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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Klagen und Warnungen, trotz officieller Erhebungen und statistischer Nachweise
bis jetzt nicht erreichen können, daß auch sie wie die Landstraßen und die klei¬
neren Flüsse folgerichtig nach des Vereines M-undsatz, Zölle sind nur an den
Grenzlinien zu erheben, behandelt wurden. Schon zu Ende des 16. und zu
Anfang des 17. Jahrh, finden wir einmal von den Herzögen von Bayern
der Stadt und dem Bisthum Passau gegenüber, ein andermal von dem Kur¬
fürsten von Sachsen entgegen dem Stapelrechte der Stadt Leipzig als Grund¬
satz ausgesprochen, daß die großen Ströme Welthandelsstraßen seien und das
in ihnen hinabfließende Wasser von den Herren der User so wenig beherrscht
wie festgehalten werden könne, daß also auch die Herrschaft über dieselben
nicht ihnen allein, sondern allen Gliedern des Reiches gebühre. Niemand
hörte auf solche Worte und die Neuzeit mußte jene Welthandelsstraßen mit
allen Riegeln und Fesseln übernehmen) wodurch das Mittelalter das "freie"
Fahrwasser und vor Allem den "freien" deutschen Rhein an die zahllosen Zoll¬
stätten angekettet hatte. Manches ist zwar seit der Niederlegung der napoleo¬
nischen Herrschaft geschehen, und wir wollen immerhin das jüngst von Hessen
und Nassau zugestandene Opfer mit Dank anerkennen, aber bevor die Axt
nicht an die Wurzel gelegt ist, hat der Verein seiner pflichtgemäßen Auf¬
gabe noch nicht volle Rechnung getragen. Alle Rheinzölle und alle Elb-
zölle -- denn der Elbe geschieht ein noch lauter schreiendes Unrecht -- müssen
in wenige Grenzzölle verwandelt und diese nicht als Finanzquellen, sondern
nur als Zuschuß zu den Mitteln der Stromerhaltung behandelt werden.

Die Zeit, welche die Binnenzölle schuf, betrachtete das Zollwesen und den
Handelsverkehr aus ganz anderen Gesichtspunkten, als wir gottlob gelernt
haben. Bei einer höchst mangelhaften Finanzwirthschaft und dem lücken¬
haftesten Steuerwesen, bei ihrer unausgesetzten Geldbedürftigkeit waren die Lan¬
desherren gezwungen, die ihr Gebiet berührende Waarendurchfuhr als einen
Gegenstand geldwirthschastlicher Speculation, die Zollämter als Mittel einer
ungeraden Steuererhebung zu behandeln, in der Meinung, solche Steuern trä¬
fen am allerwenigsten den eigenen Unterthan. Je mächtiger der Waarenstrom
in einer Straße auf- und abfloß, um so näher drängten sich in ihr die Zoll¬
stätten, so daß wir thatsächlich in Schrift und Urkunde eine unzählbare Menge
derselben verzeichnet finden. Das 18. Jahrh, führte in dieses Zollwesen, haupt¬
sächlich in Oestreich unter Maria Theresia und Joseph dem Zweiten, in Preußen
unter Friedrich dem Zweiten neue Grundsätze ein und begründete darauf das
sogen. Handelssperrsystem, behandelte aber die Durchfuhrzollstätten ganz nach
den alten Grundsätzen und ließ sie am Rhein wie anderswo in der Haupt¬
sache unangetastet. Zum Schluß des Jahrhunderts erhob zuerst die französi¬
sche Republik aus dem Rastadter Congreß die Forderung einer Regulirung der
inneren deutschen Stromzöllc, und unter Napoleons Einfluß entstand denn für


Klagen und Warnungen, trotz officieller Erhebungen und statistischer Nachweise
bis jetzt nicht erreichen können, daß auch sie wie die Landstraßen und die klei¬
neren Flüsse folgerichtig nach des Vereines M-undsatz, Zölle sind nur an den
Grenzlinien zu erheben, behandelt wurden. Schon zu Ende des 16. und zu
Anfang des 17. Jahrh, finden wir einmal von den Herzögen von Bayern
der Stadt und dem Bisthum Passau gegenüber, ein andermal von dem Kur¬
fürsten von Sachsen entgegen dem Stapelrechte der Stadt Leipzig als Grund¬
satz ausgesprochen, daß die großen Ströme Welthandelsstraßen seien und das
in ihnen hinabfließende Wasser von den Herren der User so wenig beherrscht
wie festgehalten werden könne, daß also auch die Herrschaft über dieselben
nicht ihnen allein, sondern allen Gliedern des Reiches gebühre. Niemand
hörte auf solche Worte und die Neuzeit mußte jene Welthandelsstraßen mit
allen Riegeln und Fesseln übernehmen) wodurch das Mittelalter das „freie"
Fahrwasser und vor Allem den „freien" deutschen Rhein an die zahllosen Zoll¬
stätten angekettet hatte. Manches ist zwar seit der Niederlegung der napoleo¬
nischen Herrschaft geschehen, und wir wollen immerhin das jüngst von Hessen
und Nassau zugestandene Opfer mit Dank anerkennen, aber bevor die Axt
nicht an die Wurzel gelegt ist, hat der Verein seiner pflichtgemäßen Auf¬
gabe noch nicht volle Rechnung getragen. Alle Rheinzölle und alle Elb-
zölle — denn der Elbe geschieht ein noch lauter schreiendes Unrecht — müssen
in wenige Grenzzölle verwandelt und diese nicht als Finanzquellen, sondern
nur als Zuschuß zu den Mitteln der Stromerhaltung behandelt werden.

