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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Weise gelöst: man gab dem zurücktretenden ersten Stock statt vernünftiger
Fenster, wie sie sonst am Gebäude sich finden: eine ungeheure Fensterrose, dein
Ornament des Balkons ein halbgothisches Gepräge, brachte selbst in den
Mansarden -- einer Erfindung der französischen Renaissance -- einige gothische
Reminiscenzen an und glaubte so den Bau mit der Kirche in Einklang ge¬
bracht zu haben, da man ihn doch nur verhunzt hat. Die Rcnaissanceorna-
mente des kleinen Palastes sind zierlich, sauber und mit Sorgfalt gehauen,
auch die Verhältnisse der Fenster, die Eintheilung der Massen nicht ohne An¬
muth. Und nun stelle man sich auf dem Gesichte des niedlichen Wesens die
plumpe ungeheure Fensterrose vor, wie eine Maske, welche die natürlichen
Züge verschlungen zu haben scheint! Mit ebendemselben Rechte läßt sich auf
die Gestalt einer Venus der Kops eines Jupiters setzen. Ueber die Manie der
modernen Zeit, das heimliche, dem lebendigen Treiben und Schaffen der Na¬
tur mit freier maaßvoller Phantasie nachgebildete Ornament der Renaissance
in die starre halbphantastische, halb mathematische Form des Gothischen zu-
rückzuzerren, ein Wort zu reden, ist leider! an einer andern Stelle, nämlich bei
Gelegenheit der deutschen Baukunst der passendste Ort. -- Aehnliche Mißgriffe,
wie den obigen, hat sich die neueste französische Architektur öfters zu Schulden
kommen lassen: so am Palais de Justice, wo der Ausbau ebenfalls die Ver¬
einigung verschiedener Style zu bedingen schien. Die Formen einer Ueber¬
gangszeit in einer späteren Periode nicht bloß wiederholen, sondern in eigen¬
thümlicher Weise wieder treffen zu wollen, ist in allen Fällen eine mißliche
Sache. Nur das Zeitalter selber, das im Drängen und Treiben zwischen
zwei Welten steht, weiß mit sicherem Griff aus jedem, was ihm frommt und
was daher mit ihm sowol als untereinander in Einklang sich bringen läßt,
zu packen. Die spätere Zeit des aufgeklärten überlegten Hervorbringens sieht
den Wald vor Bäumen nicht; jenes greift blind zu und faßt das Richtige,
diese sieht zu viel, um das Eine zu treffen.

Von neuen Bauten, die in einem andern Style als dem der Renaissance
aufgeführt sind, ist nicht viel Gutes zu melden. Bemerkenswerth ist nur die
Kirche Sainte-Clotilde. Vielleicht sah man ein. daß jener für den Kirchenbau
so passend nicht sei. wie für dem Profanbau. und erbaute die neue Kirche
deßhalb im gothischen Style, obgleich man an Saint-Vincent de Paul ein Bei¬
spiel hatte, daß sich auch in jener Bauart mit Zugrundelegung der Basilika¬
form etwas ganz Tüchtiges leisten ließ; oder vielleicht wollte man nicht die
Gelegenheit versäumen, sich im herrlichsten Kirchenstyl der Welt zu versuchen,
sei es auch nur um ein Spielzeug zu Stande zu bringen. Wie dem auel
sein mag: der Versuch ist mißglückt. Obwol gegen den ursprünglichen Plan
des zuerst mit dem Bau beauftragten Architekten der zweite die Fa^abe ziem¬
lich reich gehalten hat, macht das Ganze dennoch einen kahlen und nüchternen


Weise gelöst: man gab dem zurücktretenden ersten Stock statt vernünftiger
Fenster, wie sie sonst am Gebäude sich finden: eine ungeheure Fensterrose, dein
Ornament des Balkons ein halbgothisches Gepräge, brachte selbst in den
Mansarden — einer Erfindung der französischen Renaissance — einige gothische
Reminiscenzen an und glaubte so den Bau mit der Kirche in Einklang ge¬
bracht zu haben, da man ihn doch nur verhunzt hat. Die Rcnaissanceorna-
mente des kleinen Palastes sind zierlich, sauber und mit Sorgfalt gehauen,
auch die Verhältnisse der Fenster, die Eintheilung der Massen nicht ohne An¬
muth. Und nun stelle man sich auf dem Gesichte des niedlichen Wesens die
plumpe ungeheure Fensterrose vor, wie eine Maske, welche die natürlichen
Züge verschlungen zu haben scheint! Mit ebendemselben Rechte läßt sich auf
die Gestalt einer Venus der Kops eines Jupiters setzen. Ueber die Manie der
modernen Zeit, das heimliche, dem lebendigen Treiben und Schaffen der Na¬
tur mit freier maaßvoller Phantasie nachgebildete Ornament der Renaissance
in die starre halbphantastische, halb mathematische Form des Gothischen zu-
rückzuzerren, ein Wort zu reden, ist leider! an einer andern Stelle, nämlich bei
Gelegenheit der deutschen Baukunst der passendste Ort. — Aehnliche Mißgriffe,
wie den obigen, hat sich die neueste französische Architektur öfters zu Schulden
kommen lassen: so am Palais de Justice, wo der Ausbau ebenfalls die Ver¬
einigung verschiedener Style zu bedingen schien. Die Formen einer Ueber¬
gangszeit in einer späteren Periode nicht bloß wiederholen, sondern in eigen¬
thümlicher Weise wieder treffen zu wollen, ist in allen Fällen eine mißliche
Sache. Nur das Zeitalter selber, das im Drängen und Treiben zwischen
zwei Welten steht, weiß mit sicherem Griff aus jedem, was ihm frommt und
was daher mit ihm sowol als untereinander in Einklang sich bringen läßt,
zu packen. Die spätere Zeit des aufgeklärten überlegten Hervorbringens sieht
den Wald vor Bäumen nicht; jenes greift blind zu und faßt das Richtige,
diese sieht zu viel, um das Eine zu treffen.

