Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die weit vorgeschrittene Schauspielkunst ist gemeint; sondern die gewandte, span¬
nende Zuspitzung der dramatischen Effecte, die hinhaltende Steigerung der
Intrigue, die schlagenden Contraste, der den Franzosen natürliche Wechsel einer
anmuthig fließenden Conversation mit den Ausbrüchen der Leidenschaft, die
bewegte, die Sache treffende Beziehung der Personen, dazu endlich die abge¬
rundete technische Anordnung, in der die Scenen wie lebendige Bilder sich
flüssig aneinanderreihen und das Ganze in warmer, frischer Gegenwärtigkeit
sich abspielt. In allen diesen Dingen bewähren wir Deutsche ein fast kind-
iches Ungeschick, und sie sind es doch, welche die Wirkung des Dramas nicht
allein vermitteln, sondern bedingen. Die Staöl bemerkt ganz richtig, daß die
Franzosen in der "Combination der Theateraffecte" (das Wort ist in gutem
Sinne gemeint) vor Allen Meister sind, während die Deutschen vornehmlich
den mehr innerlichen Proceß der Verwicklungen des Seelenlebens darzustellen
wissen.

Während so das abenteuerliche Drama durch seine ergreifende Umschau
lichkeit und die Verschlingung des Unmöglichen mit dem Wirklichen den Zu¬
schauer fesselt, gibt andrerseits dem Lustspiel, welches das wirkliche Leben schil¬
dert, der Widerschein der allgemeinen Sitte, der seinen Umgangsformen und
des anziehenden von Haus aus gebildeten Gesprächstons einen fast poetischen
Schimmer. Das ist es. was das bleierne an der Erde klebende Schau¬
spiel erträglich macht; dadurch erhebt es sich in die freiere leichtere Sphäre
des liebenswürdigen'gesellschaftlichen Verkehrs. Die Niederträchtigkeit kommt
in ihrer häßlichen Brutalität nicht zum Vorschein, die Ausschweifung läuft
nicht nackt auf der Bühne; es verhüllt sie gleichsam der Schleier eines dem
ganzen Geschlechte eingebornen Anstandes und einer in ihrer Erscheinung immer
zierlichen Gesittung. Mit der moralischen Kehrseite dieser Verdeckung haben
wir es hier nicht zu thun. Dazukommt die biegsame urbane Sprache, die in
geistreiche Wendungen fast von selbst sich schmiegt, die Empfindung einfach
und doch nicht gewöhnlich ausdrückt und selbst die verfänglichste Sache in eine
bequeme Form fassen läßt. Dies ist der große Vortheil, den das Princip des
Realismus in der dramatischen Dichtung errungen hat : da er die Wirklichkeit
fast unverändert auf die Bühne brachte, bemühte er sich wenigstens, das ge'
fällige Gewand beizubehalten und noch bestimmter hervortreten zu lassen und
so die Wirkung des Lebensbildes zu erhöhen, ohne sie drückender zu machen.

Und hier berühren wir einen zweiten Punkt, in welchem das französische
Drama in seiner Bühnenwirkung das deutsche völlig aus dem Felde schlägt-
die Schauspielkunst. Diese ist in der französischen Kunstanschauung über¬
haupt begründet und für diese bezeichnend. Von der sichern und
bildeten Naturwahrheit des französischen Spiels, welche das Werk des Dich'
ters zur vollständigen Geltung bringt, ergänzt, durch die Beachtung der kleinen


die weit vorgeschrittene Schauspielkunst ist gemeint; sondern die gewandte, span¬
nende Zuspitzung der dramatischen Effecte, die hinhaltende Steigerung der
Intrigue, die schlagenden Contraste, der den Franzosen natürliche Wechsel einer
anmuthig fließenden Conversation mit den Ausbrüchen der Leidenschaft, die
bewegte, die Sache treffende Beziehung der Personen, dazu endlich die abge¬
rundete technische Anordnung, in der die Scenen wie lebendige Bilder sich
flüssig aneinanderreihen und das Ganze in warmer, frischer Gegenwärtigkeit
sich abspielt. In allen diesen Dingen bewähren wir Deutsche ein fast kind-
iches Ungeschick, und sie sind es doch, welche die Wirkung des Dramas nicht
allein vermitteln, sondern bedingen. Die Staöl bemerkt ganz richtig, daß die
Franzosen in der „Combination der Theateraffecte" (das Wort ist in gutem
Sinne gemeint) vor Allen Meister sind, während die Deutschen vornehmlich
den mehr innerlichen Proceß der Verwicklungen des Seelenlebens darzustellen
wissen.

