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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Ähnlichkeiten zwischen dem Japaner und dem Chinesen, aber ich glaube
fast noch mehr Mischen dem Japaner und dem Polen; viele davon
sind zu subtiler Natur, sie erscheinen dem Auge zu streiftlichtartig. um sie
allein mit der Feder fixiren zu können: es müßte die bildliche und drastische
Darstellung hinzutreten; mir aber persönlich, dem die polnische Welt geläufig
ist, sind diese bisweilen aufblitzenden Aehnlichkeiten hoch überraschend gewesen.
Die Tartare" waren die Normannen des Ostens und die Repräsentanten der
astatischen Ritterlichkeit; eine gewisse elegante Ritterlichkett sitzt tief im gemein¬
sten Polen wie im gemeinsten Japaner, nur mit dem Unterschiede, daß die
polnische Ritterlichkeit fast zur Farye ausgeartet, oft hohl, selbstbewußt, präten¬
tiös und zuweilen sentimental ist. während die japanische ganz unbewußt, kindlich
natürlich, vernünftiger ist. Dem Chinesen ist nur die durch alleräußerste Ver¬
nünftigkeit sich aufhebende Ritterlichkeit des Wolfes geblieben, der das Lamm
verschont, wenn er ein Schaaf haben kann. Der Pole wie der Japaner
sind beide bedürfnißlos und genügsam; abgehärtet gegen Witterungseinflüsse,
überall auf der ersten besten'Matte sich zum Schlaf hinstreckend ohne Kopf¬
kissen, ohne Decke, arbeitsam -- bis der Lebensunterhalt für den Tag gedeckt
ist. nicht einen Strich weiter, dann aber das Erworbene lustig verjubelnd, un¬
bekümmert um das, was der Morgen bringen wird, der Pole mehr in geistigen Ge¬
tränken, der Japaner mehr in Liebe. Diese Leichtlebigkeit, die barfuß oder
in leichten Stroh-Sandalen über Schwierigkeiten und Kummer hinwegschlüpft,
und die in beiden Nationen mitunter etwas hinreißend Naives und Liebens¬
würdiges hat, bildet die Kehrseite der germanischen Natur, die schwerfällig
in nägelbeschlagenen Schuhen einhertritt, sich schweißtriefend, gedankenvoll bis
zur scheidenden Sonne plante und sich härmt, weil sie nicht weiß, wie es im
nächsten Monate oder im nächsten Jahre werden wird. Die chinesische Natur
steht hierin der germanischen nahe; auch der Chinese plagt sich hart und ar¬
beitet sauer über das Bedürfniß des Augenblicks hinaus; aber er ist zugleich
ein geborner Verschwender, er ist ein Fresser und ein Spieler.

Auch der Japaner spielt gerne, aber selten um Geld, und dann um
Kleinigkeiten, seine Spiele sind Kampfe der > körperlichen oder geistigen Ge-
schicklichkeit; man sieht sie überall, wenn sie Zeit haben, auf ihren Matten
bei einem complicirten Spiele sitzen, das aus Schach und Damenbrett zu¬
sammengesetzt ist und das sie. wie wir unser Schach, der Ehre wegen spielen.
Ich wähle irgend ein anderes beliebiges Beispiel, welches den Unterschied
nach einer andern Seite hin klar stellen wird. Man weiß, daß das Vergnü¬
gen, welches unsere Jugend bisweilen exercirt, Drachen steigen zu lassen,
wol eigentlich aus China stammt/ In China und Japan ist es ein allge¬
meines Volksvergnügen, dem Alt und Jung huldigt. Nun ist die Fabrikation
des chinesischen Drachen eine Sache der Eitelkeit, Sache der Kunst geworden
die Phantasie erfindet täglich neue abenteuerliche Gestalten, in welche sie ihn
kleidet; Thiere. Häuser, Bäume, ganze Gruppen schweben durch die Luft.
selbst Stimme haben sie ihm eingeflößt, denn es gibt auch singende Drachen.
Das ganze Vergnügen des Chinesen bestellt nur darin, irgend ein solches
pomphaft prahlerisch ausstaffirtes Ungeheuer nach den einfachen aeronautischen
Gesetzen steigen zu lassen. Der japanische Drache hat nichts von alledem;
er ist ein einfaches viereckiges Stück Papier, höchstens mit einfachen Farben
bemalt; nickt in dem an sich kindischen und eintönigen Vergnügen ihn steigen
zu lassen, besteht für den Japaner der Reiz des Spiels. -- er verbindet einen
Kampf der Geschicklichkeit damit. Es handelt sich darum, andere Luftschiffer
auszusuchen und sie hoch in der Luft, dicht unter dem Drachen selbst, abzu¬
schneiden,*) Diesem Vergnügen sind großartige Volksfeste gewidmet.



