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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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staatsmännischen Thätigkeit Bcilbo's, dem im Jahr 1848 die erste Rolle zu¬
gefallen war, mit Evidenz ergibt. Ohne natürlich für das Scheitern der da¬
maligen Revolution den Ministerpräsidenten Carl Alberts verantwortlich zu
machen, erscheint es doch mehr als zweifelhaft, ob, auch unter andern, günsti¬
geren Umständen er, der niemals glauben konnte, daß die Mittel friedlicher
Verständigung erschöpft seien, der rechte Mann gewesen wäre, die Bewegung
ihrem Ziele zuzuführen. Noch in neuerer Zeit hat die Reaction es versucht,
aus seinen parlamentarischen Reden Waffen gegen die heutige Bewegung
zu schmieden, und in der That hat sein Tod es im Ungewissen gelassen, wie
er dem heutigen Stand der italienischen Fragen gegenüber seine Stellung
nehmen würde. Reuchlin glaubt zwar in einer seiner letzten Aeußerungen eine
Ahnung, wenn nicht eine Anerkennung der Nothwendigkeit der Cavourschen
Allianzpolitik zu finden. Allein wenn wir erwägen, mit welcher Entschieden¬
heit er dem Unitarismus Mazzini's entgegentrat, und den Einheitsstaat nicht
minder bekämpfte als die Revolution, wenn wir seine kirchliche Gesinnung er¬
wägen, seine Vertheidigung der weltlichen Herrschaft des Papstes, die ihm
gradezu ein Postulat der nationalen Unabhängigkeit war, wenn wir sehen, wie er
noch in den letzten Zeiten an die Möglichkeit eines Erfolges von Unterhand¬
lungen mit der Curie glaubte, so dürfen wir ihn vielleicht glücklich preisen,
daß ihn das Geschick zur rechten Zeit, vor der Einleitung der gegenwärtigen
Revolution hinwegnahm und ihm damit schmerzliche Conflicte ersparte, deren
Vorboten bereits angefangen hatten, den Abend seines Lebens trüber zu ge¬
stalten. Die Bewegung war über ihn hinausgeschritten, und sie mußte diesen
Schritt thun, wenn sie praktisch werden wollte.

Auch diese Entwicklungen aber sind ernster Erwägung werth, wenn es sich
darum handelt, die nationale Bewegung Italiens und Deutschlands in Parallele
zu stellen. Um hier nur noch an Einen Punkt zu erinnern, so findet man
in der Regel einen principiellen Unterschied zwischen beiden darin, daß die
Bewegung in Italien dem Einheitsstaat zugestrebt habe, während in Deutsch¬
land die Idee der Conföderation im Mittelpunkt der nationalen Bestrebungen
steht. Man möge siedet aber nicht übersehen, daß in Italien der provinzielle
Particularismus in Natur und Geschichte nicht minder begründet war als in
Deutschland, daß seine Widerstandskräfte kaum minder stark waren, daß noch zu
den Zeiten Balbo's und Gioberti's von der Mehrzahl der Patrioten der Ein¬
heitsstaat als chimärisch verworfen wurde, daß endlich selbst Cavour vor der
sicilischen Expedition Garibaldi's schwerlich an die nahe Verwirklichung des Ein¬
heitsstaates dachte. Gleichwohl nahm die Bewegung mit reißender Schnellig¬
keit den bekannten Verlauf, einfach weil durch den starren Widerstand, den
d'e particulären Mächte selbst der loseren Form der bundesstaatlichen Einheit
entgegensetzten, die Idee der Nationalität immer stärker und anspruchsvoller


staatsmännischen Thätigkeit Bcilbo's, dem im Jahr 1848 die erste Rolle zu¬
gefallen war, mit Evidenz ergibt. Ohne natürlich für das Scheitern der da¬
maligen Revolution den Ministerpräsidenten Carl Alberts verantwortlich zu
machen, erscheint es doch mehr als zweifelhaft, ob, auch unter andern, günsti¬
geren Umständen er, der niemals glauben konnte, daß die Mittel friedlicher
Verständigung erschöpft seien, der rechte Mann gewesen wäre, die Bewegung
ihrem Ziele zuzuführen. Noch in neuerer Zeit hat die Reaction es versucht,
aus seinen parlamentarischen Reden Waffen gegen die heutige Bewegung
zu schmieden, und in der That hat sein Tod es im Ungewissen gelassen, wie
er dem heutigen Stand der italienischen Fragen gegenüber seine Stellung
nehmen würde. Reuchlin glaubt zwar in einer seiner letzten Aeußerungen eine
Ahnung, wenn nicht eine Anerkennung der Nothwendigkeit der Cavourschen
Allianzpolitik zu finden. Allein wenn wir erwägen, mit welcher Entschieden¬
heit er dem Unitarismus Mazzini's entgegentrat, und den Einheitsstaat nicht
minder bekämpfte als die Revolution, wenn wir seine kirchliche Gesinnung er¬
wägen, seine Vertheidigung der weltlichen Herrschaft des Papstes, die ihm
gradezu ein Postulat der nationalen Unabhängigkeit war, wenn wir sehen, wie er
noch in den letzten Zeiten an die Möglichkeit eines Erfolges von Unterhand¬
lungen mit der Curie glaubte, so dürfen wir ihn vielleicht glücklich preisen,
daß ihn das Geschick zur rechten Zeit, vor der Einleitung der gegenwärtigen
Revolution hinwegnahm und ihm damit schmerzliche Conflicte ersparte, deren
Vorboten bereits angefangen hatten, den Abend seines Lebens trüber zu ge¬
stalten. Die Bewegung war über ihn hinausgeschritten, und sie mußte diesen
Schritt thun, wenn sie praktisch werden wollte.

Auch diese Entwicklungen aber sind ernster Erwägung werth, wenn es sich
darum handelt, die nationale Bewegung Italiens und Deutschlands in Parallele
zu stellen. Um hier nur noch an Einen Punkt zu erinnern, so findet man
in der Regel einen principiellen Unterschied zwischen beiden darin, daß die
Bewegung in Italien dem Einheitsstaat zugestrebt habe, während in Deutsch¬
land die Idee der Conföderation im Mittelpunkt der nationalen Bestrebungen
steht. Man möge siedet aber nicht übersehen, daß in Italien der provinzielle
Particularismus in Natur und Geschichte nicht minder begründet war als in
Deutschland, daß seine Widerstandskräfte kaum minder stark waren, daß noch zu
den Zeiten Balbo's und Gioberti's von der Mehrzahl der Patrioten der Ein¬
heitsstaat als chimärisch verworfen wurde, daß endlich selbst Cavour vor der
sicilischen Expedition Garibaldi's schwerlich an die nahe Verwirklichung des Ein¬
heitsstaates dachte. Gleichwohl nahm die Bewegung mit reißender Schnellig¬
keit den bekannten Verlauf, einfach weil durch den starren Widerstand, den
d'e particulären Mächte selbst der loseren Form der bundesstaatlichen Einheit
entgegensetzten, die Idee der Nationalität immer stärker und anspruchsvoller


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/159>, abgerufen am 22.07.2024.