Während so das abenteuerliche Drama durch seine ergreifende Umschau
lichkeit und die Verschlingung des Unmöglichen mit dem Wirklichen den Zu¬
schauer fesselt, gibt andrerseits dem Lustspiel, welches das wirkliche Leben schil¬
dert, der Widerschein der allgemeinen Sitte, der seinen Umgangsformen und
des anziehenden von Haus aus gebildeten Gesprächstons einen fast poetischen
Schimmer. Das ist es. was das bleierne an der Erde klebende Schau¬
spiel erträglich macht; dadurch erhebt es sich in die freiere leichtere Sphäre
des liebenswürdigen'gesellschaftlichen Verkehrs. Die Niederträchtigkeit kommt
in ihrer häßlichen Brutalität nicht zum Vorschein, die Ausschweifung läuft
nicht nackt auf der Bühne; es verhüllt sie gleichsam der Schleier eines dem
ganzen Geschlechte eingebornen Anstandes und einer in ihrer Erscheinung immer
zierlichen Gesittung. Mit der moralischen Kehrseite dieser Verdeckung haben
wir es hier nicht zu thun. Dazukommt die biegsame urbane Sprache, die in
geistreiche Wendungen fast von selbst sich schmiegt, die Empfindung einfach
und doch nicht gewöhnlich ausdrückt und selbst die verfänglichste Sache in eine
bequeme Form fassen läßt. Dies ist der große Vortheil, den das Princip des
Realismus in der dramatischen Dichtung errungen hat : da er die Wirklichkeit
fast unverändert auf die Bühne brachte, bemühte er sich wenigstens, das ge'
fällige Gewand beizubehalten und noch bestimmter hervortreten zu lassen und
so die Wirkung des Lebensbildes zu erhöhen, ohne sie drückender zu machen.

