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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Börsenspiels in das Reich der Poesie erhuben worden. Die Gesellschaft, welche,
durchgerüttelt durch die tollkühnen Unternehmungen und überraschenden Zufälle
auf dem Gebiete der Speculation, von der Macht des Geldes eine neue An-
schauungs- und Lebensweise empfangen hat. schien den Dichtern ein packender
Stoff; ja, selbst denjenigen, welche im Rückschläge gegen die Romantik das
abgelebte Pathos des classischen Drama's aufzufrischen versucht hatten, wie
Ponsard. erschien sie interessanter (und zugleich bequemer), als die ideale Ver¬
gangenheit. Mit der Stimme des poetischen und sittlichen Gewissens wußte
man sich leicht abzufinden: man gab dem neuen Drama einen halbwegs sa¬
tyrischen Anstrich, obwol man "ein pathetisches Gemüth, welches vom Ideale
lebhaft durchdrungen ist" nicht aufweisen konnte und der argen Welt weder
einen tragischen noch komischen Untergang bereitete. Man entschädigte, wie
hergebracht, die Tugend sür ihre Entbehrungen mit der Phrase der inneren
Zufriedenheit und ließ jene -- die schlimme Welt, -- nachdem das Publicum
ihrem glücklichen Laufe fünf Acte hindurch mit der größten Spannung, ja mit einer >
heimlichen Befriedigung gefolgt war, endlich im letzten Momente die Segel
einziehen. Aber selbst diesen moralischen Nothbehelf hat man in neuester Zeit
dreingeben. Man läßt die Kluft zwischen der ehrlichen und der zweideutigen
Welt einfach bestehen, geht stillschweigend an ihr vorüber und concentrirt al¬
les Interesse nur auf die letztere, ihre Intriguen und Wechselfülle: man gibt
-- im guten Falle -- ein treffendes, zugleich aufregendes Bild der Wirklich'
keit und überläßt es dem Zuschauer, je nach seiner Natur sür oder gegen die"
selbe Partei zu nehmen. --

Ein fünfactiges Lustspiel von E. Angler, leg ekkroutes, das neuer¬
dings am IlreKtre er-weg-is Glück gemacht hat, bezeichnet diese neue Wendung.
Der Dichter, der früher antike Sitten und Personen in dem Gewand der
Komödie dem überreizten Geschmack des Publicums geboten hatte, mag
doch gefunden haben, daß dieses zwecklose der Wirklichkeit geradezu entgegen¬
gesetzte Spiel der Phantasie zu wenig an der Erde haste und wandte sich zu
dieser zurück; wie natürlich folgt, wo die feste Mitte der sittlichen Lebensmächte
fehlt, ein Extrem auf's andere. In dem Stücke steht dem Speculanten. der
seinen Weg antritt, der gemachte Mann gegenüber; der Neuling strauchelt, be¬
ginnt zu verzagen und alle Welt, dieser voran, dreht ihm den Rücken. Aber
ein Abkömmling der guten edelmännischen Race, der wie ein Gott über dem
Ganzen schwebt und seine Freude daran hat, die neu sich hervvrdrängende
Welt in sich selber zu verstricken, richtet den Gefallenen auf und entdeckt ihm
das richtige Mittel vorwärts zu kommen: rücksichtslose Dreistigkeit, die sich
durch nichts verblüffen läßt. Das Mittel hilft. Der Mann wird Eigenthü¬
mer eines Journals, beeinflußt mit der Beihülfe einer ebenso gewandten als
gemeinen Iournalistenseele die öffentliche Meinung und macht sich mit Zt"'


Börsenspiels in das Reich der Poesie erhuben worden. Die Gesellschaft, welche,
durchgerüttelt durch die tollkühnen Unternehmungen und überraschenden Zufälle
auf dem Gebiete der Speculation, von der Macht des Geldes eine neue An-
schauungs- und Lebensweise empfangen hat. schien den Dichtern ein packender
Stoff; ja, selbst denjenigen, welche im Rückschläge gegen die Romantik das
abgelebte Pathos des classischen Drama's aufzufrischen versucht hatten, wie
Ponsard. erschien sie interessanter (und zugleich bequemer), als die ideale Ver¬
gangenheit. Mit der Stimme des poetischen und sittlichen Gewissens wußte
man sich leicht abzufinden: man gab dem neuen Drama einen halbwegs sa¬
tyrischen Anstrich, obwol man „ein pathetisches Gemüth, welches vom Ideale
lebhaft durchdrungen ist" nicht aufweisen konnte und der argen Welt weder
einen tragischen noch komischen Untergang bereitete. Man entschädigte, wie
hergebracht, die Tugend sür ihre Entbehrungen mit der Phrase der inneren
Zufriedenheit und ließ jene — die schlimme Welt, — nachdem das Publicum
ihrem glücklichen Laufe fünf Acte hindurch mit der größten Spannung, ja mit einer >
heimlichen Befriedigung gefolgt war, endlich im letzten Momente die Segel
einziehen. Aber selbst diesen moralischen Nothbehelf hat man in neuester Zeit
dreingeben. Man läßt die Kluft zwischen der ehrlichen und der zweideutigen
Welt einfach bestehen, geht stillschweigend an ihr vorüber und concentrirt al¬
les Interesse nur auf die letztere, ihre Intriguen und Wechselfülle: man gibt
— im guten Falle — ein treffendes, zugleich aufregendes Bild der Wirklich'
keit und überläßt es dem Zuschauer, je nach seiner Natur sür oder gegen die«
selbe Partei zu nehmen. —

Ein fünfactiges Lustspiel von E. Angler, leg ekkroutes, das neuer¬
dings am IlreKtre er-weg-is Glück gemacht hat, bezeichnet diese neue Wendung.
Der Dichter, der früher antike Sitten und Personen in dem Gewand der
Komödie dem überreizten Geschmack des Publicums geboten hatte, mag
doch gefunden haben, daß dieses zwecklose der Wirklichkeit geradezu entgegen¬
gesetzte Spiel der Phantasie zu wenig an der Erde haste und wandte sich zu
dieser zurück; wie natürlich folgt, wo die feste Mitte der sittlichen Lebensmächte
fehlt, ein Extrem auf's andere. In dem Stücke steht dem Speculanten. der
seinen Weg antritt, der gemachte Mann gegenüber; der Neuling strauchelt, be¬
ginnt zu verzagen und alle Welt, dieser voran, dreht ihm den Rücken. Aber
ein Abkömmling der guten edelmännischen Race, der wie ein Gott über dem
Ganzen schwebt und seine Freude daran hat, die neu sich hervvrdrängende
Welt in sich selber zu verstricken, richtet den Gefallenen auf und entdeckt ihm
das richtige Mittel vorwärts zu kommen: rücksichtslose Dreistigkeit, die sich
durch nichts verblüffen läßt. Das Mittel hilft. Der Mann wird Eigenthü¬
mer eines Journals, beeinflußt mit der Beihülfe einer ebenso gewandten als
gemeinen Iournalistenseele die öffentliche Meinung und macht sich mit Zt"'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/232>, abgerufen am 23.12.2024.