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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Zwei verschollene Inseln.
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Platons Atlantis und die Braunkohle.

Daß die Braunkohle eine schätzenswerthe Ofcnheizcrin ist, nicht ganz so
hiiziger Natur wie ihre Muhme, die Steinkohle, aber jedenfalls ein wärmeres
Gemüth als Better Torf, wird allen bekannt sein, welche zu dieser Familie in
Beziehung traten. Daß sie Jenem, der in der Dämmerstunde vor ihrer Gluth
fest, sie aufzüngeln, Funkcngarben entsenden und allmälig verglühen sieht,
die eine und die andere anmuthige Erinnerung wecken, die eine und die an¬
dere hübsche Geschichte von heute oder gestern erzählen kann, werden sinnige
Seelen nicht in Abrede stellen wollen. Nicht so leicht dagegen wird man
geneigt sein, anzuerkennen, daß sie höhere Ansprüche machen, daß sie z. B.
dem Gelehrten, dem sie die Studirstube wärmt, bei der Deutung von Mythen
behilflich sein, daß sie ihm bei Entzifferung von Hieroglyphen an die Hand
gehen, ihn aus denselben Urgeschichte lesen lassen tour", und daß dieses un¬
scheinbare niedriggebornc Aschenbrödel gar eine nicht allzucntfemte Verwandte
der stolzen prächtigen Atlantis Platons sei, ist unsern Archäologen bisher wol
schwerlich auch nur im Traume möglich erschienen.

Und doch scheint es so. Sagte man bisher: die Atlantis, wie sie Platon
schildert, ist eine Fabel, die Braunkohle ein gutes Feuerungsmaterial aus halb¬
versteinertem Holz, so antwortet daraus die Geologie: die platonische Atlantis
ist eine Mythe. die eine Wahrheit der Urgeographie zum Kern hat, und diese
Wahrheit ist uns durch die stumme Sprache der versunkenen Wälder kund ge¬
worden, welche wir Braunkohlenlager nennen, und in deren Tiefen vielleicht
die Lösung von manchem andern Geheimnisse der Vorwelt seines Ent¬
deckers harrt.

Im "Timüus" Platons wird erzählt, wie Solon auf seiner Wan¬
derung durch Aegypten von einem Priester in Sais eine wundersame Mit¬
theilung über eine große Insel Atlantis erhielt, die jenseits der Säulen
des Herakles gelegen und von einem mächtigen Volke bewohnt gewesen sei.
Nachdem der Priester zuerst darauf hingewiesen, wie nur Aegypten das Land
sein könne, wo die ältesten Spuren des Menschengeschlechts zu suchen, eröffnete
er dem hellenischen Gaste, daß auch Griechenland und vorzüglich Athen eine
sehr hoch ins Alterthum hinaufreichende Geschichte habe, indem hier durch die
Göttin Athena (Reich) noch früher als in suis ein geordnetes Staatswesen
gegründet und Bildung und Gesittung gepflanzt worden sei. Namentlich die


Zwei verschollene Inseln.
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Platons Atlantis und die Braunkohle.

Daß die Braunkohle eine schätzenswerthe Ofcnheizcrin ist, nicht ganz so
hiiziger Natur wie ihre Muhme, die Steinkohle, aber jedenfalls ein wärmeres
Gemüth als Better Torf, wird allen bekannt sein, welche zu dieser Familie in
Beziehung traten. Daß sie Jenem, der in der Dämmerstunde vor ihrer Gluth
fest, sie aufzüngeln, Funkcngarben entsenden und allmälig verglühen sieht,
die eine und die andere anmuthige Erinnerung wecken, die eine und die an¬
dere hübsche Geschichte von heute oder gestern erzählen kann, werden sinnige
Seelen nicht in Abrede stellen wollen. Nicht so leicht dagegen wird man
geneigt sein, anzuerkennen, daß sie höhere Ansprüche machen, daß sie z. B.
dem Gelehrten, dem sie die Studirstube wärmt, bei der Deutung von Mythen
behilflich sein, daß sie ihm bei Entzifferung von Hieroglyphen an die Hand
gehen, ihn aus denselben Urgeschichte lesen lassen tour«, und daß dieses un¬
scheinbare niedriggebornc Aschenbrödel gar eine nicht allzucntfemte Verwandte
der stolzen prächtigen Atlantis Platons sei, ist unsern Archäologen bisher wol
schwerlich auch nur im Traume möglich erschienen.