Und hier berühren wir einen zweiten Punkt, in welchem das französische
Drama in seiner Bühnenwirkung das deutsche völlig aus dem Felde schlägt-
die Schauspielkunst. Diese ist in der französischen Kunstanschauung über¬
haupt begründet und für diese bezeichnend. Von der sichern und
bildeten Naturwahrheit des französischen Spiels, welche das Werk des Dich'
ters zur vollständigen Geltung bringt, ergänzt, durch die Beachtung der kleinen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112206"/>
            <p xml:id="ID_794" prev="#ID_793"> die weit vorgeschrittene Schauspielkunst ist gemeint; sondern die gewandte, span¬<lb/>
nende Zuspitzung der dramatischen Effecte, die hinhaltende Steigerung der<lb/>
Intrigue, die schlagenden Contraste, der den Franzosen natürliche Wechsel einer<lb/>
anmuthig fließenden Conversation mit den Ausbrüchen der Leidenschaft, die<lb/>
bewegte, die Sache treffende Beziehung der Personen, dazu endlich die abge¬<lb/>
rundete technische Anordnung, in der die Scenen wie lebendige Bilder sich<lb/>
flüssig aneinanderreihen und das Ganze in warmer, frischer Gegenwärtigkeit<lb/>
sich abspielt. In allen diesen Dingen bewähren wir Deutsche ein fast kind-<lb/>
iches Ungeschick, und sie sind es doch, welche die Wirkung des Dramas nicht<lb/>
allein vermitteln, sondern bedingen. Die Staöl bemerkt ganz richtig, daß die<lb/>
Franzosen in der &#x201E;Combination der Theateraffecte" (das Wort ist in gutem<lb/>
Sinne gemeint) vor Allen Meister sind, während die Deutschen vornehmlich<lb/>
den mehr innerlichen Proceß der Verwicklungen des Seelenlebens darzustellen<lb/>
wissen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_795"> Während so das abenteuerliche Drama durch seine ergreifende Umschau<lb/>
lichkeit und die Verschlingung des Unmöglichen mit dem Wirklichen den Zu¬<lb/>
schauer fesselt, gibt andrerseits dem Lustspiel, welches das wirkliche Leben schil¬<lb/>
dert, der Widerschein der allgemeinen Sitte, der seinen Umgangsformen und<lb/>
des anziehenden von Haus aus gebildeten Gesprächstons einen fast poetischen<lb/>
Schimmer. Das ist es. was das bleierne an der Erde klebende Schau¬<lb/>
spiel erträglich macht; dadurch erhebt es sich in die freiere leichtere Sphäre<lb/>
des liebenswürdigen'gesellschaftlichen Verkehrs. Die Niederträchtigkeit kommt<lb/>
in ihrer häßlichen Brutalität nicht zum Vorschein, die Ausschweifung läuft<lb/>
nicht nackt auf der Bühne; es verhüllt sie gleichsam der Schleier eines dem<lb/>
ganzen Geschlechte eingebornen Anstandes und einer in ihrer Erscheinung immer<lb/>
zierlichen Gesittung. Mit der moralischen Kehrseite dieser Verdeckung haben<lb/>
wir es hier nicht zu thun. Dazukommt die biegsame urbane Sprache, die in<lb/>
geistreiche Wendungen fast von selbst sich schmiegt, die Empfindung einfach<lb/>
und doch nicht gewöhnlich ausdrückt und selbst die verfänglichste Sache in eine<lb/>
bequeme Form fassen läßt. Dies ist der große Vortheil, den das Princip des<lb/>
Realismus in der dramatischen Dichtung errungen hat : da er die Wirklichkeit<lb/>
fast unverändert auf die Bühne brachte, bemühte er sich wenigstens, das ge'<lb/>
fällige Gewand beizubehalten und noch bestimmter hervortreten zu lassen und<lb/>
so die Wirkung des Lebensbildes zu erhöhen, ohne sie drückender zu machen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_796" next="#ID_797"> Und hier berühren wir einen zweiten Punkt, in welchem das französische<lb/>
Drama in seiner Bühnenwirkung das deutsche völlig aus dem Felde schlägt-<lb/>
die Schauspielkunst. Diese ist in der französischen Kunstanschauung über¬<lb/>
haupt begründet und für diese bezeichnend. Von der sichern und<lb/>
bildeten Naturwahrheit des französischen Spiels, welche das Werk des Dich'<lb/>
ters zur vollständigen Geltung bringt, ergänzt, durch die Beachtung der kleinen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0236] die weit vorgeschrittene Schauspielkunst ist gemeint; sondern die gewandte, span¬ nende Zuspitzung der dramatischen Effecte, die hinhaltende Steigerung der Intrigue, die schlagenden Contraste, der den Franzosen natürliche Wechsel einer anmuthig fließenden Conversation mit den Ausbrüchen der Leidenschaft, die bewegte, die Sache treffende Beziehung der Personen, dazu endlich die abge¬ rundete technische Anordnung, in der die Scenen wie lebendige Bilder sich flüssig aneinanderreihen und das Ganze in warmer, frischer Gegenwärtigkeit sich abspielt. In allen diesen Dingen bewähren wir Deutsche ein fast kind- iches Ungeschick, und sie sind es doch, welche die Wirkung des Dramas nicht allein vermitteln, sondern bedingen. Die Staöl bemerkt ganz richtig, daß die Franzosen in der „Combination der Theateraffecte" (das Wort ist in gutem Sinne gemeint) vor Allen Meister sind, während die Deutschen vornehmlich den mehr innerlichen Proceß der Verwicklungen des Seelenlebens darzustellen wissen. Während so das abenteuerliche Drama durch seine ergreifende Umschau lichkeit und die Verschlingung des Unmöglichen mit dem Wirklichen den Zu¬ schauer fesselt, gibt andrerseits dem Lustspiel, welches das wirkliche Leben schil¬ dert, der Widerschein der allgemeinen Sitte, der seinen Umgangsformen und des anziehenden von Haus aus gebildeten Gesprächstons einen fast poetischen Schimmer. Das ist es. was das bleierne an der Erde klebende Schau¬ spiel erträglich macht; dadurch erhebt es sich in die freiere leichtere Sphäre des liebenswürdigen'gesellschaftlichen Verkehrs. Die Niederträchtigkeit kommt in ihrer häßlichen Brutalität nicht zum Vorschein, die Ausschweifung läuft nicht nackt auf der Bühne; es verhüllt sie gleichsam der Schleier eines dem ganzen Geschlechte eingebornen Anstandes und einer in ihrer Erscheinung immer zierlichen Gesittung. Mit der moralischen Kehrseite dieser Verdeckung haben wir es hier nicht zu thun. Dazukommt die biegsame urbane Sprache, die in geistreiche Wendungen fast von selbst sich schmiegt, die Empfindung einfach und doch nicht gewöhnlich ausdrückt und selbst die verfänglichste Sache in eine bequeme Form fassen läßt. Dies ist der große Vortheil, den das Princip des Realismus in der dramatischen Dichtung errungen hat : da er die Wirklichkeit fast unverändert auf die Bühne brachte, bemühte er sich wenigstens, das ge' fällige Gewand beizubehalten und noch bestimmter hervortreten zu lassen und so die Wirkung des Lebensbildes zu erhöhen, ohne sie drückender zu machen. Und hier berühren wir einen zweiten Punkt, in welchem das französische Drama in seiner Bühnenwirkung das deutsche völlig aus dem Felde schlägt- die Schauspielkunst. Diese ist in der französischen Kunstanschauung über¬ haupt begründet und für diese bezeichnend. Von der sichern und bildeten Naturwahrheit des französischen Spiels, welche das Werk des Dich' ters zur vollständigen Geltung bringt, ergänzt, durch die Beachtung der kleinen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/236
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/236>, abgerufen am 23.12.2024.