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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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stehen, die obige Mittheilung über den Beginn und das Ende der Eiszeit sich
nur auf Europa und Nordafrika oder gar nur auf die nördliche Hälfte des
ersteren Welttheils sowie auf die unter gleichen Breitengraden liegenden Theile
der Atlantis bezieht, und daß sowol Amerika als Asien von jenen Revolutionen
nur schwach betroffen worden ist, jenes, indem es die Flora der Molassezeit
theilweise behielt und nur ein Stück seiner Ostgrenze an das Meer abtreten
mußte, dieses, indem es ebenfalls seine Pflanzendecke bewahrte, von der es
dann bei Verbesserung des Klimas Europas an letzteres abgab. Es wäre
somit nicht völlig undenkbar, daß einestheils der Mensch schon während der
Eiszeit existirt hätte, wenn auch nicht in Europa, wenigstens nicht nördlich
von den Alpen, und daß anderntheils die südliche Hälfte der Atlantis noch
einige Jahrhunderte oder Jahrtausende nach Beginn der jetzigen Erdperiode
über-das Meer hervorgeragt, Menschen getragen und durch diese mit dem be¬
nachbarten Südwestafrika in Verbindung gestanden hätte.

Dürften wir dies annehmen, so hätte die Auffindung des Weges, den
die Ueberlieferung von einer bewohnten Atlantis bis zu dem ägyptischen
Priester, Solon und Platon zurücklegte, keine unüberwindlichen Schwierigkeiten.
Die Aegypter sind ein Urvolk, dessen Geschichte, nach dem Bildungsgrad ge¬
messen, den es zur Zeit des Baues der Tempel und Felsengräber von Theben
erreicht hatte, nicht nach Jahrhunderten, sondern nach Jahrtausenden berechnet
werden muß, und das, als seine Könige die Pyramiden aufschichteten, sicher
viel älter war, als die Pyramiden jetzt sind. Sie find ferner ein äußerst con-
scrvativcs Volk, das, soweit wir es in den Nebel der Vorzeit hinein verfolgen
können, genau so lebte, baute, malte und sich begraben ließ, als in seinen
letzten Tagen vor der Vermischung mit griechischer und römischer Bildung.
Es könnte die Sage von der Atlantis und ihrem Verkehr in seiner Urheimath
im tiefern Afrika von der Westküste her empfangen, mit geringer Verdunkelung
bewahrt und nach Erfindung der Schrift niedergeschrieben haben. Dann wäre
allerdings der Kriegszug der Atlanten gegen den Osten eine Fabel, und die
Auszeichnung, die sich Athen hierbei verdient, eine Erfindung Solons zu pa¬
triotischen Zwecken. Alles Andere aber bliebe als Wahrheit bestehen.

Dürfen wir die Fortexistenz der Atlantis in ihrem südlichen Theil wäh¬
rend der Eiszeit und das Schonvorhandensein von Menschen in dieser Periode
nicht annehmen, so fällt damit auch ein gutes Stück der obigen Beweisfüh¬
rung für die Existenz einer Atlantis überhaupt zusammen, und wir werden
uns wehmüthig entschließen müssen, der prächtigen Insel, die dann aus
dem Reich des Wissens wieder in das Nebelmeer der Mythe und Sage,
des Glaubens und Phantasirens versinkt, aus längere Zeit Lebewohl zu
sagen.




stehen, die obige Mittheilung über den Beginn und das Ende der Eiszeit sich
nur auf Europa und Nordafrika oder gar nur auf die nördliche Hälfte des
ersteren Welttheils sowie auf die unter gleichen Breitengraden liegenden Theile
der Atlantis bezieht, und daß sowol Amerika als Asien von jenen Revolutionen
nur schwach betroffen worden ist, jenes, indem es die Flora der Molassezeit
theilweise behielt und nur ein Stück seiner Ostgrenze an das Meer abtreten
mußte, dieses, indem es ebenfalls seine Pflanzendecke bewahrte, von der es
dann bei Verbesserung des Klimas Europas an letzteres abgab. Es wäre
somit nicht völlig undenkbar, daß einestheils der Mensch schon während der
Eiszeit existirt hätte, wenn auch nicht in Europa, wenigstens nicht nördlich
von den Alpen, und daß anderntheils die südliche Hälfte der Atlantis noch
einige Jahrhunderte oder Jahrtausende nach Beginn der jetzigen Erdperiode
über-das Meer hervorgeragt, Menschen getragen und durch diese mit dem be¬
nachbarten Südwestafrika in Verbindung gestanden hätte.

Dürften wir dies annehmen, so hätte die Auffindung des Weges, den
die Ueberlieferung von einer bewohnten Atlantis bis zu dem ägyptischen
Priester, Solon und Platon zurücklegte, keine unüberwindlichen Schwierigkeiten.
Die Aegypter sind ein Urvolk, dessen Geschichte, nach dem Bildungsgrad ge¬
messen, den es zur Zeit des Baues der Tempel und Felsengräber von Theben
erreicht hatte, nicht nach Jahrhunderten, sondern nach Jahrtausenden berechnet
werden muß, und das, als seine Könige die Pyramiden aufschichteten, sicher
viel älter war, als die Pyramiden jetzt sind. Sie find ferner ein äußerst con-
scrvativcs Volk, das, soweit wir es in den Nebel der Vorzeit hinein verfolgen
können, genau so lebte, baute, malte und sich begraben ließ, als in seinen
letzten Tagen vor der Vermischung mit griechischer und römischer Bildung.
Es könnte die Sage von der Atlantis und ihrem Verkehr in seiner Urheimath
im tiefern Afrika von der Westküste her empfangen, mit geringer Verdunkelung
bewahrt und nach Erfindung der Schrift niedergeschrieben haben. Dann wäre
allerdings der Kriegszug der Atlanten gegen den Osten eine Fabel, und die
Auszeichnung, die sich Athen hierbei verdient, eine Erfindung Solons zu pa¬
triotischen Zwecken. Alles Andere aber bliebe als Wahrheit bestehen.

Dürfen wir die Fortexistenz der Atlantis in ihrem südlichen Theil wäh¬
rend der Eiszeit und das Schonvorhandensein von Menschen in dieser Periode
nicht annehmen, so fällt damit auch ein gutes Stück der obigen Beweisfüh¬
rung für die Existenz einer Atlantis überhaupt zusammen, und wir werden
uns wehmüthig entschließen müssen, der prächtigen Insel, die dann aus
dem Reich des Wissens wieder in das Nebelmeer der Mythe und Sage,
des Glaubens und Phantasirens versinkt, aus längere Zeit Lebewohl zu
sagen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/82>, abgerufen am 22.07.2024.