") Das obere Ende des aus Papier gedrehten Fadens ist zu diesem Zwecke mit einer

Ähnlichkeiten zwischen dem Japaner und dem Chinesen, aber ich glaube
fast noch mehr Mischen dem Japaner und dem Polen; viele davon
sind zu subtiler Natur, sie erscheinen dem Auge zu streiftlichtartig. um sie
allein mit der Feder fixiren zu können: es müßte die bildliche und drastische
Darstellung hinzutreten; mir aber persönlich, dem die polnische Welt geläufig
ist, sind diese bisweilen aufblitzenden Aehnlichkeiten hoch überraschend gewesen.
Die Tartare» waren die Normannen des Ostens und die Repräsentanten der
astatischen Ritterlichkeit; eine gewisse elegante Ritterlichkett sitzt tief im gemein¬
sten Polen wie im gemeinsten Japaner, nur mit dem Unterschiede, daß die
polnische Ritterlichkeit fast zur Farye ausgeartet, oft hohl, selbstbewußt, präten¬
tiös und zuweilen sentimental ist. während die japanische ganz unbewußt, kindlich
natürlich, vernünftiger ist. Dem Chinesen ist nur die durch alleräußerste Ver¬
nünftigkeit sich aufhebende Ritterlichkeit des Wolfes geblieben, der das Lamm
verschont, wenn er ein Schaaf haben kann. Der Pole wie der Japaner
sind beide bedürfnißlos und genügsam; abgehärtet gegen Witterungseinflüsse,
überall auf der ersten besten'Matte sich zum Schlaf hinstreckend ohne Kopf¬
kissen, ohne Decke, arbeitsam — bis der Lebensunterhalt für den Tag gedeckt
ist. nicht einen Strich weiter, dann aber das Erworbene lustig verjubelnd, un¬
bekümmert um das, was der Morgen bringen wird, der Pole mehr in geistigen Ge¬
tränken, der Japaner mehr in Liebe. Diese Leichtlebigkeit, die barfuß oder
in leichten Stroh-Sandalen über Schwierigkeiten und Kummer hinwegschlüpft,
und die in beiden Nationen mitunter etwas hinreißend Naives und Liebens¬
würdiges hat, bildet die Kehrseite der germanischen Natur, die schwerfällig
in nägelbeschlagenen Schuhen einhertritt, sich schweißtriefend, gedankenvoll bis
zur scheidenden Sonne plante und sich härmt, weil sie nicht weiß, wie es im
nächsten Monate oder im nächsten Jahre werden wird. Die chinesische Natur
steht hierin der germanischen nahe; auch der Chinese plagt sich hart und ar¬
beitet sauer über das Bedürfniß des Augenblicks hinaus; aber er ist zugleich
ein geborner Verschwender, er ist ein Fresser und ein Spieler.

Auch der Japaner spielt gerne, aber selten um Geld, und dann um
Kleinigkeiten, seine Spiele sind Kampfe der > körperlichen oder geistigen Ge-
schicklichkeit; man sieht sie überall, wenn sie Zeit haben, auf ihren Matten
bei einem complicirten Spiele sitzen, das aus Schach und Damenbrett zu¬
sammengesetzt ist und das sie. wie wir unser Schach, der Ehre wegen spielen.
Ich wähle irgend ein anderes beliebiges Beispiel, welches den Unterschied
nach einer andern Seite hin klar stellen wird. Man weiß, daß das Vergnü¬
gen, welches unsere Jugend bisweilen exercirt, Drachen steigen zu lassen,
wol eigentlich aus China stammt/ In China und Japan ist es ein allge¬
meines Volksvergnügen, dem Alt und Jung huldigt. Nun ist die Fabrikation
des chinesischen Drachen eine Sache der Eitelkeit, Sache der Kunst geworden
die Phantasie erfindet täglich neue abenteuerliche Gestalten, in welche sie ihn
kleidet; Thiere. Häuser, Bäume, ganze Gruppen schweben durch die Luft.
selbst Stimme haben sie ihm eingeflößt, denn es gibt auch singende Drachen.
Das ganze Vergnügen des Chinesen bestellt nur darin, irgend ein solches
pomphaft prahlerisch ausstaffirtes Ungeheuer nach den einfachen aeronautischen
Gesetzen steigen zu lassen. Der japanische Drache hat nichts von alledem;
er ist ein einfaches viereckiges Stück Papier, höchstens mit einfachen Farben
bemalt; nickt in dem an sich kindischen und eintönigen Vergnügen ihn steigen
zu lassen, besteht für den Japaner der Reiz des Spiels. — er verbindet einen
Kampf der Geschicklichkeit damit. Es handelt sich darum, andere Luftschiffer
auszusuchen und sie hoch in der Luft, dicht unter dem Drachen selbst, abzu¬
schneiden,*) Diesem Vergnügen sind großartige Volksfeste gewidmet.