Und doch scheint es so. Sagte man bisher: die Atlantis, wie sie Platon
schildert, ist eine Fabel, die Braunkohle ein gutes Feuerungsmaterial aus halb¬
versteinertem Holz, so antwortet daraus die Geologie: die platonische Atlantis
ist eine Mythe. die eine Wahrheit der Urgeographie zum Kern hat, und diese
Wahrheit ist uns durch die stumme Sprache der versunkenen Wälder kund ge¬
worden, welche wir Braunkohlenlager nennen, und in deren Tiefen vielleicht
die Lösung von manchem andern Geheimnisse der Vorwelt seines Ent¬
deckers harrt.

Im „Timüus" Platons wird erzählt, wie Solon auf seiner Wan¬
derung durch Aegypten von einem Priester in Sais eine wundersame Mit¬
theilung über eine große Insel Atlantis erhielt, die jenseits der Säulen
des Herakles gelegen und von einem mächtigen Volke bewohnt gewesen sei.
Nachdem der Priester zuerst darauf hingewiesen, wie nur Aegypten das Land
sein könne, wo die ältesten Spuren des Menschengeschlechts zu suchen, eröffnete
er dem hellenischen Gaste, daß auch Griechenland und vorzüglich Athen eine
sehr hoch ins Alterthum hinaufreichende Geschichte habe, indem hier durch die
Göttin Athena (Reich) noch früher als in suis ein geordnetes Staatswesen
gegründet und Bildung und Gesittung gepflanzt worden sei. Namentlich die


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[0072] Zwei verschollene Inseln. " '' ^ /2/^ ^ /V.^ ^ ^' Platons Atlantis und die Braunkohle. Daß die Braunkohle eine schätzenswerthe Ofcnheizcrin ist, nicht ganz so hiiziger Natur wie ihre Muhme, die Steinkohle, aber jedenfalls ein wärmeres Gemüth als Better Torf, wird allen bekannt sein, welche zu dieser Familie in Beziehung traten. Daß sie Jenem, der in der Dämmerstunde vor ihrer Gluth fest, sie aufzüngeln, Funkcngarben entsenden und allmälig verglühen sieht, die eine und die andere anmuthige Erinnerung wecken, die eine und die an¬ dere hübsche Geschichte von heute oder gestern erzählen kann, werden sinnige Seelen nicht in Abrede stellen wollen. Nicht so leicht dagegen wird man geneigt sein, anzuerkennen, daß sie höhere Ansprüche machen, daß sie z. B. dem Gelehrten, dem sie die Studirstube wärmt, bei der Deutung von Mythen behilflich sein, daß sie ihm bei Entzifferung von Hieroglyphen an die Hand gehen, ihn aus denselben Urgeschichte lesen lassen tour«, und daß dieses un¬ scheinbare niedriggebornc Aschenbrödel gar eine nicht allzucntfemte Verwandte der stolzen prächtigen Atlantis Platons sei, ist unsern Archäologen bisher wol schwerlich auch nur im Traume möglich erschienen. Und doch scheint es so. Sagte man bisher: die Atlantis, wie sie Platon schildert, ist eine Fabel, die Braunkohle ein gutes Feuerungsmaterial aus halb¬ versteinertem Holz, so antwortet daraus die Geologie: die platonische Atlantis ist eine Mythe. die eine Wahrheit der Urgeographie zum Kern hat, und diese Wahrheit ist uns durch die stumme Sprache der versunkenen Wälder kund ge¬ worden, welche wir Braunkohlenlager nennen, und in deren Tiefen vielleicht die Lösung von manchem andern Geheimnisse der Vorwelt seines Ent¬ deckers harrt. Im „Timüus" Platons wird erzählt, wie Solon auf seiner Wan¬ derung durch Aegypten von einem Priester in Sais eine wundersame Mit¬ theilung über eine große Insel Atlantis erhielt, die jenseits der Säulen des Herakles gelegen und von einem mächtigen Volke bewohnt gewesen sei. Nachdem der Priester zuerst darauf hingewiesen, wie nur Aegypten das Land sein könne, wo die ältesten Spuren des Menschengeschlechts zu suchen, eröffnete er dem hellenischen Gaste, daß auch Griechenland und vorzüglich Athen eine sehr hoch ins Alterthum hinaufreichende Geschichte habe, indem hier durch die Göttin Athena (Reich) noch früher als in suis ein geordnetes Staatswesen gegründet und Bildung und Gesittung gepflanzt worden sei. Namentlich die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/72>, abgerufen am 22.07.2024.