Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

diese Aeußerung der Entmuthigung aus, sondern auch die ungeheueren Ver¬
luste, welche die russische Armee während der Verfolgung erlitten. Wie schwach die
Armee an den Riemen gelangte ist bekannt; aber selbst drei Monate später, wo
bereits Verstärkungen zu ihr gestoßen waren, hatte sie noch nicht 60,000 Mann
unter den Waffen und viele Geschütze hatten nur einen Artilleristen, wie Wilson
gesteht. Freudig nahm er daher die Nachricht von der Unterzeichnung des Vertrags
mit Preußen auf, die am 31. März in Kalisch eintraf. "Preußen kann 100,000
Effective unter Waffen stellen und bei der Bedrängniß Frankreichs muß eine
solche Heeresmacht, die sich auf eine Basis, wie Schlesien stützt, das Ueberge-
gewicht in diesem Feldzug sichern, wenn Oestreich neutral bleibt." Den Tag
darauf hatte Wilson eine vertrauliche Unterredung mit Scharnhorst, der ihm
in einer, in der Uebersetzung mitgetheilten Denkschrift über die noch in Deutsch¬
land befindlichen französischen und die bereits unter den Waffen befindlichen
oder in der Organisation und Ausrüstung begriffenen preußischen Streitkräfte
Auskunft gab. Auch jetzt noch bleibt der Zweifel vorwiegend. "Wenn ich nur
Verstärkungen für die Russen ankommen sähe und über Oestreichs Politik be¬
ruhigt sein könnte, würde ich Victoria! rufen; aber selbst jetzt kann ich es nicht
ohne einige Besorgnis; thuen, so lange unsere linke Flanke nicht gesichert ist.
Fortuna ist jedoch eine mächtige Göttin und sie hat noch keine Spuren von
ihrer Launenhaftigkeit gezeigt. Rollt sie ihr Rad nur über die Oder und
Pflanzt sie ihre Fahne über Danzig auf, so mag sie dann immer mit unserm
Feind coquettnen, ohne für dieses Jahr viele Eifersucht zu erregen." Mißtrauen
gegen Oestreich, gerechtfertigt durch die zweideutige Stellung, die es zwischen
den kriegführenden Mächten einnahm, verdüstern ihm die Aussichten in die
Zukunft. Wie richtig er den Grundton der Politik des Wiener Cabinets be¬
urtheilt, zeigt folgende Auszeichnung vom 12. Mürz: "Ich bin der Meinung,
daß Oestreich Rußland nicht unterstützen wird. dessen Ansehen ihm ebensoviel
Besorgnis; erregt, wie früher dessen Ehrgeiz; denn es fürchtet, daß der Sieg
Rußlands Vergrößerungssucht anstacheln, und sein Ansehen ihm einen höchst
schädlichen Einfluß auf die slavische Bevölkerung verschaffen werde. Oestreich
sahe daher. Rußland gern gedemüthigt, wenn seine Demüthigung Frankreich
nicht zu mächtig machte, und ehe Frankreich mit Nußland Frieden schließt,
wünscht es gewiß zu beweisen, daß es noch militärische Ueberlegenheit besitzt.
150.000 Mann verfügbare Truppen, die unter den günstigen Verhältnissen,
in welchen sich die Franzosen durch den Besitz von zwei Festungen an der Oder
und der Weichsel unter der Mitwirkung der Oestreicher und der Polen befinden,
von> der Elbe vorrücken, würden sowol Oestreichs wie Frankreichs Zwecke
erreichen."

Am 31. März wohnte der englischen General dem Einzug des Königs von
Preußen in Frankfurt a. O. bei. Er ritt neben dem königlichen Wagen durch die