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[0206] Ähnlichkeiten zwischen dem Japaner und dem Chinesen, aber ich glaube fast noch mehr Mischen dem Japaner und dem Polen; viele davon sind zu subtiler Natur, sie erscheinen dem Auge zu streiftlichtartig. um sie allein mit der Feder fixiren zu können: es müßte die bildliche und drastische Darstellung hinzutreten; mir aber persönlich, dem die polnische Welt geläufig ist, sind diese bisweilen aufblitzenden Aehnlichkeiten hoch überraschend gewesen. Die Tartare» waren die Normannen des Ostens und die Repräsentanten der astatischen Ritterlichkeit; eine gewisse elegante Ritterlichkett sitzt tief im gemein¬ sten Polen wie im gemeinsten Japaner, nur mit dem Unterschiede, daß die polnische Ritterlichkeit fast zur Farye ausgeartet, oft hohl, selbstbewußt, präten¬ tiös und zuweilen sentimental ist. während die japanische ganz unbewußt, kindlich natürlich, vernünftiger ist. Dem Chinesen ist nur die durch alleräußerste Ver¬ nünftigkeit sich aufhebende Ritterlichkeit des Wolfes geblieben, der das Lamm verschont, wenn er ein Schaaf haben kann. Der Pole wie der Japaner sind beide bedürfnißlos und genügsam; abgehärtet gegen Witterungseinflüsse, überall auf der ersten besten'Matte sich zum Schlaf hinstreckend ohne Kopf¬ kissen, ohne Decke, arbeitsam — bis der Lebensunterhalt für den Tag gedeckt ist. nicht einen Strich weiter, dann aber das Erworbene lustig verjubelnd, un¬ bekümmert um das, was der Morgen bringen wird, der Pole mehr in geistigen Ge¬ tränken, der Japaner mehr in Liebe. Diese Leichtlebigkeit, die barfuß oder in leichten Stroh-Sandalen über Schwierigkeiten und Kummer hinwegschlüpft, und die in beiden Nationen mitunter etwas hinreißend Naives und Liebens¬ würdiges hat, bildet die Kehrseite der germanischen Natur, die schwerfällig in nägelbeschlagenen Schuhen einhertritt, sich schweißtriefend, gedankenvoll bis zur scheidenden Sonne plante und sich härmt, weil sie nicht weiß, wie es im nächsten Monate oder im nächsten Jahre werden wird. Die chinesische Natur steht hierin der germanischen nahe; auch der Chinese plagt sich hart und ar¬ beitet sauer über das Bedürfniß des Augenblicks hinaus; aber er ist zugleich ein geborner Verschwender, er ist ein Fresser und ein Spieler. Auch der Japaner spielt gerne, aber selten um Geld, und dann um Kleinigkeiten, seine Spiele sind Kampfe der > körperlichen oder geistigen Ge- schicklichkeit; man sieht sie überall, wenn sie Zeit haben, auf ihren Matten bei einem complicirten Spiele sitzen, das aus Schach und Damenbrett zu¬ sammengesetzt ist und das sie. wie wir unser Schach, der Ehre wegen spielen. Ich wähle irgend ein anderes beliebiges Beispiel, welches den Unterschied nach einer andern Seite hin klar stellen wird. Man weiß, daß das Vergnü¬ gen, welches unsere Jugend bisweilen exercirt, Drachen steigen zu lassen, wol eigentlich aus China stammt/ In China und Japan ist es ein allge¬ meines Volksvergnügen, dem Alt und Jung huldigt. Nun ist die Fabrikation des chinesischen Drachen eine Sache der Eitelkeit, Sache der Kunst geworden die Phantasie erfindet täglich neue abenteuerliche Gestalten, in welche sie ihn kleidet; Thiere. Häuser, Bäume, ganze Gruppen schweben durch die Luft. selbst Stimme haben sie ihm eingeflößt, denn es gibt auch singende Drachen. Das ganze Vergnügen des Chinesen bestellt nur darin, irgend ein solches pomphaft prahlerisch ausstaffirtes Ungeheuer nach den einfachen aeronautischen Gesetzen steigen zu lassen. Der japanische Drache hat nichts von alledem; er ist ein einfaches viereckiges Stück Papier, höchstens mit einfachen Farben bemalt; nickt in dem an sich kindischen und eintönigen Vergnügen ihn steigen zu lassen, besteht für den Japaner der Reiz des Spiels. — er verbindet einen Kampf der Geschicklichkeit damit. Es handelt sich darum, andere Luftschiffer auszusuchen und sie hoch in der Luft, dicht unter dem Drachen selbst, abzu¬ schneiden,*) Diesem Vergnügen sind großartige Volksfeste gewidmet. ") Das obere Ende des aus Papier gedrehten Fadens ist zu diesem Zwecke mit einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/206>, abgerufen am 23.12.2024.