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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Straßburg und Basel in gefährlicher, durch übermäßige Tarisminderung noch
vermehrter Weise den deutschen Handelsstraßen Abbruch zu thun und thatsäch¬
lich schon dieselben Waaren, insbesondere Baumwolle und Kaffee, in die Schweiz
und Süddeutschland bis nach Augsburg zu liefern begonnen hatten. Das
Bremer Handelsblatt arbeitete jetzt unablässig auf das eine Ziel und benutzte
die Gelegenheit der Zollconferenzen. 1857 in Berlin und 1858 in Wien zwi¬
schen Oestreich und dem Zollverein, und die Versammlung der deutschen Volks¬
wirthe, um immer von Neuem die Aufhebung der Durchgangsabgaben zur
Berathung zu bringen. Auch die Handelskammern anderer, besonders der
rheinischen Städte traten dieser Agitation bei. Während Belgien und Hol¬
land solche Durchgangsabgaben lange aufgehoben hatten, die Schweiz dieselben
auf die unbedeutende Controlabgabe von 5 Ces. herabsetzte, während die fran¬
zösischen Bahnen in schneller Steigerung ihre Mitwerbung geltend machten
und auch die. sich ihrer Vollendung nähernden deutschen Bahnen von der
Steigerung des Frachtverkehrs ihre Nahrung erwarteten, während die Presse,
die volkswirthschaftlichen Vereine, die Kammern einzelner Bundesstaaten sich
für diese Frage lebhaft und entschieden immer und immer wieder aussprachen,
kam der Zollverein um keinen Schritt vorwärts. Die zweite hannoversche
Kammer erhob im I. 1858 die Aufhebung dieser Zölle zum Beschluß. Auch
Preußen drang jetzt mit Entschiedenheit darauf. Dennoch wurde kurz vor
der Entscheidung die Lösung der Frage noch einmal hinausgeschoben. Baden
nämlich wies in einer Denkschrift nach, daß durch eine einseitige Aufhebung
der Durchgangszölle der Rheinstraße neben der französischen auch in den deut¬
schen Bahnen eine nur gefährliche Mitwerbung erstehe, und daß der ge¬
wissen und gänzlichen Verödung des Rheines nur durch die nachdrücklichste
Minderung oder Aufhebung der Rheinzölle abgeholfen werden könne. Diesem
widersetzten sich wie immer Hessen-Darmstadt und Nassau, denn die Rheinzölle
hatten im I. 1857 jenem 575.740 Fras. und diesem 672.545 Fras. ertragen.
Der Einzelvortheil trat dem Gesammtwohle wieder hindernd entgegen. Die
Verhandlungen drohten mit der gewohnten Verzögerung in ör^eas valenÄas,
als unerwartet zum Schlüsse des Jahres 1860 die widersprechenden Vcrems-
staaten nachgaben und mit einer beträchtlichen Minderung der Rheinzölle die
Aufhebung der Durchgangszölle verkündigt wurde.

Ein zweiter Widerspruch, schneidender als dieser erste, für den gesammten
Verkehr Deutschlands drückender, für den Entwicklungsgang der Dinge zur
Zollvereine weit bezeichnender, ist zwar durch jene Rheinzollminderung wieder
u>n etwas gemildert, aber im wesentlichen noch derselbe geblieben. Von den
deutschen Strömen müssen die beiden, welche die wichtigsten Verb.ndungsstra-
zwischen dem inneren Deutschland und der Nordsee sind, ihre rmttelalter-
Uchen Fesseln immer noch tragen und haben trotz Bittens und Bettelns. trotz


Straßburg und Basel in gefährlicher, durch übermäßige Tarisminderung noch
vermehrter Weise den deutschen Handelsstraßen Abbruch zu thun und thatsäch¬
lich schon dieselben Waaren, insbesondere Baumwolle und Kaffee, in die Schweiz
und Süddeutschland bis nach Augsburg zu liefern begonnen hatten. Das
Bremer Handelsblatt arbeitete jetzt unablässig auf das eine Ziel und benutzte
die Gelegenheit der Zollconferenzen. 1857 in Berlin und 1858 in Wien zwi¬
schen Oestreich und dem Zollverein, und die Versammlung der deutschen Volks¬
wirthe, um immer von Neuem die Aufhebung der Durchgangsabgaben zur
Berathung zu bringen. Auch die Handelskammern anderer, besonders der
rheinischen Städte traten dieser Agitation bei. Während Belgien und Hol¬
land solche Durchgangsabgaben lange aufgehoben hatten, die Schweiz dieselben
auf die unbedeutende Controlabgabe von 5 Ces. herabsetzte, während die fran¬
zösischen Bahnen in schneller Steigerung ihre Mitwerbung geltend machten
und auch die. sich ihrer Vollendung nähernden deutschen Bahnen von der
Steigerung des Frachtverkehrs ihre Nahrung erwarteten, während die Presse,
die volkswirthschaftlichen Vereine, die Kammern einzelner Bundesstaaten sich
für diese Frage lebhaft und entschieden immer und immer wieder aussprachen,
kam der Zollverein um keinen Schritt vorwärts. Die zweite hannoversche
Kammer erhob im I. 1858 die Aufhebung dieser Zölle zum Beschluß. Auch
Preußen drang jetzt mit Entschiedenheit darauf. Dennoch wurde kurz vor
der Entscheidung die Lösung der Frage noch einmal hinausgeschoben. Baden
nämlich wies in einer Denkschrift nach, daß durch eine einseitige Aufhebung
der Durchgangszölle der Rheinstraße neben der französischen auch in den deut¬
schen Bahnen eine nur gefährliche Mitwerbung erstehe, und daß der ge¬
wissen und gänzlichen Verödung des Rheines nur durch die nachdrücklichste
Minderung oder Aufhebung der Rheinzölle abgeholfen werden könne. Diesem
widersetzten sich wie immer Hessen-Darmstadt und Nassau, denn die Rheinzölle
hatten im I. 1857 jenem 575.740 Fras. und diesem 672.545 Fras. ertragen.
Der Einzelvortheil trat dem Gesammtwohle wieder hindernd entgegen. Die
Verhandlungen drohten mit der gewohnten Verzögerung in ör^eas valenÄas,
als unerwartet zum Schlüsse des Jahres 1860 die widersprechenden Vcrems-
staaten nachgaben und mit einer beträchtlichen Minderung der Rheinzölle die
Aufhebung der Durchgangszölle verkündigt wurde.

