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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Spuren, daß sie früher zur abyssinischen Kirche gehört haben. Indeß hat die
Entfernung vom Mittelpunkt dieser Kirche nach und nach alle Kenntniß christ¬
lichen Glaubens (von christlicher Moral ist auch in Abyssinien nicht viel die
Rede) erlöschen lassen. So besteht das Christenthum der Bogos eigentlich
nur in einigen wenigen äußerlichen Gebräuchen. Sie essen kein von Moham¬
medanern geschlachtetes Fleisch, keine Hasen, Straußen und Elephanten. Der
Sonntag heißt "großer Sabbath," doch wird die Sabbathruhe am Sonnabend
gehalten. Zu den beiden Kirchen in Keren und Mogarech gehören erbliche
Priester, die aber weder getauft, noch geweiht sind, noch irgendwelche Kenntniß
von Dogmen und biblischer Geschichte besitzen, sondern nur dazu da sind, an
den Hauptfesten zwei neben der Kirche aufgehangene Schieferplatten an ein¬
ander zu schlagen, was die Glocke vorstellen soll. Die Festtage werden ledig¬
lich durch Enthaltung von der Arbeit gefeiert. Die Namen Gott, Jesus, Drei¬
einigkeit werden häusig gehört, niemand aber hat einen Begriff davon, was
sie bedeuten. Die Jungfrau Maria wird von den Frauen in Kindsnöthen
angerufen; daß sie die Mutter des Heilandes ist, ist unbekannt. Mangelt es
an Regen, so gehen die Frauen in Procession um die Kirche und rufen:
"Egzio maherenna Kristos!" d. h. Herr, erbarme dich unser, Christus! An¬
dere Gebete sind nicht im Gebrauch, und man kennt nicht einmal das Vater¬
unser. Die Begriffe Gott und Himmel, dann Seele und Athem werden durch
dieselben Worte ausgedrückt. Ueberhaupt ist den Bogos Alles, was mit der
Religion zusammenhangt, die letzte Sorge und ihr Christenthum nichts als
ein Name erhalten durch die Anhänglichkeit aller abyssinischen Völkerschaften
an alles Alte und Hergebrachte. Weit mehr als die Religion übt der
Aberglaube Einfluß auf ihr Leben. Man fürchte Hexerei, bösen Blick, Ko¬
meten, Wehrwölfe, glaubt an Wahrsagung, vorbedeutende Träume, Vogel¬
orakel und Talismane und beobachtet eine Menge von Regeln, die sämmtlich
auf Aberglauben hinauslaufen.

Welche Begriffe von Gut und Böse unter den Bogos herrschen, mag
folgende Uebersicht über das zeigen, was hier zu Lande nach Munzingers Be¬
ichten Tugend heißt. Ein Tugendhafter wird genannt: der Unerschrockne,
der vor keiner Gefahr flieht" der Bluträchcr, der die gegen seinen Stamm
geübte Gewaltthat nie genug gerächt glaubt, der Herr, der seinen Schützling
"der Diener wacker vertritt, der Schweigsame, der seine Pläne bis zu dem
für die Ausführung günstigen Augenblick in sich verschließt. Als tugendhaft
geehrt wird ferner der Höfliche, der für Freund und Feind gleich freundliche
dienen und gleich gute Worte hat, der Stolze, der nie etwas unter seiner
vermeintlichen Würde thut, der Träge, der gemeine Arbeit verschmäht,
ö- B. niemals Kühe meill, der Reiche, der viele Kühe und Kinder hat, der
Großmüthige, der über den todten Feind Thränen vergießt, der Freigebige


Spuren, daß sie früher zur abyssinischen Kirche gehört haben. Indeß hat die
Entfernung vom Mittelpunkt dieser Kirche nach und nach alle Kenntniß christ¬
lichen Glaubens (von christlicher Moral ist auch in Abyssinien nicht viel die
Rede) erlöschen lassen. So besteht das Christenthum der Bogos eigentlich
nur in einigen wenigen äußerlichen Gebräuchen. Sie essen kein von Moham¬
medanern geschlachtetes Fleisch, keine Hasen, Straußen und Elephanten. Der
Sonntag heißt „großer Sabbath," doch wird die Sabbathruhe am Sonnabend
gehalten. Zu den beiden Kirchen in Keren und Mogarech gehören erbliche
Priester, die aber weder getauft, noch geweiht sind, noch irgendwelche Kenntniß
von Dogmen und biblischer Geschichte besitzen, sondern nur dazu da sind, an
den Hauptfesten zwei neben der Kirche aufgehangene Schieferplatten an ein¬
ander zu schlagen, was die Glocke vorstellen soll. Die Festtage werden ledig¬
lich durch Enthaltung von der Arbeit gefeiert. Die Namen Gott, Jesus, Drei¬
einigkeit werden häusig gehört, niemand aber hat einen Begriff davon, was
sie bedeuten. Die Jungfrau Maria wird von den Frauen in Kindsnöthen
angerufen; daß sie die Mutter des Heilandes ist, ist unbekannt. Mangelt es
an Regen, so gehen die Frauen in Procession um die Kirche und rufen:
„Egzio maherenna Kristos!" d. h. Herr, erbarme dich unser, Christus! An¬
dere Gebete sind nicht im Gebrauch, und man kennt nicht einmal das Vater¬
unser. Die Begriffe Gott und Himmel, dann Seele und Athem werden durch
dieselben Worte ausgedrückt. Ueberhaupt ist den Bogos Alles, was mit der
Religion zusammenhangt, die letzte Sorge und ihr Christenthum nichts als
ein Name erhalten durch die Anhänglichkeit aller abyssinischen Völkerschaften
an alles Alte und Hergebrachte. Weit mehr als die Religion übt der
Aberglaube Einfluß auf ihr Leben. Man fürchte Hexerei, bösen Blick, Ko¬
meten, Wehrwölfe, glaubt an Wahrsagung, vorbedeutende Träume, Vogel¬
orakel und Talismane und beobachtet eine Menge von Regeln, die sämmtlich
auf Aberglauben hinauslaufen.

Welche Begriffe von Gut und Böse unter den Bogos herrschen, mag
folgende Uebersicht über das zeigen, was hier zu Lande nach Munzingers Be¬
ichten Tugend heißt. Ein Tugendhafter wird genannt: der Unerschrockne,
der vor keiner Gefahr flieht» der Bluträchcr, der die gegen seinen Stamm
geübte Gewaltthat nie genug gerächt glaubt, der Herr, der seinen Schützling
"der Diener wacker vertritt, der Schweigsame, der seine Pläne bis zu dem
für die Ausführung günstigen Augenblick in sich verschließt. Als tugendhaft
geehrt wird ferner der Höfliche, der für Freund und Feind gleich freundliche
dienen und gleich gute Worte hat, der Stolze, der nie etwas unter seiner
vermeintlichen Würde thut, der Träge, der gemeine Arbeit verschmäht,
ö- B. niemals Kühe meill, der Reiche, der viele Kühe und Kinder hat, der
Großmüthige, der über den todten Feind Thränen vergießt, der Freigebige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/183>, abgerufen am 23.07.2024.