß er feine Anschauungen in ratio¬<lb/>
nellen Systemen entwickele und im Gegensatze zu der herrschenden Dogmcttck<lb/>
nun auch das Netz seiner Speculation über das ganze Bereich des praktischen<lb/>
Lebens auswerfe. Dazu ist sein ganzes Philosophiren zu willkürlich, zu sehr<lb/>
an die wechselnde innere Anschauung gebunden, die ja doch immer den An¬<lb/>
spruch erheben muß, für den Ausdruck der vollen und lebendigen Göttinn.gte.t<lb/>
SU gellen. Daher gelingt es ebenso wenig wie bei Böhme die Anschauungen<lb/>
unsers Unbekannten in em wohl ausgelegtes Fachsystem zu bringen, wenn wir<lb/>
auch hervorheben müssen, daß bei der größeren Gedantenklarhcit und der ge¬<lb/>
ringeren Gemüthsfülle, die unser Paulus besitzt, der rationelle Zusammenhang<lb/>
seltener verloren gehl, und eine gewisse Planmäßigkeit der Anordnung, die<lb/>
freilich durch Wiederholungen immer noch häufig gestört wird, in der That<lb/>
nicht verkannt werden kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_975" next="#ID_976"> Wir beginnen unsere Darstellung mit den speculativen Grundlagen des<lb/>
Mystikers: Gott ist Jesse. ein Esse und Wesen, nämlich ein Wesen aller We¬<lb/>
sen, d. i. Alles in Allem.  Alles, was außer ihm ist. hat einen sich selbst<lb/>
Unerkannten Abgrund und ist Nichts.  In Gott ist kein Nicht, da er 'AM &gt;n<lb/>
Allein ist, wohl aber ist rc&gt; Nicht Princip der Creatur, die ja aus dem Nichts<lb/>
&gt;n ihren eignen Anfang, der da kann gemessen, gewogen und gezählt werden,<lb/>
gesetzt worden ist.  Durch das Wort der Schöpfung ist das Nicht in ein Et-<lb/>
^as, das Unsichtbare in ein sichtbares gestellt worden.  Das Auge&gt;chaffene<lb/>
Lottes ist Alles in Allem gewesen und bleibt es bis in Ewigkeit; das Unge¬<lb/>
schaffene der Creatur ist aus Nichts ein Etwas geworden durch pas^Wort der<lb/>
Schöpfung und wird wieder zu Nichts werden, wenn das Wort der Schöpfung<lb/>
ihm genommen wird.  Das Unsichtbare. Ungeschaffene, Anerkannte des<lb/>
Satans ist jedoch ein solcher Abgrund, daß es das Nichts der Creatur weit<lb/>
^"trifft, da Gott aus demselben keine Schöpfung hervorrufen kann, wie aus<lb/>
Nicht der Creatur.  Denn der Bösewicht ist selbständig für sich selbst, in,<lb/>
und durch sich selbst, ein Schöpfer ferner selbst und daher auch eure Crea-<lb/>
^ seiner selbst; denn er steht in der Gesehen und kann weder Anfang noch<lb/>
^"de fewer selbst finden, und ist dadurch se.n selbst Anfang und Ende. -<lb/>
^ Theosoph aber allein ist es, welcher erkennen kann, wie die Welt aus<lb/>
Unsichtbaren ... e.n sichtbares, aus dem Nichts in e.n Etwas, und aus<lb/>
Ungestalten und Finsteren in ein Wohlgestal-es und Licht gemacht sen eure</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0297] "ach mehreren Anführungen in den übrigen Tractaten nur eine neue Auflage eines vor 1630 erschienenen Werkchens zu sein. Außerdem erwähnt der Ver¬ fasser noch ein Werk von sich mit dem Titel „Christianus", dessen ich aber nicht habe habhaft werden können. Die Form der Typen, das Papier, der Druck überhaupt scheinen darzuthun, daß alle diese genannten Tractate des Pseudonymen Lebendes in den Niederlanden gedruckt wurden. — Man wird nun von einem Mystiker nicht erwarten, daß er feine Anschauungen in ratio¬ nellen Systemen entwickele und im Gegensatze zu der herrschenden Dogmcttck nun auch das Netz seiner Speculation über das ganze Bereich des praktischen Lebens auswerfe. Dazu ist sein ganzes Philosophiren zu willkürlich, zu sehr an die wechselnde innere Anschauung gebunden, die ja doch immer den An¬ spruch erheben muß, für den Ausdruck der vollen und lebendigen Göttinn.gte.t SU gellen. Daher gelingt es ebenso wenig wie bei Böhme die Anschauungen unsers Unbekannten in em wohl ausgelegtes Fachsystem zu bringen, wenn wir auch hervorheben müssen, daß bei der größeren Gedantenklarhcit und der ge¬ ringeren Gemüthsfülle, die unser Paulus besitzt, der rationelle Zusammenhang seltener verloren gehl, und eine gewisse Planmäßigkeit der Anordnung, die freilich durch Wiederholungen immer noch häufig gestört wird, in der That nicht verkannt werden kann. Wir beginnen unsere Darstellung mit den speculativen Grundlagen des Mystikers: Gott ist Jesse. ein Esse und Wesen, nämlich ein Wesen aller We¬ sen, d. i. Alles in Allem. Alles, was außer ihm ist. hat einen sich selbst Unerkannten Abgrund und ist Nichts. In Gott ist kein Nicht, da er 'AM >n Allein ist, wohl aber ist rc> Nicht Princip der Creatur, die ja aus dem Nichts >n ihren eignen Anfang, der da kann gemessen, gewogen und gezählt werden, gesetzt worden ist. Durch das Wort der Schöpfung ist das Nicht in ein Et- ^as, das Unsichtbare in ein sichtbares gestellt worden. Das Auge>chaffene Lottes ist Alles in Allem gewesen und bleibt es bis in Ewigkeit; das Unge¬ schaffene der Creatur ist aus Nichts ein Etwas geworden durch pas^Wort der Schöpfung und wird wieder zu Nichts werden, wenn das Wort der Schöpfung ihm genommen wird. Das Unsichtbare. Ungeschaffene, Anerkannte des Satans ist jedoch ein solcher Abgrund, daß es das Nichts der Creatur weit ^"trifft, da Gott aus demselben keine Schöpfung hervorrufen kann, wie aus Nicht der Creatur. Denn der Bösewicht ist selbständig für sich selbst, in, und durch sich selbst, ein Schöpfer ferner selbst und daher auch eure Crea- ^ seiner selbst; denn er steht in der Gesehen und kann weder Anfang noch ^"de fewer selbst finden, und ist dadurch se.n selbst Anfang und Ende. - ^ Theosoph aber allein ist es, welcher erkennen kann, wie die Welt aus Unsichtbaren ... e.n sichtbares, aus dem Nichts in e.n Etwas, und aus Ungestalten und Finsteren in ein Wohlgestal-es und Licht gemacht sen eure

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/297
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/297>, abgerufen am 23.07.2024.