Die Zeit, welche die Binnenzölle schuf, betrachtete das Zollwesen und den
Handelsverkehr aus ganz anderen Gesichtspunkten, als wir gottlob gelernt
haben. Bei einer höchst mangelhaften Finanzwirthschaft und dem lücken¬
haftesten Steuerwesen, bei ihrer unausgesetzten Geldbedürftigkeit waren die Lan¬
desherren gezwungen, die ihr Gebiet berührende Waarendurchfuhr als einen
Gegenstand geldwirthschastlicher Speculation, die Zollämter als Mittel einer
ungeraden Steuererhebung zu behandeln, in der Meinung, solche Steuern trä¬
fen am allerwenigsten den eigenen Unterthan. Je mächtiger der Waarenstrom
in einer Straße auf- und abfloß, um so näher drängten sich in ihr die Zoll¬
stätten, so daß wir thatsächlich in Schrift und Urkunde eine unzählbare Menge
derselben verzeichnet finden. Das 18. Jahrh, führte in dieses Zollwesen, haupt¬
sächlich in Oestreich unter Maria Theresia und Joseph dem Zweiten, in Preußen
unter Friedrich dem Zweiten neue Grundsätze ein und begründete darauf das
sogen. Handelssperrsystem, behandelte aber die Durchfuhrzollstätten ganz nach
den alten Grundsätzen und ließ sie am Rhein wie anderswo in der Haupt¬
sache unangetastet. Zum Schluß des Jahrhunderts erhob zuerst die französi¬
sche Republik aus dem Rastadter Congreß die Forderung einer Regulirung der
inneren deutschen Stromzöllc, und unter Napoleons Einfluß entstand denn für


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[0136] Klagen und Warnungen, trotz officieller Erhebungen und statistischer Nachweise bis jetzt nicht erreichen können, daß auch sie wie die Landstraßen und die klei¬ neren Flüsse folgerichtig nach des Vereines M-undsatz, Zölle sind nur an den Grenzlinien zu erheben, behandelt wurden. Schon zu Ende des 16. und zu Anfang des 17. Jahrh, finden wir einmal von den Herzögen von Bayern der Stadt und dem Bisthum Passau gegenüber, ein andermal von dem Kur¬ fürsten von Sachsen entgegen dem Stapelrechte der Stadt Leipzig als Grund¬ satz ausgesprochen, daß die großen Ströme Welthandelsstraßen seien und das in ihnen hinabfließende Wasser von den Herren der User so wenig beherrscht wie festgehalten werden könne, daß also auch die Herrschaft über dieselben nicht ihnen allein, sondern allen Gliedern des Reiches gebühre. Niemand hörte auf solche Worte und die Neuzeit mußte jene Welthandelsstraßen mit allen Riegeln und Fesseln übernehmen) wodurch das Mittelalter das „freie" Fahrwasser und vor Allem den „freien" deutschen Rhein an die zahllosen Zoll¬ stätten angekettet hatte. Manches ist zwar seit der Niederlegung der napoleo¬ nischen Herrschaft geschehen, und wir wollen immerhin das jüngst von Hessen und Nassau zugestandene Opfer mit Dank anerkennen, aber bevor die Axt nicht an die Wurzel gelegt ist, hat der Verein seiner pflichtgemäßen Auf¬ gabe noch nicht volle Rechnung getragen. Alle Rheinzölle und alle Elb- zölle — denn der Elbe geschieht ein noch lauter schreiendes Unrecht — müssen in wenige Grenzzölle verwandelt und diese nicht als Finanzquellen, sondern nur als Zuschuß zu den Mitteln der Stromerhaltung behandelt werden. Die Zeit, welche die Binnenzölle schuf, betrachtete das Zollwesen und den Handelsverkehr aus ganz anderen Gesichtspunkten, als wir gottlob gelernt haben. Bei einer höchst mangelhaften Finanzwirthschaft und dem lücken¬ haftesten Steuerwesen, bei ihrer unausgesetzten Geldbedürftigkeit waren die Lan¬ desherren gezwungen, die ihr Gebiet berührende Waarendurchfuhr als einen Gegenstand geldwirthschastlicher Speculation, die Zollämter als Mittel einer ungeraden Steuererhebung zu behandeln, in der Meinung, solche Steuern trä¬ fen am allerwenigsten den eigenen Unterthan. Je mächtiger der Waarenstrom in einer Straße auf- und abfloß, um so näher drängten sich in ihr die Zoll¬ stätten, so daß wir thatsächlich in Schrift und Urkunde eine unzählbare Menge derselben verzeichnet finden. Das 18. Jahrh, führte in dieses Zollwesen, haupt¬ sächlich in Oestreich unter Maria Theresia und Joseph dem Zweiten, in Preußen unter Friedrich dem Zweiten neue Grundsätze ein und begründete darauf das sogen. Handelssperrsystem, behandelte aber die Durchfuhrzollstätten ganz nach den alten Grundsätzen und ließ sie am Rhein wie anderswo in der Haupt¬ sache unangetastet. Zum Schluß des Jahrhunderts erhob zuerst die französi¬ sche Republik aus dem Rastadter Congreß die Forderung einer Regulirung der inneren deutschen Stromzöllc, und unter Napoleons Einfluß entstand denn für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/136>, abgerufen am 25.08.2024.