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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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zustellen sucht. Daß überhaupt die technische Kunstfertigkeit der Fran¬
zosen sie zu allerlei Mißgriffen, auch in der. bildenden Kunst, verleitet, werden
wir später sehen. -- Uebrigens entspricht der ausgebildeten Schauspielkunst
die vollendete in Scene-Setzung überhaupt: die ganze Scenerie, die malerische,
historisch-treue, daher stimmungsvolle Umgebung, die plastische Gruppirung ist
durchweg vortrefflich. Es ist auf eine volle sinnliche Wirkung, mit welcher der dra¬
matische Stoff wie ein Blitz in den Zuschauer einschlagen soll, abgesehen und
dieselbe wird auch meistens erreicht.

Man sieht: in der Dichtkunst stellt sich das gegenwärtige Leben in seiner
nüchternen Wirklichkeit dar, die, unfähig zu jedem idealen Aufschwung der
Phantasie und Empfindung, ohne Theilnahme sowol für allgemein menschliche
Verhältnisse, als den Läuterungsproccß des inneren Lebens, der sich genießenden
Individualität nach allen Seiten die Zügel schießen läßt und sie nur noch am leich¬
ten Zaum der äußeren Sitte und Form hält. Hier zeigt sich der tödtliche
Mangel des politischen Lebens: dem Volke ist mit der Bewegung seines in¬
neren nationalen Wesens ein gutes Stück seiner Seele genommen, seine Kräfte
fallen gleichsam auseinander, zersplittern sich, und es fehlt ihm in allen Din¬
gen ein höheres Ziel, dem es sich zusammenfassend zustrebte. Dagegen wird
die Ausbildung aller äußeren Lebensbedingungen in der Wirklichkeit, wie in
der Kunst mit vollendeter Virtuosität betrieben; an die Stelle des reellen Ge¬
haltes tritt der blendende Schein der natürlichen Wirklichkeit, ausgerüstet mit
allen Mitteln einer gesteigerten Cultur und mit einem wirklich bedeutenden
Talente für Erscheinung überhaupt packend herausgekehrt. Die Idealität der
Form wird ersetzt durch die liebenswürdige, geistreiche Form des Lebens, die
sich trotz der Erdenschwere des Stoffs mit dem praktischen Zug der Zeit zu
anmuthiger Einfachheit und Freiheit entwickelt hat. Andrerseits sucht sich die
entleerte Phantasie, von der umfassenden Bildung geleitet, mit dem Inhalt
ferner Zeiten und Länder in flüchtigem traumhaften Spiel zu erfüllen, während
die unbefriedigte Empfindung in dem Bilde zügelloser, zerwühlender Leiden¬
schaft eine Entschädigung zu finden hofft.

Nicht so schlimm indessen wie mit der Poesie steht es mit der Malerei.
Wie sich zeigen wird, hat diese die Kunstfertigkeit und die doppelte Richtung, einer¬
seits auf die reizlose Wirklichkeit, andrerseits auf das wunderbare Reich der
Phantasie, wie die Zersplitterung mit jener gemein; aber sie hat dies vor ihr
voraus, daß sie unter der Zerrissenheit des inneren Lebens und dem Verlust
der Ideale nicht in demselben Maaße leidet und den aufgeschlossenen Reich'
thun der ganzen Welt in sich aufzunehmen vermag, ohne in die dunkle gäh'
rente Tiefe hinabzusteigen. Was von idealem Sinn noch übrig ist, flüchtet sich
in das heitere Reich der Erscheinung. Die Malerei ist überhaupt von den
Künsten das Schoßkind des Jahrhunderts, und in ihr erhebt sich das Talent


zustellen sucht. Daß überhaupt die technische Kunstfertigkeit der Fran¬
zosen sie zu allerlei Mißgriffen, auch in der. bildenden Kunst, verleitet, werden
wir später sehen. — Uebrigens entspricht der ausgebildeten Schauspielkunst
die vollendete in Scene-Setzung überhaupt: die ganze Scenerie, die malerische,
historisch-treue, daher stimmungsvolle Umgebung, die plastische Gruppirung ist
durchweg vortrefflich. Es ist auf eine volle sinnliche Wirkung, mit welcher der dra¬
matische Stoff wie ein Blitz in den Zuschauer einschlagen soll, abgesehen und
dieselbe wird auch meistens erreicht.

Man sieht: in der Dichtkunst stellt sich das gegenwärtige Leben in seiner
nüchternen Wirklichkeit dar, die, unfähig zu jedem idealen Aufschwung der
Phantasie und Empfindung, ohne Theilnahme sowol für allgemein menschliche
Verhältnisse, als den Läuterungsproccß des inneren Lebens, der sich genießenden
Individualität nach allen Seiten die Zügel schießen läßt und sie nur noch am leich¬
ten Zaum der äußeren Sitte und Form hält. Hier zeigt sich der tödtliche
Mangel des politischen Lebens: dem Volke ist mit der Bewegung seines in¬
neren nationalen Wesens ein gutes Stück seiner Seele genommen, seine Kräfte
fallen gleichsam auseinander, zersplittern sich, und es fehlt ihm in allen Din¬
gen ein höheres Ziel, dem es sich zusammenfassend zustrebte. Dagegen wird
die Ausbildung aller äußeren Lebensbedingungen in der Wirklichkeit, wie in
der Kunst mit vollendeter Virtuosität betrieben; an die Stelle des reellen Ge¬
haltes tritt der blendende Schein der natürlichen Wirklichkeit, ausgerüstet mit
allen Mitteln einer gesteigerten Cultur und mit einem wirklich bedeutenden
Talente für Erscheinung überhaupt packend herausgekehrt. Die Idealität der
Form wird ersetzt durch die liebenswürdige, geistreiche Form des Lebens, die
sich trotz der Erdenschwere des Stoffs mit dem praktischen Zug der Zeit zu
anmuthiger Einfachheit und Freiheit entwickelt hat. Andrerseits sucht sich die
entleerte Phantasie, von der umfassenden Bildung geleitet, mit dem Inhalt
ferner Zeiten und Länder in flüchtigem traumhaften Spiel zu erfüllen, während
die unbefriedigte Empfindung in dem Bilde zügelloser, zerwühlender Leiden¬
schaft eine Entschädigung zu finden hofft.

