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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Zwiespalt zu gerathen, braucht nicht entrüstet mit der schlimmen Welt zu
brechen; denn die gute Form und manierliche Erscheinung bilden zwischen
beiden eine Art versöhnender Vermittlung. Der innere Bruch und die
Blasirtheit spielen bei uns vielleicht eine größere Rolle als in Frankreich,
weil hier das äußere Treiben nicht in grellen Contrast mit Geist und Charakter
geräth und daher nicht mit erschütternder Gründlichkeit in einen innern Pro¬
ceß umgesetzt wird. -- Auch haben die bedenklichen Welthändel den Taumel
des Börsenspiels wieder etwas gedämpft, man beginnt mehr einem langsamen,
aber steten und sichern Erwerb nachzugehen und in Folge dessen den zügel¬
losen Leichtsinn des Verbrauchs zu mäßigen. Aber das Ueble ist, daß sich die
Sphäre des erschwindelten Luxus und der ÄLini-monäö als eine feste,
dauernde Welt in das Gesammtleben der Nation eingekeilt hat und als ein
zweites, durch die Gewohnheit berechtigtes Reich neben dem der wirklichen
Sitte ungestört einhergeht.

Die Folgen dieses Mißverhältnisses bleiben nicht aus. Indem nun die
Leidenschaften, Conflicte des Herzens, Lebenslust und Uebermuth fast aus¬
schließlich in jener abenteuerlichen Welt spielen, wird das Leben der Arbeit
und der Familie zur Prosa einer nüchternen, im einförmigen Fluß hinschlei¬
chenden Pflichtexistenz. Tiefe Empfindungen, innerliche Kämpfe, alle die
Stimmungen eines erregten Gemüthes, welche das Individuum läutern und
dem Dasein den Reiz der Bewegung geben, erfüllen und Hilden nicht mehr
das sittliche Leben; und da es in der anderen Sphäre, aus der Börse und in
der üemi-nouae, einen ernstlichen Kampf von Pflicht und Neigung, ein packen¬
des Gefühl überhaupt nicht gibt, so ist es im Grunde mit dem ganzen
Treiben und Drängen der ausgewühlten Seele so ziemlich vorbei. Damit
aber fehlt die Bildung des Herzens und die Entwicklung des Charakters; all
der Reiz innerlicher Beziehungen, begeisterter Ausbrüche, aufrüttelnder, ergrei¬
fender Verhältnisse, das Wogen und Fluchen des Gemüthes, das wol den
Sand aufwirbelt, aber auch die Edelsteine an die Oberfläche bringt. Dagegen
bildet sich in jener leichtfertigen Welt für diesen Mangel ein eigenthümlicher
Ersatz: du: fieberhafte Steigerung des Genußlebens und die Ausgelassenheit
der durch kein Band gehaltenen Sitte bringen in Verbindung mit dem ver¬
schwenderischen Aufwand Scenen und Verhältnisse von der abenteuerlichste"
Art hervor. Indem sich nun in diese der esxrit mit allem seinem Witz uno
seiner Laune kopfüber stürzt und ein Rest von Herzenswärme mit der Kälte
der Verfeinerung den Kampf aufnimmt, kommt in jene Vorfälle ein Reiz und
Schimmer von innerem Leben, die Würze des Contrastes von reinem Ge¬
fühl und Ausschweifung. Es ist ein tolles Spiel von Jubel, bei dem Keinem
ganz wohl wird, und von Verzweiflung, die über sich selber lacht, ein SB'
Verwickeln und Entwirrer von seltsamen Beziehungen, widerstreitenden Leider -


Zwiespalt zu gerathen, braucht nicht entrüstet mit der schlimmen Welt zu
brechen; denn die gute Form und manierliche Erscheinung bilden zwischen
beiden eine Art versöhnender Vermittlung. Der innere Bruch und die
Blasirtheit spielen bei uns vielleicht eine größere Rolle als in Frankreich,
weil hier das äußere Treiben nicht in grellen Contrast mit Geist und Charakter
geräth und daher nicht mit erschütternder Gründlichkeit in einen innern Pro¬
ceß umgesetzt wird. — Auch haben die bedenklichen Welthändel den Taumel
des Börsenspiels wieder etwas gedämpft, man beginnt mehr einem langsamen,
aber steten und sichern Erwerb nachzugehen und in Folge dessen den zügel¬
losen Leichtsinn des Verbrauchs zu mäßigen. Aber das Ueble ist, daß sich die
Sphäre des erschwindelten Luxus und der ÄLini-monäö als eine feste,
dauernde Welt in das Gesammtleben der Nation eingekeilt hat und als ein
zweites, durch die Gewohnheit berechtigtes Reich neben dem der wirklichen
Sitte ungestört einhergeht.