31*

diese Aeußerung der Entmuthigung aus, sondern auch die ungeheueren Ver¬
luste, welche die russische Armee während der Verfolgung erlitten. Wie schwach die
Armee an den Riemen gelangte ist bekannt; aber selbst drei Monate später, wo
bereits Verstärkungen zu ihr gestoßen waren, hatte sie noch nicht 60,000 Mann
unter den Waffen und viele Geschütze hatten nur einen Artilleristen, wie Wilson
gesteht. Freudig nahm er daher die Nachricht von der Unterzeichnung des Vertrags
mit Preußen auf, die am 31. März in Kalisch eintraf. „Preußen kann 100,000
Effective unter Waffen stellen und bei der Bedrängniß Frankreichs muß eine
solche Heeresmacht, die sich auf eine Basis, wie Schlesien stützt, das Ueberge-
gewicht in diesem Feldzug sichern, wenn Oestreich neutral bleibt." Den Tag
darauf hatte Wilson eine vertrauliche Unterredung mit Scharnhorst, der ihm
in einer, in der Uebersetzung mitgetheilten Denkschrift über die noch in Deutsch¬
land befindlichen französischen und die bereits unter den Waffen befindlichen
oder in der Organisation und Ausrüstung begriffenen preußischen Streitkräfte
Auskunft gab. Auch jetzt noch bleibt der Zweifel vorwiegend. „Wenn ich nur
Verstärkungen für die Russen ankommen sähe und über Oestreichs Politik be¬
ruhigt sein könnte, würde ich Victoria! rufen; aber selbst jetzt kann ich es nicht
ohne einige Besorgnis; thuen, so lange unsere linke Flanke nicht gesichert ist.
Fortuna ist jedoch eine mächtige Göttin und sie hat noch keine Spuren von
ihrer Launenhaftigkeit gezeigt. Rollt sie ihr Rad nur über die Oder und
Pflanzt sie ihre Fahne über Danzig auf, so mag sie dann immer mit unserm
Feind coquettnen, ohne für dieses Jahr viele Eifersucht zu erregen." Mißtrauen
gegen Oestreich, gerechtfertigt durch die zweideutige Stellung, die es zwischen
den kriegführenden Mächten einnahm, verdüstern ihm die Aussichten in die
Zukunft. Wie richtig er den Grundton der Politik des Wiener Cabinets be¬
urtheilt, zeigt folgende Auszeichnung vom 12. Mürz: „Ich bin der Meinung,
daß Oestreich Rußland nicht unterstützen wird. dessen Ansehen ihm ebensoviel
Besorgnis; erregt, wie früher dessen Ehrgeiz; denn es fürchtet, daß der Sieg
Rußlands Vergrößerungssucht anstacheln, und sein Ansehen ihm einen höchst
schädlichen Einfluß auf die slavische Bevölkerung verschaffen werde. Oestreich
sahe daher. Rußland gern gedemüthigt, wenn seine Demüthigung Frankreich
nicht zu mächtig machte, und ehe Frankreich mit Nußland Frieden schließt,
wünscht es gewiß zu beweisen, daß es noch militärische Ueberlegenheit besitzt.
150.000 Mann verfügbare Truppen, die unter den günstigen Verhältnissen,
in welchen sich die Franzosen durch den Besitz von zwei Festungen an der Oder
und der Weichsel unter der Mitwirkung der Oestreicher und der Polen befinden,
von> der Elbe vorrücken, würden sowol Oestreichs wie Frankreichs Zwecke
erreichen.»

Am 31. März wohnte der englischen General dem Einzug des Königs von
Preußen in Frankfurt a. O. bei. Er ritt neben dem königlichen Wagen durch die


