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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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gerichte erhalten, unter denen beiläufig nur die Criminaljustiz vernachlässigt, die
Civiljustiz aber fast überall prompt besorgt wurdet)

Eine Menge unabhängiger Männer haben sich ihre Selbständigkeit nehmen
und ihre Einkünfte bedeutend vermindern lassen müssen, ohne daß das Pu-
blicum eine billigere Justiz hat.

Wir wollen aber, daß im Staate so viel unabhängige Männer, als nur
immer möglich leben, und wir wollen nicht, daß alle Kraft und aller Saft
des Staates nach dem Haupte geleitet werde und daß seine Glieder aus
Mangel an Blut und Bewegung dabei verkümmern. Wir können nicht für
nützlich halten, daß eine Beamtenkaste außerhalb des Volkes stehe, welche
nur zu leicht vergißt, daß sie um des Volks willen da ist. nur zu oft in den
Irrthum hineingeräth, daß sie den Staat bilde. Wir halten es für undenk¬
bar, daß Wille und Kenntniß eines Ministers, und wäre er der thatkräftigste
und einsichtsvollste, eine solche Tragweite habe, daß er für die Selbstthätig-
keit der Gemeinden/ Bezirke und Kreise eintreten könnte. Diese sind es, welche
in ihre vollen und ganzen unbeschnittenen und ungetrennten Selbstverwal¬
tungsrechte dem deutschen Volksgeiste gemäß wieder eingesetzt werden müssen.
Es gilt das Verwaltungssystem zu vereinfachen, damit das Beamtenheer zu
mindern, und überhaupt den Finanzcoloß und die Omnipotenz des Staates
zu verringern. Wir wissen, daß wir denne nichts Neues sagen; die sächsi¬
schen Stände haben auf jedem Landtage bisher dahingehende Meinungen aus¬
gesprochen, sie haben die Aushebung der Kreisdirectionen erwogen und das
selkMveriiment Englands als beneidenswerth gepriesen. Aber sie haben keine
ausreichenden oder bestimmten Besserungsvorschläge gemacht; sie haben viel¬
mehr der Centralisation durch Vernichtung der Stadt- und Patrinionialgerichts-
barkeit in die Hände gearbeitet. Die Regierung selbst fühlt, daß sie sich
nicht bloß aus das künstliche Gewächs des Becuntenthums, welches im Volke
keine Wurzeln hat, stützen darf; sie hat das Friedensrichterinstitut gewisser¬
maßen als ein vermittelndes Princip geschaffen, aber dieses Institut wird
ewig an der Halbheit kränkeln; der Friedensrichter hat weder die Autorität des
königlichen noch die Popularität des vom Volke gewühlten Beamten; es ist
eben wieder eine künstliche auf dein Papiere entstandene Einrichtung ohne ge¬
schichtlichen und volkstümlichen Boden.

Gehen wir von dem unerschütterlichen Principe aus, daß Alles, was der
Staat nicht unbedingt und unter allen Umständen thun muß, den Gemeinden
und Kreisen zu überlassen ist. so wird sich die Lösung der Aufgabe leicht fin¬
den, und eine zwar freie, aber doch auf dem geschichtlichen Boden fußende
Behördcnverfassung folgendermaßen in den Grundzügen sich gestalten.



") Wir meinen, daß nachlässige Criminaljustiz ein hinreichender Grund war, eine Aen¬
d D. Red. erung zu wünschen.

gerichte erhalten, unter denen beiläufig nur die Criminaljustiz vernachlässigt, die
Civiljustiz aber fast überall prompt besorgt wurdet)

Eine Menge unabhängiger Männer haben sich ihre Selbständigkeit nehmen
und ihre Einkünfte bedeutend vermindern lassen müssen, ohne daß das Pu-
blicum eine billigere Justiz hat.

Wir wollen aber, daß im Staate so viel unabhängige Männer, als nur
immer möglich leben, und wir wollen nicht, daß alle Kraft und aller Saft
des Staates nach dem Haupte geleitet werde und daß seine Glieder aus
Mangel an Blut und Bewegung dabei verkümmern. Wir können nicht für
nützlich halten, daß eine Beamtenkaste außerhalb des Volkes stehe, welche
nur zu leicht vergißt, daß sie um des Volks willen da ist. nur zu oft in den
Irrthum hineingeräth, daß sie den Staat bilde. Wir halten es für undenk¬
bar, daß Wille und Kenntniß eines Ministers, und wäre er der thatkräftigste
und einsichtsvollste, eine solche Tragweite habe, daß er für die Selbstthätig-
keit der Gemeinden/ Bezirke und Kreise eintreten könnte. Diese sind es, welche
in ihre vollen und ganzen unbeschnittenen und ungetrennten Selbstverwal¬
tungsrechte dem deutschen Volksgeiste gemäß wieder eingesetzt werden müssen.
Es gilt das Verwaltungssystem zu vereinfachen, damit das Beamtenheer zu
mindern, und überhaupt den Finanzcoloß und die Omnipotenz des Staates
zu verringern. Wir wissen, daß wir denne nichts Neues sagen; die sächsi¬
schen Stände haben auf jedem Landtage bisher dahingehende Meinungen aus¬
gesprochen, sie haben die Aushebung der Kreisdirectionen erwogen und das
selkMveriiment Englands als beneidenswerth gepriesen. Aber sie haben keine
ausreichenden oder bestimmten Besserungsvorschläge gemacht; sie haben viel¬
mehr der Centralisation durch Vernichtung der Stadt- und Patrinionialgerichts-
barkeit in die Hände gearbeitet. Die Regierung selbst fühlt, daß sie sich
nicht bloß aus das künstliche Gewächs des Becuntenthums, welches im Volke
keine Wurzeln hat, stützen darf; sie hat das Friedensrichterinstitut gewisser¬
maßen als ein vermittelndes Princip geschaffen, aber dieses Institut wird
ewig an der Halbheit kränkeln; der Friedensrichter hat weder die Autorität des
königlichen noch die Popularität des vom Volke gewühlten Beamten; es ist
eben wieder eine künstliche auf dein Papiere entstandene Einrichtung ohne ge¬
schichtlichen und volkstümlichen Boden.