Nicht so schlimm indessen wie mit der Poesie steht es mit der Malerei.
Wie sich zeigen wird, hat diese die Kunstfertigkeit und die doppelte Richtung, einer¬
seits auf die reizlose Wirklichkeit, andrerseits auf das wunderbare Reich der
Phantasie, wie die Zersplitterung mit jener gemein; aber sie hat dies vor ihr
voraus, daß sie unter der Zerrissenheit des inneren Lebens und dem Verlust
der Ideale nicht in demselben Maaße leidet und den aufgeschlossenen Reich'
thun der ganzen Welt in sich aufzunehmen vermag, ohne in die dunkle gäh'
rente Tiefe hinabzusteigen. Was von idealem Sinn noch übrig ist, flüchtet sich
in das heitere Reich der Erscheinung. Die Malerei ist überhaupt von den
Künsten das Schoßkind des Jahrhunderts, und in ihr erhebt sich das Talent


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[0238] zustellen sucht. Daß überhaupt die technische Kunstfertigkeit der Fran¬ zosen sie zu allerlei Mißgriffen, auch in der. bildenden Kunst, verleitet, werden wir später sehen. — Uebrigens entspricht der ausgebildeten Schauspielkunst die vollendete in Scene-Setzung überhaupt: die ganze Scenerie, die malerische, historisch-treue, daher stimmungsvolle Umgebung, die plastische Gruppirung ist durchweg vortrefflich. Es ist auf eine volle sinnliche Wirkung, mit welcher der dra¬ matische Stoff wie ein Blitz in den Zuschauer einschlagen soll, abgesehen und dieselbe wird auch meistens erreicht. Man sieht: in der Dichtkunst stellt sich das gegenwärtige Leben in seiner nüchternen Wirklichkeit dar, die, unfähig zu jedem idealen Aufschwung der Phantasie und Empfindung, ohne Theilnahme sowol für allgemein menschliche Verhältnisse, als den Läuterungsproccß des inneren Lebens, der sich genießenden Individualität nach allen Seiten die Zügel schießen läßt und sie nur noch am leich¬ ten Zaum der äußeren Sitte und Form hält. Hier zeigt sich der tödtliche Mangel des politischen Lebens: dem Volke ist mit der Bewegung seines in¬ neren nationalen Wesens ein gutes Stück seiner Seele genommen, seine Kräfte fallen gleichsam auseinander, zersplittern sich, und es fehlt ihm in allen Din¬ gen ein höheres Ziel, dem es sich zusammenfassend zustrebte. Dagegen wird die Ausbildung aller äußeren Lebensbedingungen in der Wirklichkeit, wie in der Kunst mit vollendeter Virtuosität betrieben; an die Stelle des reellen Ge¬ haltes tritt der blendende Schein der natürlichen Wirklichkeit, ausgerüstet mit allen Mitteln einer gesteigerten Cultur und mit einem wirklich bedeutenden Talente für Erscheinung überhaupt packend herausgekehrt. Die Idealität der Form wird ersetzt durch die liebenswürdige, geistreiche Form des Lebens, die sich trotz der Erdenschwere des Stoffs mit dem praktischen Zug der Zeit zu anmuthiger Einfachheit und Freiheit entwickelt hat. Andrerseits sucht sich die entleerte Phantasie, von der umfassenden Bildung geleitet, mit dem Inhalt ferner Zeiten und Länder in flüchtigem traumhaften Spiel zu erfüllen, während die unbefriedigte Empfindung in dem Bilde zügelloser, zerwühlender Leiden¬ schaft eine Entschädigung zu finden hofft. Nicht so schlimm indessen wie mit der Poesie steht es mit der Malerei. Wie sich zeigen wird, hat diese die Kunstfertigkeit und die doppelte Richtung, einer¬ seits auf die reizlose Wirklichkeit, andrerseits auf das wunderbare Reich der Phantasie, wie die Zersplitterung mit jener gemein; aber sie hat dies vor ihr voraus, daß sie unter der Zerrissenheit des inneren Lebens und dem Verlust der Ideale nicht in demselben Maaße leidet und den aufgeschlossenen Reich' thun der ganzen Welt in sich aufzunehmen vermag, ohne in die dunkle gäh' rente Tiefe hinabzusteigen. Was von idealem Sinn noch übrig ist, flüchtet sich in das heitere Reich der Erscheinung. Die Malerei ist überhaupt von den Künsten das Schoßkind des Jahrhunderts, und in ihr erhebt sich das Talent

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/238>, abgerufen am 27.08.2024.