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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Mißverhältniß. Abgesehen davon, daß eine harmonische Massenwirkung durch
die Unterbrechung unmöglich ist, sind die Ornamente auf den Pavillons massen¬
weise angesammelt, wie wenn sie von dem ganzen Gebäude aus dessen her¬
vorragende Theile zusammengeflossen wären. Es gibt dies dem ganzen Bau
etwas Mißgestaltetes. Durch die Zusammenhäufung der Ornamente sind die
architektonischen Linien unterbrochen, wie von der Arbeit des Bildhauers über¬
deckt und durch die Fülle des Details die Verhältnisse wie verwirrt. Hie und
da kommen auch einzelne Ausschweifungen des Barokstyls vor.

Daß sich von unserm Jahrhundert eine künstlerisch reizende und eigen¬
thümliche Behandlung des Ornaments, überhaupt des sculptorischen Beiwerks
nicht erwarten läßt, ist schon oben bemerkt. Die Arbeiten des Bildhauers
am neuen Louvre sind geschickt und correct; aber es fällt einem nicht ein, sich
mit liebevollem Eingehen dabei aufzuhalten. Sie wirken nur als Masse; und
in dieser Beziehung sind sie wieder zu kleinlich, um sich in klare Gruppen zu
sondern. Auch die Karyatiden und Statuen sind von keinem erheblichen
Werthe. Die alte Westfa^abe, in der die Nachwirkung der florentinischen Bild¬
hauer noch lebendig ist, weiß auch in dieser Hinsicht mächtiger zu fassen.
Selbst in den allegorischen Werken des 16. Jahrhunderts war noch eine ge¬
wisse Wärme und Naivetät des Gefühls, die man in der fleißigen Nachbildung
der griechischen Muster, wie sie nun in der Sculptur herrscht, vergeblich
sucht. Am meisten fällt die Armuth und Nüchternheit unseres Jahrhunderts
in der Bildnerkunst an den Darstellungen der Giebelfelder auf. Es ist eine
feine Bemerkung Vischer's. daß die pyramidalen Gruppen der Alten der in
Vielheit aufgelöste und in Handlung gesetzte Gott sind, der ausgegossene Got¬
tesgeist; derselbe schlägt sich in die verschiedenen Götter- und Heroenkreise
gleichsam auseinander, und bleibt ebendaher auch in dem Kampf und Zwie¬
spalt der Individuen, wie in der Gruppe der Aegineten, bei sich in idealer
Abgeschlossenheit. Wie weit ab von dieser schönen Götterwelt das Kaiserreich
und sein Vertreter liegen, die in den Giebelfeldern des Louvre verherrlicht
werden, darüber ist jede Bemerkung überflüssig; und ebenso gewiß ist, daß
die in Stein gemeißelte Macht des 19. Jahrhunderts keinen Anspruch aus die
liebenswürdige Humanität des Cinquecento machen kann. In der einen Py'
ramidalgruppe steht gar an der Stelle der mittleren Hauptstatue der Kolossal¬
kopf des ersten Napoleon: nicht genug, daß die Politik abstract ist, auch die
Kunst soll es sein!

Aus den ersten Blick scheint es seltsam, daß die Regierung sich insbeson¬
dere die Erhaltung der vorhandenen Monumente hat angelegen sein lassen.
Sie hat wahrlich sonst nicht viel Pietät für überkommene Einrichtungen und
macht lieber selber Geschichte, statt sich ruhig in den Gang der Dinge einzu¬
reihen. Aber sie will nicht wie ein Wetter über das Volk gekommen sein,


Mißverhältniß. Abgesehen davon, daß eine harmonische Massenwirkung durch
die Unterbrechung unmöglich ist, sind die Ornamente auf den Pavillons massen¬
weise angesammelt, wie wenn sie von dem ganzen Gebäude aus dessen her¬
vorragende Theile zusammengeflossen wären. Es gibt dies dem ganzen Bau
etwas Mißgestaltetes. Durch die Zusammenhäufung der Ornamente sind die
architektonischen Linien unterbrochen, wie von der Arbeit des Bildhauers über¬
deckt und durch die Fülle des Details die Verhältnisse wie verwirrt. Hie und
da kommen auch einzelne Ausschweifungen des Barokstyls vor.

Daß sich von unserm Jahrhundert eine künstlerisch reizende und eigen¬
thümliche Behandlung des Ornaments, überhaupt des sculptorischen Beiwerks
nicht erwarten läßt, ist schon oben bemerkt. Die Arbeiten des Bildhauers
am neuen Louvre sind geschickt und correct; aber es fällt einem nicht ein, sich
mit liebevollem Eingehen dabei aufzuhalten. Sie wirken nur als Masse; und
in dieser Beziehung sind sie wieder zu kleinlich, um sich in klare Gruppen zu
sondern. Auch die Karyatiden und Statuen sind von keinem erheblichen
Werthe. Die alte Westfa^abe, in der die Nachwirkung der florentinischen Bild¬
hauer noch lebendig ist, weiß auch in dieser Hinsicht mächtiger zu fassen.
Selbst in den allegorischen Werken des 16. Jahrhunderts war noch eine ge¬
wisse Wärme und Naivetät des Gefühls, die man in der fleißigen Nachbildung
der griechischen Muster, wie sie nun in der Sculptur herrscht, vergeblich
sucht. Am meisten fällt die Armuth und Nüchternheit unseres Jahrhunderts
in der Bildnerkunst an den Darstellungen der Giebelfelder auf. Es ist eine
feine Bemerkung Vischer's. daß die pyramidalen Gruppen der Alten der in
Vielheit aufgelöste und in Handlung gesetzte Gott sind, der ausgegossene Got¬
tesgeist; derselbe schlägt sich in die verschiedenen Götter- und Heroenkreise
gleichsam auseinander, und bleibt ebendaher auch in dem Kampf und Zwie¬
spalt der Individuen, wie in der Gruppe der Aegineten, bei sich in idealer
Abgeschlossenheit. Wie weit ab von dieser schönen Götterwelt das Kaiserreich
und sein Vertreter liegen, die in den Giebelfeldern des Louvre verherrlicht
werden, darüber ist jede Bemerkung überflüssig; und ebenso gewiß ist, daß
die in Stein gemeißelte Macht des 19. Jahrhunderts keinen Anspruch aus die
liebenswürdige Humanität des Cinquecento machen kann. In der einen Py'
ramidalgruppe steht gar an der Stelle der mittleren Hauptstatue der Kolossal¬
kopf des ersten Napoleon: nicht genug, daß die Politik abstract ist, auch die
Kunst soll es sein!

Aus den ersten Blick scheint es seltsam, daß die Regierung sich insbeson¬
dere die Erhaltung der vorhandenen Monumente hat angelegen sein lassen.
Sie hat wahrlich sonst nicht viel Pietät für überkommene Einrichtungen und
macht lieber selber Geschichte, statt sich ruhig in den Gang der Dinge einzu¬
reihen. Aber sie will nicht wie ein Wetter über das Volk gekommen sein,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/150>, abgerufen am 25.08.2024.