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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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das die Frage, soweit es der Kunst unseres Zeitalters überhaupt möglich ist.
factisch löst. Die Sache ist zu wichtig, um sie hier nicht wenigstens mit neu¬
gierigem Finger zu berühren. Es handelt sich um die Darstellung eines be¬
deutenden Momentes in der griechischen Geschichte: des Kampfes der Hellenen
mit den Barbaren. Nicht um ein gewöhnliches Schlachtenbild, ein bloß ma-
lcnsches Kriegsgetümmel; sondern um die Vernichtung des ungelenken Orients,
der in den wild erregten Zügen des Perserkönigs sich widerspiegelt, durch die
überlegene geistige Macht des Occidents, welche in dem ruhigen edlen Angesicht"
des Themistokles ihren Ausdruck findet. Schon die griechische Kunst, der Be¬
deutung jenes Kampfes sich bewußt, war in Polygnot auf den Gedanken gekommen,
denselben darzustellen, und zwar suchte der Maler die Idee in ihrem gnnzm
Inhalte zur Erscheinung zu bringen. Denn Polygnot war ein denkender
Künstler, dem es vor Allem darauf ankam, den geistigen Gehalt und die Charak¬
tere wiederzugeben, den daher Aristoteles mit dem Namen "Ethographos" ehrt.
Man sah auf dem Bilde den voranschreitenden Miltiades, die an die Sümpfe
gedrängten Perser, den Kampf bei den Schiffen, den heldenmüthig sterbenden
Kallimachus; und wie aus dem Gemälde des modernen Künstlers die home¬
rischen Helden schützend vom Olymp herabschweben, so stiegen dort die Landes¬
und Götterherocn helfend aus der Erde auf. Die Aehnlichkeit der Absicht
und Auffassung ist nicht zu verkennen. Nur wußte der griechische Maler, der
seine Kunst erst aus der Kindheit in das jugendliche Alter überführte, wenig
noch von malerischer Gruppirung, Behandlung und Durchbildung; der Künstler
des 19. Jahrhunderts dagegen wird vor Allem in dieser Beziehung sein Bild
vollenden müssen. Jener stand am Anfange der Bahn, dieser muß sie durch¬
laufen haben. Ist sein Gemälde kein Kunstwerk: so hat er seine Ausgabe
um so mehr verfehlt, als weder er noch sein ^Publicum an dem Stoffe das
naive und unmittelbare Interesse, zu der Sache das einfache innerliche Ver¬
hältniß haben, das für den griechischen Künstler und Beschauer den malerischen
Werth in die zweite Linie stellte.

Wir sind von unserm Thema weit abgekommen; aber der Leser verzeiht
wol die Abschweifung. Der Vergleich zwischen der deutschen und französischen
Kunst des 19. Jahrhunderts läßt sich nicht umgehen, sobald von der einen
oder andern ausführlich die Rede ist. Die Sache zum Austrag bringen läßt
sich freilich nur, wo die erstere Hauptgegenstand der Betrachtung ist; denn
unstreitig ist die deutsche Kunst mehr von der französischen abhängig, als
umgekehrt. Das Verhältniß kann, es wird sich hoffentlich andern; nur
glaube man nicht, jetzt schon über den unbequemen Nachbar triumphiren zu
können, weil sein übel besorgtes Haus den Einsturz droht, wahrend man nicht
weiß, ob das unsrige erst halb aufgebaut oder schon halb verfallen ist.
Halten wir uns allein an das, was uns selber helfen kann. Sehen wir vor-


das die Frage, soweit es der Kunst unseres Zeitalters überhaupt möglich ist.
factisch löst. Die Sache ist zu wichtig, um sie hier nicht wenigstens mit neu¬
gierigem Finger zu berühren. Es handelt sich um die Darstellung eines be¬
deutenden Momentes in der griechischen Geschichte: des Kampfes der Hellenen
mit den Barbaren. Nicht um ein gewöhnliches Schlachtenbild, ein bloß ma-
lcnsches Kriegsgetümmel; sondern um die Vernichtung des ungelenken Orients,
der in den wild erregten Zügen des Perserkönigs sich widerspiegelt, durch die
überlegene geistige Macht des Occidents, welche in dem ruhigen edlen Angesicht«
des Themistokles ihren Ausdruck findet. Schon die griechische Kunst, der Be¬
deutung jenes Kampfes sich bewußt, war in Polygnot auf den Gedanken gekommen,
denselben darzustellen, und zwar suchte der Maler die Idee in ihrem gnnzm
Inhalte zur Erscheinung zu bringen. Denn Polygnot war ein denkender
Künstler, dem es vor Allem darauf ankam, den geistigen Gehalt und die Charak¬
tere wiederzugeben, den daher Aristoteles mit dem Namen „Ethographos" ehrt.
Man sah auf dem Bilde den voranschreitenden Miltiades, die an die Sümpfe
gedrängten Perser, den Kampf bei den Schiffen, den heldenmüthig sterbenden
Kallimachus; und wie aus dem Gemälde des modernen Künstlers die home¬
rischen Helden schützend vom Olymp herabschweben, so stiegen dort die Landes¬
und Götterherocn helfend aus der Erde auf. Die Aehnlichkeit der Absicht
und Auffassung ist nicht zu verkennen. Nur wußte der griechische Maler, der
seine Kunst erst aus der Kindheit in das jugendliche Alter überführte, wenig
noch von malerischer Gruppirung, Behandlung und Durchbildung; der Künstler
des 19. Jahrhunderts dagegen wird vor Allem in dieser Beziehung sein Bild
vollenden müssen. Jener stand am Anfange der Bahn, dieser muß sie durch¬
laufen haben. Ist sein Gemälde kein Kunstwerk: so hat er seine Ausgabe
um so mehr verfehlt, als weder er noch sein ^Publicum an dem Stoffe das
naive und unmittelbare Interesse, zu der Sache das einfache innerliche Ver¬
hältniß haben, das für den griechischen Künstler und Beschauer den malerischen
Werth in die zweite Linie stellte.

Wir sind von unserm Thema weit abgekommen; aber der Leser verzeiht
wol die Abschweifung. Der Vergleich zwischen der deutschen und französischen
Kunst des 19. Jahrhunderts läßt sich nicht umgehen, sobald von der einen
oder andern ausführlich die Rede ist. Die Sache zum Austrag bringen läßt
sich freilich nur, wo die erstere Hauptgegenstand der Betrachtung ist; denn
unstreitig ist die deutsche Kunst mehr von der französischen abhängig, als
umgekehrt. Das Verhältniß kann, es wird sich hoffentlich andern; nur
glaube man nicht, jetzt schon über den unbequemen Nachbar triumphiren zu
können, weil sein übel besorgtes Haus den Einsturz droht, wahrend man nicht
weiß, ob das unsrige erst halb aufgebaut oder schon halb verfallen ist.
Halten wir uns allein an das, was uns selber helfen kann. Sehen wir vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/122>, abgerufen am 23.12.2024.