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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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flandrischen Kunst, daß sie für gewöhnlich unter dem Ausdruck der Empfindung,
welcher der Malerei zukommt, zurückblieb, in den seltenen Füllen dagegen, wo
sie ihn als Hauptsache darstellte, darüber hinausging. -- Die Zeichnung, in
der die plastische Anschauungsweise vorwiegt, hat natürlich hierin noch engere
Grenzen als die Malerei. Der maskenartige Eindruck, den das von der Leiden¬
schaft verzerrte Gesicht schon in der Natur macht, tritt in dem bloßen Zug der
Linie, dem Umriß, besonders schneidend hervor; so scheint die Züge Märchens
ein krampfhaftes Zucken zu fSssen. das sie in ihrer Erschütterung mumienhaft
fixirt. Wie kann es anders sein, da in ihrer Seele nichts ist als die Noth
der Verzweiflung, die bei dem heftigsten Verlangen nach Hilfe gänzlich ohn-
mächtig weder für den Geliebten noch sich selbst eine Rettung weiß. Dieser
absolute Schmerz zerreißt ihr Gemüth, zerbricht das schöne Gefäß, zerwühlt,
verzerrt die ganze Erscheinung. Im Verlaufe der dramatischen Darstellung ist
diese Scene von der größten Wirkung: von dem Bilde des Künstlers wenden
wir uns ab. Schon für sich ist dieses Klärchen abstoßend genug; wozu noch
es mit einem gemeinen weiblichen Pöbel umgeben, dessen Darstellung wol
dem satirischen Griffel eines Hogarth zukommt, dem Idealisten Kaulbach
aber nicht ansteht? --

Wir hätten uns nicht so lange bei dieser Zeichnung aufgehalten, wenn
nicht eine ganze Richtung der gegenwärtigen Kunst darauf ausginge, dem
Poeten oder gar dem historischen Darsteller den Rang abzulaufen.- Man malt
Gedankenprocesse, lyrische Stimmungen. Situationen, in denen sich die Seele
empfindend oder überlegend auf sich selbst zurückbiegt, oder solche, in denen
ste zur Mittheilung, zum Ideenaustausch aus sich herausgeht, man malt Affecte
der leidenschaftlichsten Art, welche nur der aus dem aufgerüttelten Innern
hervorbrechende Ton auszudrücken vermag, dramatische Momente, die nur im
Verlaufe der Handlung als die gipfelnde Spitze der Verwicklung wirksam sind.
Daher die Cromwell, die sich überlegen, ob sie die Krone annehmen sollen
oder nicht, die Calvin, welche die Servet vergeblich für ihre Ueberzeugung zu
gewinnen suchen, und was Alles der Art die moderne Malerei hervorgebracht
hat. Man hat vergessen, was malerisch ist, und es thäte noth, die Ergebnisse
des Lessing'schen Laokoon an die Wände des Ateliers zu schreiben; besser wür¬
den die Künstler aus das von Lessing engbegrenzte Gebiet sich beschränken, als
daß sie in Duft und Nebel in der weiten Welt umherirrten. ,Mit diesem
fleisch- und blutlosen Idealismus geht ein grober Realismus Hand in Hand;
ein Realismus, der an der gemeinen, abgeschabten, zerlumpten, verbrauchten,
schmutzigen Erscheinung Gefallen hat und mit plumper Wahrheit den Straßen¬
dreck fingersdick auf die Leinwand trägt, dem die rohe blendende Natürlichkeit
des Beiwerks die Hauptsache ist. Natürlich: da einerseits die Kunst eine
Welt zu der ihrigen macht, die Domaine des Dichters oder Schriftstellers ist.


flandrischen Kunst, daß sie für gewöhnlich unter dem Ausdruck der Empfindung,
welcher der Malerei zukommt, zurückblieb, in den seltenen Füllen dagegen, wo
sie ihn als Hauptsache darstellte, darüber hinausging. — Die Zeichnung, in
der die plastische Anschauungsweise vorwiegt, hat natürlich hierin noch engere
Grenzen als die Malerei. Der maskenartige Eindruck, den das von der Leiden¬
schaft verzerrte Gesicht schon in der Natur macht, tritt in dem bloßen Zug der
Linie, dem Umriß, besonders schneidend hervor; so scheint die Züge Märchens
ein krampfhaftes Zucken zu fSssen. das sie in ihrer Erschütterung mumienhaft
fixirt. Wie kann es anders sein, da in ihrer Seele nichts ist als die Noth
der Verzweiflung, die bei dem heftigsten Verlangen nach Hilfe gänzlich ohn-
mächtig weder für den Geliebten noch sich selbst eine Rettung weiß. Dieser
absolute Schmerz zerreißt ihr Gemüth, zerbricht das schöne Gefäß, zerwühlt,
verzerrt die ganze Erscheinung. Im Verlaufe der dramatischen Darstellung ist
diese Scene von der größten Wirkung: von dem Bilde des Künstlers wenden
wir uns ab. Schon für sich ist dieses Klärchen abstoßend genug; wozu noch
es mit einem gemeinen weiblichen Pöbel umgeben, dessen Darstellung wol
dem satirischen Griffel eines Hogarth zukommt, dem Idealisten Kaulbach
aber nicht ansteht? —

Wir hätten uns nicht so lange bei dieser Zeichnung aufgehalten, wenn
nicht eine ganze Richtung der gegenwärtigen Kunst darauf ausginge, dem
Poeten oder gar dem historischen Darsteller den Rang abzulaufen.- Man malt
Gedankenprocesse, lyrische Stimmungen. Situationen, in denen sich die Seele
empfindend oder überlegend auf sich selbst zurückbiegt, oder solche, in denen
ste zur Mittheilung, zum Ideenaustausch aus sich herausgeht, man malt Affecte
der leidenschaftlichsten Art, welche nur der aus dem aufgerüttelten Innern
hervorbrechende Ton auszudrücken vermag, dramatische Momente, die nur im
Verlaufe der Handlung als die gipfelnde Spitze der Verwicklung wirksam sind.
Daher die Cromwell, die sich überlegen, ob sie die Krone annehmen sollen
oder nicht, die Calvin, welche die Servet vergeblich für ihre Ueberzeugung zu
gewinnen suchen, und was Alles der Art die moderne Malerei hervorgebracht
hat. Man hat vergessen, was malerisch ist, und es thäte noth, die Ergebnisse
des Lessing'schen Laokoon an die Wände des Ateliers zu schreiben; besser wür¬
den die Künstler aus das von Lessing engbegrenzte Gebiet sich beschränken, als
daß sie in Duft und Nebel in der weiten Welt umherirrten. ,Mit diesem
fleisch- und blutlosen Idealismus geht ein grober Realismus Hand in Hand;
ein Realismus, der an der gemeinen, abgeschabten, zerlumpten, verbrauchten,
schmutzigen Erscheinung Gefallen hat und mit plumper Wahrheit den Straßen¬
dreck fingersdick auf die Leinwand trägt, dem die rohe blendende Natürlichkeit
des Beiwerks die Hauptsache ist. Natürlich: da einerseits die Kunst eine
Welt zu der ihrigen macht, die Domaine des Dichters oder Schriftstellers ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/61>, abgerufen am 25.08.2024.