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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Vom Regensburger Reichstag 1679.

Bei uns (in Regensburg) heißes: Ob? Wie? Wenn? Was? Wer?
Und dort (in Versailles) in einem Zug- Denn das ist mein Begehr.

Christian Wernike.

Wie nach dem, den 25. Januar (4. Febr.) 1679 zwischen dem Kaiser Leo¬
pold und dem König Ludwig von Frankreich zu Nimwegen geschlossenen Frieden
deutsches Land vom Kaiser und den Reichsfürsten den unverschämtesten Eingriffen
Ludwigs preisgegeben ward, ist bekannt genug. Es war nicht böser Wille der
deutschen Reichsstände, der Ludwigs Neunionsbcstrebungcn gelingen ließ und den
Verlust von Straßburg herbeiführte. Der Grund davon lag vorzugsweise in der
elenden Verfassung des deutschen Reichs und in dem durch dieselbe entwickelten par-
ticularistischcn Egoismus der Fürsten, die im besten Glauben, an ihrem allerdings
historisch begründeten Rechte festhalten zu müssen, es zu keiner rechtzeitigen uns
kräftigen Gesammtaction zur Abwendung der Gefahr kommen ließen. Und, was
das Schlimmste war, es gab noch keine öffentliche Meinung, welche auch nur den
geringsten Druck auf die Neichstagsangclegenheitcn hätte ausüben und die zum Han¬
deln verpflichteten Reichsstände einigermaßen aus ihrem Schlendrian hätte heraus¬
bringen können. Sie blieben beschränkt und indolent in der festen Ueberzeugung,
für des Reiches Wohlfarth auf das Beste zu sorgen, bis Ludwig erreicht hatte, wo¬
nach er strebte.

Zur genauen Kenntniß dieser Verhältnisse, durch welche das Reich seiner Auf¬
lösung immer näher gebracht wurde, möge hier die Schilderung einiger weniger
bekannten die Zustände im Reiche charakterisirenden Vorgänge folgen, die aus den
Reichsacten des Jahres 1679*) entnommen sind. Man sieht daraus, was die Reichs-
tagsabgeordneten zu der Zeit vorzugsweise beschäftigte, als jede Woche von allen
Seiten von Fürsten und Städten Klagen beim Reichstage einliefen über die dem
eben geschlossenen Frieden 'zuwiderlaufenden und besonders Straßburg bedrohenden
Gewaltthätigkeiten Ludwigs, deren Bedeutung und Tragweite zwar meistens anerkannt
wurde, die aber theils bei der herkömmlichen Behandlungsweise der Reichsangelegen-
heiten, theils wegen der vielen kleinlichen Reibungen, welche die Berathungen unter¬
brachen oder ein günstiges Resultat hinderten, keine Abhülfe fanden. Wie lange
dauerte es, bis eine Proposition zunächst in jedem der drei verschiedenen Kollegien
der Kurfürsten, Fürsten und Reichsstädte berathen worden, dann eine Einigung der
verschiedenen Beschlüsse in einem vom Mainzer Erzbischof entworfenen NcichsconclusuM zu
Stande gekommen war und dieses endlich die kaiserlicher Bestätigung erhielt. Wie
viele dringende Eingaben blieben ganz unberücksichtigt, wie oft und wie lange Z^t
fehlte den Gesandten bei der Bcrathungdie Instruction, und wie lange währte es



") Aus den handschriftlichen Relationen des sächsischen Gesandten Albert Schott an
Kurfürst Johann Georg den Zweiten im K. S. Hauptstaatsarchive.
Vom Regensburger Reichstag 1679.

Bei uns (in Regensburg) heißes: Ob? Wie? Wenn? Was? Wer?
Und dort (in Versailles) in einem Zug- Denn das ist mein Begehr.

Christian Wernike.

Wie nach dem, den 25. Januar (4. Febr.) 1679 zwischen dem Kaiser Leo¬
pold und dem König Ludwig von Frankreich zu Nimwegen geschlossenen Frieden
deutsches Land vom Kaiser und den Reichsfürsten den unverschämtesten Eingriffen
Ludwigs preisgegeben ward, ist bekannt genug. Es war nicht böser Wille der
deutschen Reichsstände, der Ludwigs Neunionsbcstrebungcn gelingen ließ und den
Verlust von Straßburg herbeiführte. Der Grund davon lag vorzugsweise in der
elenden Verfassung des deutschen Reichs und in dem durch dieselbe entwickelten par-
ticularistischcn Egoismus der Fürsten, die im besten Glauben, an ihrem allerdings
historisch begründeten Rechte festhalten zu müssen, es zu keiner rechtzeitigen uns
kräftigen Gesammtaction zur Abwendung der Gefahr kommen ließen. Und, was
das Schlimmste war, es gab noch keine öffentliche Meinung, welche auch nur den
geringsten Druck auf die Neichstagsangclegenheitcn hätte ausüben und die zum Han¬
deln verpflichteten Reichsstände einigermaßen aus ihrem Schlendrian hätte heraus¬
bringen können. Sie blieben beschränkt und indolent in der festen Ueberzeugung,
für des Reiches Wohlfarth auf das Beste zu sorgen, bis Ludwig erreicht hatte, wo¬
nach er strebte.

