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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Stadt und als der König vor der für ihn bestimmten Wohnung ausstieg,
nahm er Wilson und Woronzow bei der Hand und lud sie zum Frühstück ein.
Später, auf einem Spaziergang, hatte Ersterer ein interessantes Zwiegespräch
mit dem Monarchen. Dieser theilte ihm mit, daß die Franzosen am 27.
Dresden geräumt hätten, sich aber in großer Macht bei Magdeburg sammel¬
ten; daß sie wahrscheinlich bald zum Angriff schreiten würden und daß die
Russen ihre Vorwärtsbewegung regelmäßig fortsetzen sollten, um ihnen zuvor¬
zukommen; daß aber das Benehmen Oestreichs, das sein Contingent an der
Piliza stehen lassen und die Polen bei Krcckau decke, sehr große Besorgnis)
errege; daß Oestreich vor Bonapartes Macht eine seines militärischen Rufs
ganz unwürdige Furcht zeige; daß er für seinen Theil seinen Entschluß gefaßt
habe; er sei entschlossen, ein unabhängiger Fürst zu sein, oder Alles zu ver¬
lieren, außer seiner Ehre; er rechne auf Englands Unterstützung und dann
werde er, wie auch der Ausfall sein möge, einen Widerstand leisten, der Bo¬
naparte theuer zu stehen kommen solle. Wilson setzt hinzu: "der König sprach und
fühlte wie ein Mann, der sich seiner Schwierigkeiten bewußt und ihnen ge¬
wachsen ist; und ich bin überzeugt, er wird seine Pflicht thun. Könnte ich doch
hoffnungsvoll in die Zukunft schauen; aber ich traue der Nation weniger
Standhaftigkeit zu als ihrem Fürsten, Rußland weniger Macht, als die Ge¬
legenheit erfordert und halte Oestreich noch nicht sicher genug an das gemeinsame
Interesse gefesselt." Etwas weiter hin äußert er noch: "der König verließ
unter dem Zurufe des Volkes die Stadt. Sie lieben ihn sehr; aber ich kann ihnen,
nach Allem, was geschehen ist, nicht die Fähigkeit zutrauen, die Anstrengungen
zu machen und die Opfer zu bringen, welche, glaube ich, die Zeit fordern wird,
und ihre Betheuerungen den König zu erwarten berechtigen." Dieses unbillige
und schwarzsichtige Urtheil über das preußische Volk widerruft jedoch Wilson
bei einer späteren Gelegenheit, als er während des Waffenstillstands auf einer
zur Inspection der preußischen Festungen angetretenen Rundreise nach den
Marken und nach Ostpreußen kam. "Ich muß den Preußen die Gerechtigkeit
widerfahren lassen," schreibt er in einer Depesche an Lord Cathcart, "daß sich
durch das ganze Land, nicht bloß in Worten, sondern auch in Thaten der
größte Eifer bemerklich macht; und daß der ganze Landstrich, durch den ich
gekommen bin, von kriegerischen Vorbereitungen lebendig ist und das anziehende
Schauspiel eines Volkes darbietet, das entschlossen ist sein Vaterland, koste es
auch das eigene Leben und alle Lebensgüter, vom Joch der Tyrannei zu be¬
freien."

Als die verbündete russisch-preußische Armee weiter in Deutschland vor¬
rückte und gleichzeitig Napoleon mit wirklich fabelhafter Energie und Raschheit
ein neues Heer improvisirte und seine Hunderttausende über den Rhein strömen ließ,
wurde Wilson's Blick in die Zukunft immer düsterer. Angesichts der drei Festungs-


Stadt und als der König vor der für ihn bestimmten Wohnung ausstieg,
nahm er Wilson und Woronzow bei der Hand und lud sie zum Frühstück ein.
Später, auf einem Spaziergang, hatte Ersterer ein interessantes Zwiegespräch
mit dem Monarchen. Dieser theilte ihm mit, daß die Franzosen am 27.
Dresden geräumt hätten, sich aber in großer Macht bei Magdeburg sammel¬
ten; daß sie wahrscheinlich bald zum Angriff schreiten würden und daß die
Russen ihre Vorwärtsbewegung regelmäßig fortsetzen sollten, um ihnen zuvor¬
zukommen; daß aber das Benehmen Oestreichs, das sein Contingent an der
Piliza stehen lassen und die Polen bei Krcckau decke, sehr große Besorgnis)
errege; daß Oestreich vor Bonapartes Macht eine seines militärischen Rufs
ganz unwürdige Furcht zeige; daß er für seinen Theil seinen Entschluß gefaßt
habe; er sei entschlossen, ein unabhängiger Fürst zu sein, oder Alles zu ver¬
lieren, außer seiner Ehre; er rechne auf Englands Unterstützung und dann
werde er, wie auch der Ausfall sein möge, einen Widerstand leisten, der Bo¬
naparte theuer zu stehen kommen solle. Wilson setzt hinzu: „der König sprach und
fühlte wie ein Mann, der sich seiner Schwierigkeiten bewußt und ihnen ge¬
wachsen ist; und ich bin überzeugt, er wird seine Pflicht thun. Könnte ich doch
hoffnungsvoll in die Zukunft schauen; aber ich traue der Nation weniger
Standhaftigkeit zu als ihrem Fürsten, Rußland weniger Macht, als die Ge¬
legenheit erfordert und halte Oestreich noch nicht sicher genug an das gemeinsame
Interesse gefesselt." Etwas weiter hin äußert er noch: „der König verließ
unter dem Zurufe des Volkes die Stadt. Sie lieben ihn sehr; aber ich kann ihnen,
nach Allem, was geschehen ist, nicht die Fähigkeit zutrauen, die Anstrengungen
zu machen und die Opfer zu bringen, welche, glaube ich, die Zeit fordern wird,
und ihre Betheuerungen den König zu erwarten berechtigen." Dieses unbillige
und schwarzsichtige Urtheil über das preußische Volk widerruft jedoch Wilson
bei einer späteren Gelegenheit, als er während des Waffenstillstands auf einer
zur Inspection der preußischen Festungen angetretenen Rundreise nach den
Marken und nach Ostpreußen kam. „Ich muß den Preußen die Gerechtigkeit
widerfahren lassen," schreibt er in einer Depesche an Lord Cathcart, „daß sich
durch das ganze Land, nicht bloß in Worten, sondern auch in Thaten der
größte Eifer bemerklich macht; und daß der ganze Landstrich, durch den ich
gekommen bin, von kriegerischen Vorbereitungen lebendig ist und das anziehende
Schauspiel eines Volkes darbietet, das entschlossen ist sein Vaterland, koste es
auch das eigene Leben und alle Lebensgüter, vom Joch der Tyrannei zu be¬
freien."

Als die verbündete russisch-preußische Armee weiter in Deutschland vor¬
rückte und gleichzeitig Napoleon mit wirklich fabelhafter Energie und Raschheit
ein neues Heer improvisirte und seine Hunderttausende über den Rhein strömen ließ,
wurde Wilson's Blick in die Zukunft immer düsterer. Angesichts der drei Festungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/254>, abgerufen am 23.12.2024.