Ein zweiter Widerspruch, schneidender als dieser erste, für den gesammten
Verkehr Deutschlands drückender, für den Entwicklungsgang der Dinge zur
Zollvereine weit bezeichnender, ist zwar durch jene Rheinzollminderung wieder
u>n etwas gemildert, aber im wesentlichen noch derselbe geblieben. Von den
deutschen Strömen müssen die beiden, welche die wichtigsten Verb.ndungsstra-
zwischen dem inneren Deutschland und der Nordsee sind, ihre rmttelalter-
Uchen Fesseln immer noch tragen und haben trotz Bittens und Bettelns. trotz


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[0135] Straßburg und Basel in gefährlicher, durch übermäßige Tarisminderung noch vermehrter Weise den deutschen Handelsstraßen Abbruch zu thun und thatsäch¬ lich schon dieselben Waaren, insbesondere Baumwolle und Kaffee, in die Schweiz und Süddeutschland bis nach Augsburg zu liefern begonnen hatten. Das Bremer Handelsblatt arbeitete jetzt unablässig auf das eine Ziel und benutzte die Gelegenheit der Zollconferenzen. 1857 in Berlin und 1858 in Wien zwi¬ schen Oestreich und dem Zollverein, und die Versammlung der deutschen Volks¬ wirthe, um immer von Neuem die Aufhebung der Durchgangsabgaben zur Berathung zu bringen. Auch die Handelskammern anderer, besonders der rheinischen Städte traten dieser Agitation bei. Während Belgien und Hol¬ land solche Durchgangsabgaben lange aufgehoben hatten, die Schweiz dieselben auf die unbedeutende Controlabgabe von 5 Ces. herabsetzte, während die fran¬ zösischen Bahnen in schneller Steigerung ihre Mitwerbung geltend machten und auch die. sich ihrer Vollendung nähernden deutschen Bahnen von der Steigerung des Frachtverkehrs ihre Nahrung erwarteten, während die Presse, die volkswirthschaftlichen Vereine, die Kammern einzelner Bundesstaaten sich für diese Frage lebhaft und entschieden immer und immer wieder aussprachen, kam der Zollverein um keinen Schritt vorwärts. Die zweite hannoversche Kammer erhob im I. 1858 die Aufhebung dieser Zölle zum Beschluß. Auch Preußen drang jetzt mit Entschiedenheit darauf. Dennoch wurde kurz vor der Entscheidung die Lösung der Frage noch einmal hinausgeschoben. Baden nämlich wies in einer Denkschrift nach, daß durch eine einseitige Aufhebung der Durchgangszölle der Rheinstraße neben der französischen auch in den deut¬ schen Bahnen eine nur gefährliche Mitwerbung erstehe, und daß der ge¬ wissen und gänzlichen Verödung des Rheines nur durch die nachdrücklichste Minderung oder Aufhebung der Rheinzölle abgeholfen werden könne. Diesem widersetzten sich wie immer Hessen-Darmstadt und Nassau, denn die Rheinzölle hatten im I. 1857 jenem 575.740 Fras. und diesem 672.545 Fras. ertragen. Der Einzelvortheil trat dem Gesammtwohle wieder hindernd entgegen. Die Verhandlungen drohten mit der gewohnten Verzögerung in ör^eas valenÄas, als unerwartet zum Schlüsse des Jahres 1860 die widersprechenden Vcrems- staaten nachgaben und mit einer beträchtlichen Minderung der Rheinzölle die Aufhebung der Durchgangszölle verkündigt wurde. Ein zweiter Widerspruch, schneidender als dieser erste, für den gesammten Verkehr Deutschlands drückender, für den Entwicklungsgang der Dinge zur Zollvereine weit bezeichnender, ist zwar durch jene Rheinzollminderung wieder u>n etwas gemildert, aber im wesentlichen noch derselbe geblieben. Von den deutschen Strömen müssen die beiden, welche die wichtigsten Verb.ndungsstra- zwischen dem inneren Deutschland und der Nordsee sind, ihre rmttelalter- Uchen Fesseln immer noch tragen und haben trotz Bittens und Bettelns. trotz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/135>, abgerufen am 25.08.2024.