Die Folgen dieses Mißverhältnisses bleiben nicht aus. Indem nun die
Leidenschaften, Conflicte des Herzens, Lebenslust und Uebermuth fast aus¬
schließlich in jener abenteuerlichen Welt spielen, wird das Leben der Arbeit
und der Familie zur Prosa einer nüchternen, im einförmigen Fluß hinschlei¬
chenden Pflichtexistenz. Tiefe Empfindungen, innerliche Kämpfe, alle die
Stimmungen eines erregten Gemüthes, welche das Individuum läutern und
dem Dasein den Reiz der Bewegung geben, erfüllen und Hilden nicht mehr
das sittliche Leben; und da es in der anderen Sphäre, aus der Börse und in
der üemi-nouae, einen ernstlichen Kampf von Pflicht und Neigung, ein packen¬
des Gefühl überhaupt nicht gibt, so ist es im Grunde mit dem ganzen
Treiben und Drängen der ausgewühlten Seele so ziemlich vorbei. Damit
aber fehlt die Bildung des Herzens und die Entwicklung des Charakters; all
der Reiz innerlicher Beziehungen, begeisterter Ausbrüche, aufrüttelnder, ergrei¬
fender Verhältnisse, das Wogen und Fluchen des Gemüthes, das wol den
Sand aufwirbelt, aber auch die Edelsteine an die Oberfläche bringt. Dagegen
bildet sich in jener leichtfertigen Welt für diesen Mangel ein eigenthümlicher
Ersatz: du: fieberhafte Steigerung des Genußlebens und die Ausgelassenheit
der durch kein Band gehaltenen Sitte bringen in Verbindung mit dem ver¬
schwenderischen Aufwand Scenen und Verhältnisse von der abenteuerlichste"
Art hervor. Indem sich nun in diese der esxrit mit allem seinem Witz uno
seiner Laune kopfüber stürzt und ein Rest von Herzenswärme mit der Kälte
der Verfeinerung den Kampf aufnimmt, kommt in jene Vorfälle ein Reiz und
Schimmer von innerem Leben, die Würze des Contrastes von reinem Ge¬
fühl und Ausschweifung. Es ist ein tolles Spiel von Jubel, bei dem Keinem
ganz wohl wird, und von Verzweiflung, die über sich selber lacht, ein SB'
Verwickeln und Entwirrer von seltsamen Beziehungen, widerstreitenden Leider -


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[0226] Zwiespalt zu gerathen, braucht nicht entrüstet mit der schlimmen Welt zu brechen; denn die gute Form und manierliche Erscheinung bilden zwischen beiden eine Art versöhnender Vermittlung. Der innere Bruch und die Blasirtheit spielen bei uns vielleicht eine größere Rolle als in Frankreich, weil hier das äußere Treiben nicht in grellen Contrast mit Geist und Charakter geräth und daher nicht mit erschütternder Gründlichkeit in einen innern Pro¬ ceß umgesetzt wird. — Auch haben die bedenklichen Welthändel den Taumel des Börsenspiels wieder etwas gedämpft, man beginnt mehr einem langsamen, aber steten und sichern Erwerb nachzugehen und in Folge dessen den zügel¬ losen Leichtsinn des Verbrauchs zu mäßigen. Aber das Ueble ist, daß sich die Sphäre des erschwindelten Luxus und der ÄLini-monäö als eine feste, dauernde Welt in das Gesammtleben der Nation eingekeilt hat und als ein zweites, durch die Gewohnheit berechtigtes Reich neben dem der wirklichen Sitte ungestört einhergeht. Die Folgen dieses Mißverhältnisses bleiben nicht aus. Indem nun die Leidenschaften, Conflicte des Herzens, Lebenslust und Uebermuth fast aus¬ schließlich in jener abenteuerlichen Welt spielen, wird das Leben der Arbeit und der Familie zur Prosa einer nüchternen, im einförmigen Fluß hinschlei¬ chenden Pflichtexistenz. Tiefe Empfindungen, innerliche Kämpfe, alle die Stimmungen eines erregten Gemüthes, welche das Individuum läutern und dem Dasein den Reiz der Bewegung geben, erfüllen und Hilden nicht mehr das sittliche Leben; und da es in der anderen Sphäre, aus der Börse und in der üemi-nouae, einen ernstlichen Kampf von Pflicht und Neigung, ein packen¬ des Gefühl überhaupt nicht gibt, so ist es im Grunde mit dem ganzen Treiben und Drängen der ausgewühlten Seele so ziemlich vorbei. Damit aber fehlt die Bildung des Herzens und die Entwicklung des Charakters; all der Reiz innerlicher Beziehungen, begeisterter Ausbrüche, aufrüttelnder, ergrei¬ fender Verhältnisse, das Wogen und Fluchen des Gemüthes, das wol den Sand aufwirbelt, aber auch die Edelsteine an die Oberfläche bringt. Dagegen bildet sich in jener leichtfertigen Welt für diesen Mangel ein eigenthümlicher Ersatz: du: fieberhafte Steigerung des Genußlebens und die Ausgelassenheit der durch kein Band gehaltenen Sitte bringen in Verbindung mit dem ver¬ schwenderischen Aufwand Scenen und Verhältnisse von der abenteuerlichste" Art hervor. Indem sich nun in diese der esxrit mit allem seinem Witz uno seiner Laune kopfüber stürzt und ein Rest von Herzenswärme mit der Kälte der Verfeinerung den Kampf aufnimmt, kommt in jene Vorfälle ein Reiz und Schimmer von innerem Leben, die Würze des Contrastes von reinem Ge¬ fühl und Ausschweifung. Es ist ein tolles Spiel von Jubel, bei dem Keinem ganz wohl wird, und von Verzweiflung, die über sich selber lacht, ein SB' Verwickeln und Entwirrer von seltsamen Beziehungen, widerstreitenden Leider -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/226>, abgerufen am 26.08.2024.