Zur genauen Kenntniß dieser Verhältnisse, durch welche das Reich seiner Auf¬
lösung immer näher gebracht wurde, möge hier die Schilderung einiger weniger
bekannten die Zustände im Reiche charakterisirenden Vorgänge folgen, die aus den
Reichsacten des Jahres 1679*) entnommen sind. Man sieht daraus, was die Reichs-
tagsabgeordneten zu der Zeit vorzugsweise beschäftigte, als jede Woche von allen
Seiten von Fürsten und Städten Klagen beim Reichstage einliefen über die dem
eben geschlossenen Frieden 'zuwiderlaufenden und besonders Straßburg bedrohenden
Gewaltthätigkeiten Ludwigs, deren Bedeutung und Tragweite zwar meistens anerkannt
wurde, die aber theils bei der herkömmlichen Behandlungsweise der Reichsangelegen-
heiten, theils wegen der vielen kleinlichen Reibungen, welche die Berathungen unter¬
brachen oder ein günstiges Resultat hinderten, keine Abhülfe fanden. Wie lange
dauerte es, bis eine Proposition zunächst in jedem der drei verschiedenen Kollegien
der Kurfürsten, Fürsten und Reichsstädte berathen worden, dann eine Einigung der
verschiedenen Beschlüsse in einem vom Mainzer Erzbischof entworfenen NcichsconclusuM zu
Stande gekommen war und dieses endlich die kaiserlicher Bestätigung erhielt. Wie
viele dringende Eingaben blieben ganz unberücksichtigt, wie oft und wie lange Z^t
fehlte den Gesandten bei der Bcrathungdie Instruction, und wie lange währte es



") Aus den handschriftlichen Relationen des sächsischen Gesandten Albert Schott an
Kurfürst Johann Georg den Zweiten im K. S. Hauptstaatsarchive.
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[0246] Vom Regensburger Reichstag 1679. Bei uns (in Regensburg) heißes: Ob? Wie? Wenn? Was? Wer? Und dort (in Versailles) in einem Zug- Denn das ist mein Begehr. Christian Wernike. Wie nach dem, den 25. Januar (4. Febr.) 1679 zwischen dem Kaiser Leo¬ pold und dem König Ludwig von Frankreich zu Nimwegen geschlossenen Frieden deutsches Land vom Kaiser und den Reichsfürsten den unverschämtesten Eingriffen Ludwigs preisgegeben ward, ist bekannt genug. Es war nicht böser Wille der deutschen Reichsstände, der Ludwigs Neunionsbcstrebungcn gelingen ließ und den Verlust von Straßburg herbeiführte. Der Grund davon lag vorzugsweise in der elenden Verfassung des deutschen Reichs und in dem durch dieselbe entwickelten par- ticularistischcn Egoismus der Fürsten, die im besten Glauben, an ihrem allerdings historisch begründeten Rechte festhalten zu müssen, es zu keiner rechtzeitigen uns kräftigen Gesammtaction zur Abwendung der Gefahr kommen ließen. Und, was das Schlimmste war, es gab noch keine öffentliche Meinung, welche auch nur den geringsten Druck auf die Neichstagsangclegenheitcn hätte ausüben und die zum Han¬ deln verpflichteten Reichsstände einigermaßen aus ihrem Schlendrian hätte heraus¬ bringen können. Sie blieben beschränkt und indolent in der festen Ueberzeugung, für des Reiches Wohlfarth auf das Beste zu sorgen, bis Ludwig erreicht hatte, wo¬ nach er strebte. Zur genauen Kenntniß dieser Verhältnisse, durch welche das Reich seiner Auf¬ lösung immer näher gebracht wurde, möge hier die Schilderung einiger weniger bekannten die Zustände im Reiche charakterisirenden Vorgänge folgen, die aus den Reichsacten des Jahres 1679*) entnommen sind. Man sieht daraus, was die Reichs- tagsabgeordneten zu der Zeit vorzugsweise beschäftigte, als jede Woche von allen Seiten von Fürsten und Städten Klagen beim Reichstage einliefen über die dem eben geschlossenen Frieden 'zuwiderlaufenden und besonders Straßburg bedrohenden Gewaltthätigkeiten Ludwigs, deren Bedeutung und Tragweite zwar meistens anerkannt wurde, die aber theils bei der herkömmlichen Behandlungsweise der Reichsangelegen- heiten, theils wegen der vielen kleinlichen Reibungen, welche die Berathungen unter¬ brachen oder ein günstiges Resultat hinderten, keine Abhülfe fanden. Wie lange dauerte es, bis eine Proposition zunächst in jedem der drei verschiedenen Kollegien der Kurfürsten, Fürsten und Reichsstädte berathen worden, dann eine Einigung der verschiedenen Beschlüsse in einem vom Mainzer Erzbischof entworfenen NcichsconclusuM zu Stande gekommen war und dieses endlich die kaiserlicher Bestätigung erhielt. Wie viele dringende Eingaben blieben ganz unberücksichtigt, wie oft und wie lange Z^t fehlte den Gesandten bei der Bcrathungdie Instruction, und wie lange währte es ") Aus den handschriftlichen Relationen des sächsischen Gesandten Albert Schott an Kurfürst Johann Georg den Zweiten im K. S. Hauptstaatsarchive.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/246>, abgerufen am 13.11.2024.