Gehen wir von dem unerschütterlichen Principe aus, daß Alles, was der
Staat nicht unbedingt und unter allen Umständen thun muß, den Gemeinden
und Kreisen zu überlassen ist. so wird sich die Lösung der Aufgabe leicht fin¬
den, und eine zwar freie, aber doch auf dem geschichtlichen Boden fußende
Behördcnverfassung folgendermaßen in den Grundzügen sich gestalten.



") Wir meinen, daß nachlässige Criminaljustiz ein hinreichender Grund war, eine Aen¬
d D. Red. erung zu wünschen.
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[0108] gerichte erhalten, unter denen beiläufig nur die Criminaljustiz vernachlässigt, die Civiljustiz aber fast überall prompt besorgt wurdet) Eine Menge unabhängiger Männer haben sich ihre Selbständigkeit nehmen und ihre Einkünfte bedeutend vermindern lassen müssen, ohne daß das Pu- blicum eine billigere Justiz hat. Wir wollen aber, daß im Staate so viel unabhängige Männer, als nur immer möglich leben, und wir wollen nicht, daß alle Kraft und aller Saft des Staates nach dem Haupte geleitet werde und daß seine Glieder aus Mangel an Blut und Bewegung dabei verkümmern. Wir können nicht für nützlich halten, daß eine Beamtenkaste außerhalb des Volkes stehe, welche nur zu leicht vergißt, daß sie um des Volks willen da ist. nur zu oft in den Irrthum hineingeräth, daß sie den Staat bilde. Wir halten es für undenk¬ bar, daß Wille und Kenntniß eines Ministers, und wäre er der thatkräftigste und einsichtsvollste, eine solche Tragweite habe, daß er für die Selbstthätig- keit der Gemeinden/ Bezirke und Kreise eintreten könnte. Diese sind es, welche in ihre vollen und ganzen unbeschnittenen und ungetrennten Selbstverwal¬ tungsrechte dem deutschen Volksgeiste gemäß wieder eingesetzt werden müssen. Es gilt das Verwaltungssystem zu vereinfachen, damit das Beamtenheer zu mindern, und überhaupt den Finanzcoloß und die Omnipotenz des Staates zu verringern. Wir wissen, daß wir denne nichts Neues sagen; die sächsi¬ schen Stände haben auf jedem Landtage bisher dahingehende Meinungen aus¬ gesprochen, sie haben die Aushebung der Kreisdirectionen erwogen und das selkMveriiment Englands als beneidenswerth gepriesen. Aber sie haben keine ausreichenden oder bestimmten Besserungsvorschläge gemacht; sie haben viel¬ mehr der Centralisation durch Vernichtung der Stadt- und Patrinionialgerichts- barkeit in die Hände gearbeitet. Die Regierung selbst fühlt, daß sie sich nicht bloß aus das künstliche Gewächs des Becuntenthums, welches im Volke keine Wurzeln hat, stützen darf; sie hat das Friedensrichterinstitut gewisser¬ maßen als ein vermittelndes Princip geschaffen, aber dieses Institut wird ewig an der Halbheit kränkeln; der Friedensrichter hat weder die Autorität des königlichen noch die Popularität des vom Volke gewühlten Beamten; es ist eben wieder eine künstliche auf dein Papiere entstandene Einrichtung ohne ge¬ schichtlichen und volkstümlichen Boden. Gehen wir von dem unerschütterlichen Principe aus, daß Alles, was der Staat nicht unbedingt und unter allen Umständen thun muß, den Gemeinden und Kreisen zu überlassen ist. so wird sich die Lösung der Aufgabe leicht fin¬ den, und eine zwar freie, aber doch auf dem geschichtlichen Boden fußende Behördcnverfassung folgendermaßen in den Grundzügen sich gestalten. ") Wir meinen, daß nachlässige Criminaljustiz ein hinreichender Grund war, eine Aen¬ d D. Red. erung zu wünschen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/108>, abgerufen am 22.07.2024.