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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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sten predigend daß die Mißbräuche zur Revolution führen und den Völkern,
daß die Revolutionen schlimmer sind als die Mißbräuche/' Er begrüßt die
heilige Allianz mit Jubel. aber als ihm der preußische Gesandte mittheilt,
daß ein Artikel derselben laute: "wenn einer der Verbündeten in seiner Un¬
abhängigkeit angegriffen werde, so würden ihm alle andern beistehen", kaun
der Spötter doch nicht die Bemerkung unterdrücken, man werde vielleicht in
einem geheimen Artikel hinzufügen, "wofern nicht einer von uns einer der An¬
greifer ist."

Oft fällt der Graf auf geistreiche Sophismen, um die widersprechende
Praxis mit der Theorie zu versöhnen; sein Haß gegen Oestreich ist, wie er¬
wähnt, radical, aber wie ist derselbe mit der Ehrerbietung gegen ein erlauch¬
tes Fürstenhaus zu vereinigen? De Maistre unterscheidet zwischen mmLori und
cichinet. Er sagt I. x. 83. "es ist das größte Vorurtheil, das Haus mit dem
Cabinet zu verwechseln; alle Häuser sind gleich ehrenwerth, und ich bin auf
den Knieen vor ihnen, aber was die Cabinete betrifft, so ist es damit anders,
sie kennen weder Treue noch Gesetz, noch Ehre, noch Freundschaft." Der
Kaiser von Oestreich, der treffliche Franz. habe sich feierlich dagegen verwahrt,
daß er sich Besitzungen des Königs von Sardinien aneignen wolle, nichts
destoweniger habe man letzter" geflissentlich in Krieg mit Oestreich verwickelt,
um ihn zu berauben. Statt diese speciöse Unterscheidung zu machen, wäre
^ freilich einfacher zu schließen, daß Franz ebenso falsch gewesen als seine
Minister.

Das hauptsächlichste Interesse geben dem Buche die Depeschen und Me-
moires. welche sich auf Italien beziehen. Während der Jahre 1803-15 war
das Ziel diplomatischer" Thätigkeit des Verfassers die Herstellung und Ver¬
größerung der sardinischen Monarchie, er glaubte an die Bestimmung der
savoyischen Dynastie und ist einer der ersten Vertheidiger der italienischen
Unabhängigkeit gewesen. Sobald der Rückzug Napoleons aus Moskau
beginnt, sieht er denselben als gestürzt an und entwirft ein Memoire
über die Lage und die Interessen des Königs von Sardinien. Er prüft
die Geschichte seiner Dynastie und zeigt das langsame Aufsteigen derselben
zwischen zwei Großmächten. Frankreich und Oestreich, je nach den Umstän¬
den habe sie sich mit der einen gegen die andere verbunden; sie kam so
zu einem gewissen Grad von Macht, aber sobald sie ihre beiden Nachbarn
berührte, sah sie sich zwischen zwei Felsen eingeengt, ohne andre Hoffnung
als die eines Erdbebens. Dies ist mit Bonaparte gekommen. Nach seinem
Sturze darf die frühere unerträgliche Lage nicht wieder eintreten, wenn jetzt
Oestreich nicht nur Mailand erhielte, sondern auch Venedig, so müßte Sar¬
dinien zwischen ihm und Frankreich ersticken, es muß also eine Vergrößerung
erhalten, die es aus dieser unwillkommnem Umarmung zieht, als solche fordert


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sten predigend daß die Mißbräuche zur Revolution führen und den Völkern,
daß die Revolutionen schlimmer sind als die Mißbräuche/' Er begrüßt die
heilige Allianz mit Jubel. aber als ihm der preußische Gesandte mittheilt,
daß ein Artikel derselben laute: „wenn einer der Verbündeten in seiner Un¬
abhängigkeit angegriffen werde, so würden ihm alle andern beistehen", kaun
der Spötter doch nicht die Bemerkung unterdrücken, man werde vielleicht in
einem geheimen Artikel hinzufügen, „wofern nicht einer von uns einer der An¬
greifer ist."

Oft fällt der Graf auf geistreiche Sophismen, um die widersprechende
Praxis mit der Theorie zu versöhnen; sein Haß gegen Oestreich ist, wie er¬
wähnt, radical, aber wie ist derselbe mit der Ehrerbietung gegen ein erlauch¬
tes Fürstenhaus zu vereinigen? De Maistre unterscheidet zwischen mmLori und
cichinet. Er sagt I. x. 83. „es ist das größte Vorurtheil, das Haus mit dem
Cabinet zu verwechseln; alle Häuser sind gleich ehrenwerth, und ich bin auf
den Knieen vor ihnen, aber was die Cabinete betrifft, so ist es damit anders,
sie kennen weder Treue noch Gesetz, noch Ehre, noch Freundschaft." Der
Kaiser von Oestreich, der treffliche Franz. habe sich feierlich dagegen verwahrt,
daß er sich Besitzungen des Königs von Sardinien aneignen wolle, nichts
destoweniger habe man letzter« geflissentlich in Krieg mit Oestreich verwickelt,
um ihn zu berauben. Statt diese speciöse Unterscheidung zu machen, wäre
^ freilich einfacher zu schließen, daß Franz ebenso falsch gewesen als seine
Minister.

Das hauptsächlichste Interesse geben dem Buche die Depeschen und Me-
moires. welche sich auf Italien beziehen. Während der Jahre 1803-15 war
das Ziel diplomatischer" Thätigkeit des Verfassers die Herstellung und Ver¬
größerung der sardinischen Monarchie, er glaubte an die Bestimmung der
savoyischen Dynastie und ist einer der ersten Vertheidiger der italienischen
Unabhängigkeit gewesen. Sobald der Rückzug Napoleons aus Moskau
beginnt, sieht er denselben als gestürzt an und entwirft ein Memoire
über die Lage und die Interessen des Königs von Sardinien. Er prüft
die Geschichte seiner Dynastie und zeigt das langsame Aufsteigen derselben
zwischen zwei Großmächten. Frankreich und Oestreich, je nach den Umstän¬
den habe sie sich mit der einen gegen die andere verbunden; sie kam so
zu einem gewissen Grad von Macht, aber sobald sie ihre beiden Nachbarn
berührte, sah sie sich zwischen zwei Felsen eingeengt, ohne andre Hoffnung
als die eines Erdbebens. Dies ist mit Bonaparte gekommen. Nach seinem
Sturze darf die frühere unerträgliche Lage nicht wieder eintreten, wenn jetzt
Oestreich nicht nur Mailand erhielte, sondern auch Venedig, so müßte Sar¬
dinien zwischen ihm und Frankreich ersticken, es muß also eine Vergrößerung
erhalten, die es aus dieser unwillkommnem Umarmung zieht, als solche fordert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/85>, abgerufen am 22.07.2024.