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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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gundcrn den vindilischen (vandalischen) Stamm. Im Laufe der Zeit hatten sie
sich von den zwei stammverwandten Völkern, den Warnern und Burgundern,
getrennt und waren mit den Gepiden gen Südost gezogen. Schon Drusus
fand die Vandalen in Schlesien, da die Elbe in den vandalischen Gebirgen
entspringt. Tncitus setzt ostwärts hinter die in Böhmen wohnenden Marco¬
manen die Marfigner, Gothinen, Ösen und Burier, dann kommt die zahl¬
reiche Nation der Ligyer, und hierauf folgen erst die Gotonen oder Gothen.
Hier an der unteren Donau nach Nußland hinein fanden die Gothen ver¬
wandte Völker, die Heruler und Carpcr, nebst dem Stamm der Bastarner,
und errichteten im fünften Jahrhundert ein mächtiges Reich, das sich unter
Hermanrich von der Donau bis zur Ostsee erstreckte. Jornandes zählt als
unterworfene Nationen auf: Gothen, Cyathiuden, Jnarmxis, Vasinobranken,
Mercns, Mordensimnis, die Carer (Carini des Plinius), Rocen. Tadzans,
Athaul, Narego, die Bubugencr, Coiter (Colduli des Strabo), Erulcr, Veneder,
Anten und Slaven, sowie die Aestrarer oder Aestyer, an den Ufern der Ost¬
see, nebst den Mnrcomanen und Quader, Peucincrn (wol als Ueberreste der
Bastarner), sowie die Roxolcmen, wozu nach Ammian- Marcellin noch die
Carper kommen. Das gewaltige gothische Reich erlag dem Einfall der
Hunnen.

Von den drei nach Süden gewanderter gothischen Völkern, den Gothen
Vandalen und Gepiden berichtet Procop, daß sie einerlei Sprache hätten,
welche die gothische genannt wurde, und gleichfalls versichert Eutropius von
den Völkern jenseits der Donau, daß die Gothen, Hypogothen, Gepiden und
Vandalen dieselbe Sprache redeten. Mit Recht aber konnte Procop solche die
gothische nennen, da die Gothen von den meisten andern germanischen Stäm¬
men getrennt, geraume Zeit unter fremden Völkern gelebt und dadurch wol
manches Fremdartige in ihre Sprache aufgenommen hatten. Was die an¬
dern zu dem vindilischen Stamm gehörigen Nationen betrifft, so müssen die
Carini mit den Gothen gewandert sein, da nach Obigem Jornandes sie als
ein den Gothen unterworfenes Volk aufführt. Die Burgunder kennt noch
Ptolemäus als Busuntae zwischen Oder (Suevus) und Weichsel. Später,
wahrscheinlich durch den marcomannischen Krieg herbeigezogen, finden wir sie
am Rhein, wo sie mit den Allemannen in Feindschaft lebten, und von da
besetzten sie einen Theil der Schweiz und des südlichen Frankreich. Burgunder,
Gothen und Warner waren Genossen desselben Stammes, und müssen sonach
einerlei Sprache geredet haben. Diese hatte sich bei den Warnern am reinsten
erhalten, da solche ihre Wohnsitze nicht wesentlich verändert, sondern sich be¬
sonders westwärts an der Seeküste erobernd ausgedehnt hatten. Es sind aber
die Warner des Procop von den Sachsen nicht wesentlich verschieden, sondern
ein und dasselbe Volk. Deutlich ergibt sich dieses aus Procop, der zur Zeit


gundcrn den vindilischen (vandalischen) Stamm. Im Laufe der Zeit hatten sie
sich von den zwei stammverwandten Völkern, den Warnern und Burgundern,
getrennt und waren mit den Gepiden gen Südost gezogen. Schon Drusus
fand die Vandalen in Schlesien, da die Elbe in den vandalischen Gebirgen
entspringt. Tncitus setzt ostwärts hinter die in Böhmen wohnenden Marco¬
manen die Marfigner, Gothinen, Ösen und Burier, dann kommt die zahl¬
reiche Nation der Ligyer, und hierauf folgen erst die Gotonen oder Gothen.
Hier an der unteren Donau nach Nußland hinein fanden die Gothen ver¬
wandte Völker, die Heruler und Carpcr, nebst dem Stamm der Bastarner,
und errichteten im fünften Jahrhundert ein mächtiges Reich, das sich unter
Hermanrich von der Donau bis zur Ostsee erstreckte. Jornandes zählt als
unterworfene Nationen auf: Gothen, Cyathiuden, Jnarmxis, Vasinobranken,
Mercns, Mordensimnis, die Carer (Carini des Plinius), Rocen. Tadzans,
Athaul, Narego, die Bubugencr, Coiter (Colduli des Strabo), Erulcr, Veneder,
Anten und Slaven, sowie die Aestrarer oder Aestyer, an den Ufern der Ost¬
see, nebst den Mnrcomanen und Quader, Peucincrn (wol als Ueberreste der
Bastarner), sowie die Roxolcmen, wozu nach Ammian- Marcellin noch die
Carper kommen. Das gewaltige gothische Reich erlag dem Einfall der
Hunnen.

Von den drei nach Süden gewanderter gothischen Völkern, den Gothen
Vandalen und Gepiden berichtet Procop, daß sie einerlei Sprache hätten,
welche die gothische genannt wurde, und gleichfalls versichert Eutropius von
den Völkern jenseits der Donau, daß die Gothen, Hypogothen, Gepiden und
Vandalen dieselbe Sprache redeten. Mit Recht aber konnte Procop solche die
gothische nennen, da die Gothen von den meisten andern germanischen Stäm¬
men getrennt, geraume Zeit unter fremden Völkern gelebt und dadurch wol
manches Fremdartige in ihre Sprache aufgenommen hatten. Was die an¬
dern zu dem vindilischen Stamm gehörigen Nationen betrifft, so müssen die
Carini mit den Gothen gewandert sein, da nach Obigem Jornandes sie als
ein den Gothen unterworfenes Volk aufführt. Die Burgunder kennt noch
Ptolemäus als Busuntae zwischen Oder (Suevus) und Weichsel. Später,
wahrscheinlich durch den marcomannischen Krieg herbeigezogen, finden wir sie
am Rhein, wo sie mit den Allemannen in Feindschaft lebten, und von da
besetzten sie einen Theil der Schweiz und des südlichen Frankreich. Burgunder,
Gothen und Warner waren Genossen desselben Stammes, und müssen sonach
einerlei Sprache geredet haben. Diese hatte sich bei den Warnern am reinsten
erhalten, da solche ihre Wohnsitze nicht wesentlich verändert, sondern sich be¬
sonders westwärts an der Seeküste erobernd ausgedehnt hatten. Es sind aber
die Warner des Procop von den Sachsen nicht wesentlich verschieden, sondern
ein und dasselbe Volk. Deutlich ergibt sich dieses aus Procop, der zur Zeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/95>, abgerufen am 19.10.2024.