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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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außen auf ihn einbrechend empfindet. Grade durch dieses wechselnde Dasein,
in welchem die Erinnyen ebensowol innere Gemüthsmächte als die ewige"
Nnchegöttinncn sind, ist der antike Stoff dem modernen Bewußtsein lebendig
geworden. Davon aber ist im Bilde keine Spur. Des Orestes Gesicht ist
abgewendet -- der Zug der Darstellung Gretchens kehrt also wieder -- wie
wenn er den grausigen Anblick nicht ertragen könnte: glaubte auch hier Knnl-
bach den Ausdruck nicht wiedergeben zu können oder fürchtete er die Ver¬
zerrung? Vielleicht hätte sich in den Zügen des Unglücklichen etwas von jener
innern Qual ausdrücken lassen; obgleich auch das wieder die bildende Kunst
nicht verträgt, daß auf Einem Bilde dasselbe Motiv zweimal sich darstelle,
einmal als den Erscheinungen innewohnende Macht und dann selber als äußere
Erscheinung. So ist Kaulbachs Auffassung weder im Sinne der antiken
Kunst noch im Goethe'schen Sinne: jene bildete die Furien nicht in ihrer stra¬
fenden Furchtbarkeit, und Goethe's Erinnyen sind nicht wie die des Aeschylus
(die Erinnyen der alten Plastik sind die des Euripides), die halb gorgonen-
balb harpycnartig dunkel und widerlich anzuschauen sind: es sind nicht die
Kciulbach'schen. Und es ist, wie wenn die starre Leblosigkeit derselben aus
Iphigenie und Orestes übergegangen wäre: es ist keine Seele in den ungelen¬
ken Bewegungen dieser Gestalten.

Es drängt sich uns aber immer auf's Neue auf: der Künstler hat die
Schöpfungen der dichterischen Phantasie bildlich auf's Neue hervorbringen
wollen -- und seine Producte sind alle todtgeborne. Denn er hat jene nicht
malerisch aufgefaßt, so können diese malerisch nicht leben und wenn die Mache
noch so vortrefflich wäre. Das ist die Folge des Unternehmens: dem Dichter
Kleichthun. bildlich wiedergeben zu wollen, was nur das aus der Seele zur
Seele dringende Wort auszudrücken vermag.

Man kann nicht genug wiederholen: das ist der Fluch unserer nüchterne
reflectirten Zeit, daß sie keine Freude mehr hat an der einfachen.Erscheinung
der D'luge. daß sie überall abstracten Geist will. Pie wenn der Geist ein
Wesen für sich wäre, das sie als rhr Monopol beliebig in die Objecte hinein¬
bringt, weil ih> diese dumm und todt sind: daß sie kein Auge mehr hat für
die concrete Seele, die aus den Dingen selber den Menschen von sinniger,
eingehender Phantasie anschaut. Dieses ewige "Leiden" des Geistes, wie
^wenn die Welt nicht bestehen könnte ohne den armseligen Credit von Ver¬
stand, den ihr dieses oder jenes Individuum gibt! Schon Schiller hat mit
richtigem Blick den Abweg erkannt, auf den die neuere Kunst gleich anfangs
gerieth. Er schreibt einmal an Göthe: "Aus Verzweiflung, die empirische
Natur, womit er umgeben ist. nicht aus eine ästhetische reduciren zu können,
verläßt der neuere Künstler von lebhafter Phantasie und Geist sie lieber ganz
und sucht bei der Imagination Hilfe gegen die Empirie, gegen die Wirklich-


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außen auf ihn einbrechend empfindet. Grade durch dieses wechselnde Dasein,
in welchem die Erinnyen ebensowol innere Gemüthsmächte als die ewige»
Nnchegöttinncn sind, ist der antike Stoff dem modernen Bewußtsein lebendig
geworden. Davon aber ist im Bilde keine Spur. Des Orestes Gesicht ist
abgewendet — der Zug der Darstellung Gretchens kehrt also wieder — wie
wenn er den grausigen Anblick nicht ertragen könnte: glaubte auch hier Knnl-
bach den Ausdruck nicht wiedergeben zu können oder fürchtete er die Ver¬
zerrung? Vielleicht hätte sich in den Zügen des Unglücklichen etwas von jener
innern Qual ausdrücken lassen; obgleich auch das wieder die bildende Kunst
nicht verträgt, daß auf Einem Bilde dasselbe Motiv zweimal sich darstelle,
einmal als den Erscheinungen innewohnende Macht und dann selber als äußere
Erscheinung. So ist Kaulbachs Auffassung weder im Sinne der antiken
Kunst noch im Goethe'schen Sinne: jene bildete die Furien nicht in ihrer stra¬
fenden Furchtbarkeit, und Goethe's Erinnyen sind nicht wie die des Aeschylus
(die Erinnyen der alten Plastik sind die des Euripides), die halb gorgonen-
balb harpycnartig dunkel und widerlich anzuschauen sind: es sind nicht die
Kciulbach'schen. Und es ist, wie wenn die starre Leblosigkeit derselben aus
Iphigenie und Orestes übergegangen wäre: es ist keine Seele in den ungelen¬
ken Bewegungen dieser Gestalten.

Es drängt sich uns aber immer auf's Neue auf: der Künstler hat die
Schöpfungen der dichterischen Phantasie bildlich auf's Neue hervorbringen
wollen — und seine Producte sind alle todtgeborne. Denn er hat jene nicht
malerisch aufgefaßt, so können diese malerisch nicht leben und wenn die Mache
noch so vortrefflich wäre. Das ist die Folge des Unternehmens: dem Dichter
Kleichthun. bildlich wiedergeben zu wollen, was nur das aus der Seele zur
Seele dringende Wort auszudrücken vermag.

Man kann nicht genug wiederholen: das ist der Fluch unserer nüchterne
reflectirten Zeit, daß sie keine Freude mehr hat an der einfachen.Erscheinung
der D'luge. daß sie überall abstracten Geist will. Pie wenn der Geist ein
Wesen für sich wäre, das sie als rhr Monopol beliebig in die Objecte hinein¬
bringt, weil ih> diese dumm und todt sind: daß sie kein Auge mehr hat für
die concrete Seele, die aus den Dingen selber den Menschen von sinniger,
eingehender Phantasie anschaut. Dieses ewige „Leiden" des Geistes, wie
^wenn die Welt nicht bestehen könnte ohne den armseligen Credit von Ver¬
stand, den ihr dieses oder jenes Individuum gibt! Schon Schiller hat mit
richtigem Blick den Abweg erkannt, auf den die neuere Kunst gleich anfangs
gerieth. Er schreibt einmal an Göthe: „Aus Verzweiflung, die empirische
Natur, womit er umgeben ist. nicht aus eine ästhetische reduciren zu können,
verläßt der neuere Künstler von lebhafter Phantasie und Geist sie lieber ganz
und sucht bei der Imagination Hilfe gegen die Empirie, gegen die Wirklich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/69>, abgerufen am 22.07.2024.