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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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gräßliche Eindruck sowol an der schönen Form als an dieser ein ästhetisches
Gegengewicht hat. Die versteckte Bosheit des Weibes läßt sich in der bloßen
Erscheinung, ohne daß sie in einer bestimmten Situation zum Ausbruch käme,
gar nicht ausdrücken. -- Auch in den andern Figuren des Blattes zeigt sich
die absichtsvolle Reflexion des Künstlers, welche-die einfache Wirkung durch
eine absonderliche Auffassung erhöhen will. In der Gestalt des Pfaffen im
Hintergrunde ist das Charakteristische stark überladen und der Sänger Liebe¬
traut ist offenbar ironisch behandelt; der Mann soll aussehen, wie wenn es
ihm mit seinem Singen, Spielen und> scharwenzelt nicht Ernst wäre.

Hat der Künstler bisher ruhige Situationen sich zum Borwurf genommen, die
sich zu einem anschaulichen Bilde wol festhalten ließen: so hat er dagegen aus Eg-
mont die leidenschaftlichste Scene des ganzen Dramas herausgegriffen. Eine selt¬
same Wahl, da das Schauspiel mehr in der gegenständlichen Breite des Epos als
in dem raschen zusammengehaltenen Gang der dramatischen Handlung ver¬
läuft. Wie sich Schiller einmal ausdrückt, "sagte die strenge grade Linie,
nach, welcher der tragische Poet fortschreiten muß, der Natur Goethe's nicht zu/'
Weßhalb nun ein Motiv nehmen, welches das Gepräge des dichterischen Ge¬
nius weniger deutlich an sich trägt / während es zugleich der darstellenden
Hand unüberwindliche Schwierigkeiten bietet? Welch ein Unternehmen, uns
die schöne jugendliche Gestalt vorzuführen, wie sie von dem äußersten Krampfe
des Schmerzes und der Verzweiflung stürmisch bewegt, verzerrt, aus ihren
Fugen, über die Grenzen der Weiblichkeit hinausgerisseu auf der Gasse Lärm
schlägt! Die Malerei soll überhaupt nicht die allzuheftige sinnliche'Bewegung
darstellen, die dem Körper gleichsam seinen Schwerpunkt nimmt und die Glie¬
der in wilder Hast verdreht, durcheinandcrschüttelt; sie soll nicht die äußerste
Leidenschaft ausdrücken wollen, die nurdurch die Wirkung der menschlichen Stimme,
der eindringlichen Sprache mitempfunden, verstanden, ertragen werden kann; sie soll
endlich nicht eine Aufrüttlung des ganzen geistigen und leiblichen Menschen festhalten
wollen, die allein sowol wirksam als erträglich ist, indem sie in einer Folge
von Bildern an unserer Seele vorübergeführt wird. Vielleicht sündigt keine
der Kaulbach'schen Zeichnungen so schwer gegen die Kunst und den Goethe'schen
Genius, als eben dies Klärchen. Grndezu unschön, in ihrer ästhetischen
Wirkung auch auf dem Felde des Furchtbaren verfehlt ist die hastige, flacke¬
rige Gestalt mit den in der Lust gewundenen Armen, den zappeligen, gleich
Wnrzelausläusern ausgestreckten Händen, in denen, die Reflexion zu sitzen scheint,
als ob die eine nach dem Gefängniß wiese, die andere zur Hilfe herbeiriefe.
Nun gar der zum wilden Ruf geöffnete Mund -- Klärchens Mund zum
Schreien geöffnet! Widerlich ist auf dem Bilde immer der Gesichtszug des
Schreies, so der schreiende Petrus vou Rubens in Köln: aber es findet sich
nicht leicht ein abstoßenderes Bild unter allen häßlichen Dingen dieser Erde,


gräßliche Eindruck sowol an der schönen Form als an dieser ein ästhetisches
Gegengewicht hat. Die versteckte Bosheit des Weibes läßt sich in der bloßen
Erscheinung, ohne daß sie in einer bestimmten Situation zum Ausbruch käme,
gar nicht ausdrücken. — Auch in den andern Figuren des Blattes zeigt sich
die absichtsvolle Reflexion des Künstlers, welche-die einfache Wirkung durch
eine absonderliche Auffassung erhöhen will. In der Gestalt des Pfaffen im
Hintergrunde ist das Charakteristische stark überladen und der Sänger Liebe¬
traut ist offenbar ironisch behandelt; der Mann soll aussehen, wie wenn es
ihm mit seinem Singen, Spielen und> scharwenzelt nicht Ernst wäre.

Hat der Künstler bisher ruhige Situationen sich zum Borwurf genommen, die
sich zu einem anschaulichen Bilde wol festhalten ließen: so hat er dagegen aus Eg-
mont die leidenschaftlichste Scene des ganzen Dramas herausgegriffen. Eine selt¬
same Wahl, da das Schauspiel mehr in der gegenständlichen Breite des Epos als
in dem raschen zusammengehaltenen Gang der dramatischen Handlung ver¬
läuft. Wie sich Schiller einmal ausdrückt, „sagte die strenge grade Linie,
nach, welcher der tragische Poet fortschreiten muß, der Natur Goethe's nicht zu/'
Weßhalb nun ein Motiv nehmen, welches das Gepräge des dichterischen Ge¬
nius weniger deutlich an sich trägt / während es zugleich der darstellenden
Hand unüberwindliche Schwierigkeiten bietet? Welch ein Unternehmen, uns
die schöne jugendliche Gestalt vorzuführen, wie sie von dem äußersten Krampfe
des Schmerzes und der Verzweiflung stürmisch bewegt, verzerrt, aus ihren
Fugen, über die Grenzen der Weiblichkeit hinausgerisseu auf der Gasse Lärm
schlägt! Die Malerei soll überhaupt nicht die allzuheftige sinnliche'Bewegung
darstellen, die dem Körper gleichsam seinen Schwerpunkt nimmt und die Glie¬
der in wilder Hast verdreht, durcheinandcrschüttelt; sie soll nicht die äußerste
Leidenschaft ausdrücken wollen, die nurdurch die Wirkung der menschlichen Stimme,
der eindringlichen Sprache mitempfunden, verstanden, ertragen werden kann; sie soll
endlich nicht eine Aufrüttlung des ganzen geistigen und leiblichen Menschen festhalten
wollen, die allein sowol wirksam als erträglich ist, indem sie in einer Folge
von Bildern an unserer Seele vorübergeführt wird. Vielleicht sündigt keine
der Kaulbach'schen Zeichnungen so schwer gegen die Kunst und den Goethe'schen
Genius, als eben dies Klärchen. Grndezu unschön, in ihrer ästhetischen
Wirkung auch auf dem Felde des Furchtbaren verfehlt ist die hastige, flacke¬
rige Gestalt mit den in der Lust gewundenen Armen, den zappeligen, gleich
Wnrzelausläusern ausgestreckten Händen, in denen, die Reflexion zu sitzen scheint,
als ob die eine nach dem Gefängniß wiese, die andere zur Hilfe herbeiriefe.
Nun gar der zum wilden Ruf geöffnete Mund — Klärchens Mund zum
Schreien geöffnet! Widerlich ist auf dem Bilde immer der Gesichtszug des
Schreies, so der schreiende Petrus vou Rubens in Köln: aber es findet sich
nicht leicht ein abstoßenderes Bild unter allen häßlichen Dingen dieser Erde,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/58>, abgerufen am 25.08.2024.