Von neuen Bauten, die in einem andern Style als dem der Renaissance
aufgeführt sind, ist nicht viel Gutes zu melden. Bemerkenswerth ist nur die
Kirche Sainte-Clotilde. Vielleicht sah man ein. daß jener für den Kirchenbau
so passend nicht sei. wie für dem Profanbau. und erbaute die neue Kirche
deßhalb im gothischen Style, obgleich man an Saint-Vincent de Paul ein Bei¬
spiel hatte, daß sich auch in jener Bauart mit Zugrundelegung der Basilika¬
form etwas ganz Tüchtiges leisten ließ; oder vielleicht wollte man nicht die
Gelegenheit versäumen, sich im herrlichsten Kirchenstyl der Welt zu versuchen,
sei es auch nur um ein Spielzeug zu Stande zu bringen. Wie dem auel
sein mag: der Versuch ist mißglückt. Obwol gegen den ursprünglichen Plan
des zuerst mit dem Bau beauftragten Architekten der zweite die Fa^abe ziem¬
lich reich gehalten hat, macht das Ganze dennoch einen kahlen und nüchternen


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[0152] Weise gelöst: man gab dem zurücktretenden ersten Stock statt vernünftiger Fenster, wie sie sonst am Gebäude sich finden: eine ungeheure Fensterrose, dein Ornament des Balkons ein halbgothisches Gepräge, brachte selbst in den Mansarden — einer Erfindung der französischen Renaissance — einige gothische Reminiscenzen an und glaubte so den Bau mit der Kirche in Einklang ge¬ bracht zu haben, da man ihn doch nur verhunzt hat. Die Rcnaissanceorna- mente des kleinen Palastes sind zierlich, sauber und mit Sorgfalt gehauen, auch die Verhältnisse der Fenster, die Eintheilung der Massen nicht ohne An¬ muth. Und nun stelle man sich auf dem Gesichte des niedlichen Wesens die plumpe ungeheure Fensterrose vor, wie eine Maske, welche die natürlichen Züge verschlungen zu haben scheint! Mit ebendemselben Rechte läßt sich auf die Gestalt einer Venus der Kops eines Jupiters setzen. Ueber die Manie der modernen Zeit, das heimliche, dem lebendigen Treiben und Schaffen der Na¬ tur mit freier maaßvoller Phantasie nachgebildete Ornament der Renaissance in die starre halbphantastische, halb mathematische Form des Gothischen zu- rückzuzerren, ein Wort zu reden, ist leider! an einer andern Stelle, nämlich bei Gelegenheit der deutschen Baukunst der passendste Ort. — Aehnliche Mißgriffe, wie den obigen, hat sich die neueste französische Architektur öfters zu Schulden kommen lassen: so am Palais de Justice, wo der Ausbau ebenfalls die Ver¬ einigung verschiedener Style zu bedingen schien. Die Formen einer Ueber¬ gangszeit in einer späteren Periode nicht bloß wiederholen, sondern in eigen¬ thümlicher Weise wieder treffen zu wollen, ist in allen Fällen eine mißliche Sache. Nur das Zeitalter selber, das im Drängen und Treiben zwischen zwei Welten steht, weiß mit sicherem Griff aus jedem, was ihm frommt und was daher mit ihm sowol als untereinander in Einklang sich bringen läßt, zu packen. Die spätere Zeit des aufgeklärten überlegten Hervorbringens sieht den Wald vor Bäumen nicht; jenes greift blind zu und faßt das Richtige, diese sieht zu viel, um das Eine zu treffen. Von neuen Bauten, die in einem andern Style als dem der Renaissance aufgeführt sind, ist nicht viel Gutes zu melden. Bemerkenswerth ist nur die Kirche Sainte-Clotilde. Vielleicht sah man ein. daß jener für den Kirchenbau so passend nicht sei. wie für dem Profanbau. und erbaute die neue Kirche deßhalb im gothischen Style, obgleich man an Saint-Vincent de Paul ein Bei¬ spiel hatte, daß sich auch in jener Bauart mit Zugrundelegung der Basilika¬ form etwas ganz Tüchtiges leisten ließ; oder vielleicht wollte man nicht die Gelegenheit versäumen, sich im herrlichsten Kirchenstyl der Welt zu versuchen, sei es auch nur um ein Spielzeug zu Stande zu bringen. Wie dem auel sein mag: der Versuch ist mißglückt. Obwol gegen den ursprünglichen Plan des zuerst mit dem Bau beauftragten Architekten der zweite die Fa^abe ziem¬ lich reich gehalten hat, macht das Ganze dennoch einen kahlen und nüchternen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/152>, abgerufen am 23.12.2024.