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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Begebenheiten auseinanderlegt und in die reiche Umgebung einer ganzen Weit
von Objecten und Beziehungen setzt, ist ein für die bildende Kunst ganz passen¬
des Feld. Lessing zog die Grenzen der Malerei zu eng, als er meinte, daß
der Homer nur wenig günstige Stoffe dem Künstler liefere. Aber natürlich
ist nicht jede Situation brauchbar; es bedarf der richtigen Auswahl. Ein solch'
anschauliches Bild ist z. B. der Gang Hermanns und Dorotheens durch das
"hohe wankende Korn, das die Durchschreitenden fast, die hohen Gestalten er¬
reichte." Schon W. Humboldt hat auf die echt homerische Anschauungsweise,
die sich in diesem Bilde des Dichters kund gibt, aufmerksam gemacht, die
Phantasie stellt sich den ganzen geschichtlichen Hintergrund vor. aus dem heraus
sich die Gestalten bewegen, und zugleich die idyllische Heimlichkeit des väter¬
lichen Hauses, dem sie zuwandern. Dieses Motiv hätte wol ein Bild geben können,
das ebenso sehr vom Goethe'sehen Geiste durchdrungen, als von selbstän¬
diger ästhetischer Wirkung gewesen wäre. Aber dem reflectirten Geiste des
Künstlers genügte das einfache, durchaus anschauliche Neveneinandcrschreiien
des Paares -- wobei er jenen Hintergrund hätte andeuten können -- nicht;
auch diesmal pfuschte er dem Dichter ins Handwerk, indem er darzustellen
versuchte, wie Hermann das unsicher schreitende Mädchen bei zunehmendem
Sturm die "unbehauenen Stufen im Laubgang" herableitet. Wieder bedachte
nicht, daß den Reiz dieser Situation nur der Dichter schildern kann, nur
dieser, wie die Ausgleitende der Jüngling mit seliger Empfindung und männ-
Ucher Zurückhaltung zugleich an der Brust hält. Bildund dargestellt ist diese
Scene nicht bloß ohne alle Wirkung, sie ist geradezu sinnlos. Man weiß
">ehe. was die wacklige Gestalt des Mädchens soll, die ohne allen Schwer¬
punkt weder feststeht, noch in der Luft schwebt, was die herumvagirenden
Anne des Paares wollen, daß sich Eines am Andern halten zu wollen scheint,
ohne sich zu berühren. --

Genug. In Kaulbach hat sich diesmal die bildende Kunst nicht nur an
sich, sie hat sich auch um der dichtenden versündigt. Goethe mag von seiner
olympischen Höhe zürnend auf das kleine Geschlecht herabblicken, das sich her¬
ausnimmt, seine Schöpfungen auch im Bilde zu verewigen und nichts weiter
thut, als sein Andenken mißhandeln. Es ist nicht auszumachen, ob das erste
der Kaulbachschen Blätter, auf dem eine hohe Frauengestalt in faltenreichen
fließendem Gewände dem knieenden Dichter den Sorvcert'ranz reicht, sich auf
"die Zueignung" bezieht -- doch hat es den Anschein. In diesem Falle
werden die Manen Goethe's für die geistreiche Combination, welche "der
Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit" durch den Kranz ersetzt,
also den Dichter durch den Künstler verherrlichen soll. -- für eine solche Com¬
bination, die den Sinn des ganzen Gedichtes geradezu aufhebt, wenden die
Manen G ^. (>> oethe's dem Künstler wenig Dank wissen.




Begebenheiten auseinanderlegt und in die reiche Umgebung einer ganzen Weit
von Objecten und Beziehungen setzt, ist ein für die bildende Kunst ganz passen¬
des Feld. Lessing zog die Grenzen der Malerei zu eng, als er meinte, daß
der Homer nur wenig günstige Stoffe dem Künstler liefere. Aber natürlich
ist nicht jede Situation brauchbar; es bedarf der richtigen Auswahl. Ein solch'
anschauliches Bild ist z. B. der Gang Hermanns und Dorotheens durch das
„hohe wankende Korn, das die Durchschreitenden fast, die hohen Gestalten er¬
reichte." Schon W. Humboldt hat auf die echt homerische Anschauungsweise,
die sich in diesem Bilde des Dichters kund gibt, aufmerksam gemacht, die
Phantasie stellt sich den ganzen geschichtlichen Hintergrund vor. aus dem heraus
sich die Gestalten bewegen, und zugleich die idyllische Heimlichkeit des väter¬
lichen Hauses, dem sie zuwandern. Dieses Motiv hätte wol ein Bild geben können,
das ebenso sehr vom Goethe'sehen Geiste durchdrungen, als von selbstän¬
diger ästhetischer Wirkung gewesen wäre. Aber dem reflectirten Geiste des
Künstlers genügte das einfache, durchaus anschauliche Neveneinandcrschreiien
des Paares — wobei er jenen Hintergrund hätte andeuten können — nicht;
auch diesmal pfuschte er dem Dichter ins Handwerk, indem er darzustellen
versuchte, wie Hermann das unsicher schreitende Mädchen bei zunehmendem
Sturm die „unbehauenen Stufen im Laubgang" herableitet. Wieder bedachte
nicht, daß den Reiz dieser Situation nur der Dichter schildern kann, nur
dieser, wie die Ausgleitende der Jüngling mit seliger Empfindung und männ-
Ucher Zurückhaltung zugleich an der Brust hält. Bildund dargestellt ist diese
Scene nicht bloß ohne alle Wirkung, sie ist geradezu sinnlos. Man weiß
">ehe. was die wacklige Gestalt des Mädchens soll, die ohne allen Schwer¬
punkt weder feststeht, noch in der Luft schwebt, was die herumvagirenden
Anne des Paares wollen, daß sich Eines am Andern halten zu wollen scheint,
ohne sich zu berühren. —

Genug. In Kaulbach hat sich diesmal die bildende Kunst nicht nur an
sich, sie hat sich auch um der dichtenden versündigt. Goethe mag von seiner
olympischen Höhe zürnend auf das kleine Geschlecht herabblicken, das sich her¬
ausnimmt, seine Schöpfungen auch im Bilde zu verewigen und nichts weiter
thut, als sein Andenken mißhandeln. Es ist nicht auszumachen, ob das erste
der Kaulbachschen Blätter, auf dem eine hohe Frauengestalt in faltenreichen
fließendem Gewände dem knieenden Dichter den Sorvcert'ranz reicht, sich auf
„die Zueignung" bezieht — doch hat es den Anschein. In diesem Falle
werden die Manen Goethe's für die geistreiche Combination, welche „der
Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit" durch den Kranz ersetzt,
also den Dichter durch den Künstler verherrlichen soll. — für eine solche Com¬
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Manen G ^. (>> oethe's dem Künstler wenig Dank wissen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/71>, abgerufen am 22.07.2024.