31*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112223"/>
            <p xml:id="ID_830" prev="#ID_829"> diese Aeußerung der Entmuthigung aus, sondern auch die ungeheueren Ver¬<lb/>
luste, welche die russische Armee während der Verfolgung erlitten. Wie schwach die<lb/>
Armee an den Riemen gelangte ist bekannt; aber selbst drei Monate später, wo<lb/>
bereits Verstärkungen zu ihr gestoßen waren, hatte sie noch nicht 60,000 Mann<lb/>
unter den Waffen und viele Geschütze hatten nur einen Artilleristen, wie Wilson<lb/>
gesteht. Freudig nahm er daher die Nachricht von der Unterzeichnung des Vertrags<lb/>
mit Preußen auf, die am 31. März in Kalisch eintraf. &#x201E;Preußen kann 100,000<lb/>
Effective unter Waffen stellen und bei der Bedrängniß Frankreichs muß eine<lb/>
solche Heeresmacht, die sich auf eine Basis, wie Schlesien stützt, das Ueberge-<lb/>
gewicht in diesem Feldzug sichern, wenn Oestreich neutral bleibt." Den Tag<lb/>
darauf hatte Wilson eine vertrauliche Unterredung mit Scharnhorst, der ihm<lb/>
in einer, in der Uebersetzung mitgetheilten Denkschrift über die noch in Deutsch¬<lb/>
land befindlichen französischen und die bereits unter den Waffen befindlichen<lb/>
oder in der Organisation und Ausrüstung begriffenen preußischen Streitkräfte<lb/>
Auskunft gab. Auch jetzt noch bleibt der Zweifel vorwiegend. &#x201E;Wenn ich nur<lb/>
Verstärkungen für die Russen ankommen sähe und über Oestreichs Politik be¬<lb/>
ruhigt sein könnte, würde ich Victoria! rufen; aber selbst jetzt kann ich es nicht<lb/>
ohne einige Besorgnis; thuen, so lange unsere linke Flanke nicht gesichert ist.<lb/>
Fortuna ist jedoch eine mächtige Göttin und sie hat noch keine Spuren von<lb/>
ihrer Launenhaftigkeit gezeigt. Rollt sie ihr Rad nur über die Oder und<lb/>
Pflanzt sie ihre Fahne über Danzig auf, so mag sie dann immer mit unserm<lb/>
Feind coquettnen, ohne für dieses Jahr viele Eifersucht zu erregen." Mißtrauen<lb/>
gegen Oestreich, gerechtfertigt durch die zweideutige Stellung, die es zwischen<lb/>
den kriegführenden Mächten einnahm, verdüstern ihm die Aussichten in die<lb/>
Zukunft. Wie richtig er den Grundton der Politik des Wiener Cabinets be¬<lb/>
urtheilt, zeigt folgende Auszeichnung vom 12. Mürz: &#x201E;Ich bin der Meinung,<lb/>
daß Oestreich Rußland nicht unterstützen wird. dessen Ansehen ihm ebensoviel<lb/>
Besorgnis; erregt, wie früher dessen Ehrgeiz; denn es fürchtet, daß der Sieg<lb/>
Rußlands Vergrößerungssucht anstacheln, und sein Ansehen ihm einen höchst<lb/>
schädlichen Einfluß auf die slavische Bevölkerung verschaffen werde. Oestreich<lb/>
sahe daher. Rußland gern gedemüthigt, wenn seine Demüthigung Frankreich<lb/>
nicht zu mächtig machte, und ehe Frankreich mit Nußland Frieden schließt,<lb/>
wünscht es gewiß zu beweisen, daß es noch militärische Ueberlegenheit besitzt.<lb/>
150.000 Mann verfügbare Truppen, die unter den günstigen Verhältnissen,<lb/>
in welchen sich die Franzosen durch den Besitz von zwei Festungen an der Oder<lb/>
und der Weichsel unter der Mitwirkung der Oestreicher und der Polen befinden,<lb/>
von&gt; der Elbe vorrücken, würden sowol Oestreichs wie Frankreichs Zwecke<lb/>
erreichen.»</p><lb/>
            <p xml:id="ID_831" next="#ID_832"> Am 31. März wohnte der englischen General dem Einzug des Königs von<lb/>
Preußen in Frankfurt a. O. bei. Er ritt neben dem königlichen Wagen durch die</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 31*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0253] diese Aeußerung der Entmuthigung aus, sondern auch die ungeheueren Ver¬ luste, welche die russische Armee während der Verfolgung erlitten. Wie schwach die Armee an den Riemen gelangte ist bekannt; aber selbst drei Monate später, wo bereits Verstärkungen zu ihr gestoßen waren, hatte sie noch nicht 60,000 Mann unter den Waffen und viele Geschütze hatten nur einen Artilleristen, wie Wilson gesteht. Freudig nahm er daher die Nachricht von der Unterzeichnung des Vertrags mit Preußen auf, die am 31. März in Kalisch eintraf. „Preußen kann 100,000 Effective unter Waffen stellen und bei der Bedrängniß Frankreichs muß eine solche Heeresmacht, die sich auf eine Basis, wie Schlesien stützt, das Ueberge- gewicht in diesem Feldzug sichern, wenn Oestreich neutral bleibt." Den Tag darauf hatte Wilson eine vertrauliche Unterredung mit Scharnhorst, der ihm in einer, in der Uebersetzung mitgetheilten Denkschrift über die noch in Deutsch¬ land befindlichen französischen und die bereits unter den Waffen befindlichen oder in der Organisation und Ausrüstung begriffenen preußischen Streitkräfte Auskunft gab. Auch jetzt noch bleibt der Zweifel vorwiegend. „Wenn ich nur Verstärkungen für die Russen ankommen sähe und über Oestreichs Politik be¬ ruhigt sein könnte, würde ich Victoria! rufen; aber selbst jetzt kann ich es nicht ohne einige Besorgnis; thuen, so lange unsere linke Flanke nicht gesichert ist. Fortuna ist jedoch eine mächtige Göttin und sie hat noch keine Spuren von ihrer Launenhaftigkeit gezeigt. Rollt sie ihr Rad nur über die Oder und Pflanzt sie ihre Fahne über Danzig auf, so mag sie dann immer mit unserm Feind coquettnen, ohne für dieses Jahr viele Eifersucht zu erregen." Mißtrauen gegen Oestreich, gerechtfertigt durch die zweideutige Stellung, die es zwischen den kriegführenden Mächten einnahm, verdüstern ihm die Aussichten in die Zukunft. Wie richtig er den Grundton der Politik des Wiener Cabinets be¬ urtheilt, zeigt folgende Auszeichnung vom 12. Mürz: „Ich bin der Meinung, daß Oestreich Rußland nicht unterstützen wird. dessen Ansehen ihm ebensoviel Besorgnis; erregt, wie früher dessen Ehrgeiz; denn es fürchtet, daß der Sieg Rußlands Vergrößerungssucht anstacheln, und sein Ansehen ihm einen höchst schädlichen Einfluß auf die slavische Bevölkerung verschaffen werde. Oestreich sahe daher. Rußland gern gedemüthigt, wenn seine Demüthigung Frankreich nicht zu mächtig machte, und ehe Frankreich mit Nußland Frieden schließt, wünscht es gewiß zu beweisen, daß es noch militärische Ueberlegenheit besitzt. 150.000 Mann verfügbare Truppen, die unter den günstigen Verhältnissen, in welchen sich die Franzosen durch den Besitz von zwei Festungen an der Oder und der Weichsel unter der Mitwirkung der Oestreicher und der Polen befinden, von> der Elbe vorrücken, würden sowol Oestreichs wie Frankreichs Zwecke erreichen.» Am 31. März wohnte der englischen General dem Einzug des Königs von Preußen in Frankfurt a. O. bei. Er ritt neben dem königlichen Wagen durch die 31*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/253
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/253>, abgerufen am 01.10.2024.