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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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von dem Zcicknev. der ein in sich abgeschlossenes, auf sich beruhendes Bild
liefern will. Der wirkliche Dichter malt und zeichnet nickt, lini ist es um
den treffenden Ausdruck der Empfindungen, die Entfaltung der Charaktere,
die Verwicklung der Leidenschaften. Handlungen und. Schicksale zu thun, und
um dies Alles nicht, wie es äußerlich erscheint, sondern in der innerlich vor¬
gestellten Welt in fortwährender Bewegung verläuft. Lessing hat es ein- für
allemal ausgesprochen, daß der Poet Körper nur andeutungsweise durch Hand-
lungen darstellen kann. So mag sich denn zufällig hier und da beim Dich¬
ter eine Situation finden, welche malerisch wirtlich darstellbar ist, die den
inneren Vorgang aus der sichtbare" Erscheinung vollständig hervorleuchten läßt;
aber es werden dies immer Momente untergeordneter Art sein, in denen sich
der eigentliche dichterische Genius nicht kundgibt. Das Bild, das sie darstellt,
wird immer auf die Dichtung zurückweisen und der Beschauer zu den Scenen
weitergehen, in denen der eigentliche Nerv des Werkes, die ganze schöpfe-
rische Kraft und Fülle des Poeten liegt. Also selbst nicht einmal im günstig¬
sten Falle ein Kunstwerk, das auf sich bericht. Solche Scenen aber, in denen
das Herz der Poesie schlägt, in einem selbständigen Bilde darstellen zu wollen,
hüte sich vor Allem der Künstler; keine schlimmere Niederlage für ihn, als
wenn er es unternimmt, mit dem Dichter auf dessen Felde zu wetteifern! --
Diese Halbheit, die in der Sache selber liegt, haftet auch an den Kaul-
bach'schen Zeichnungen. Es sind keine bloßen Illustrationen, keine Skizzen
und doch auch keine in sich abgeschlossenen Kunstwerke- sie lehnen sich an
Goethe an, sie weisen von der Betrachtung immer wieder auf den Dichter
hinüber.

Indessen mag's drum sein; nehmen wir die Blätter, wie sie sind, und
fragen wir nicht weiter nach der Gattung, zu der sie gehören oder nicht ge¬
hören. Wenn sie nur Motive behandeln, die sich darstellen lassen, solche
zugleich, in denen der dichterische Geist zwar nicht seinen höchsten, aber immer¬
hin einen seiner würdigen Ausdruck gefunden hat, die zwar nicht die inhalt¬
vollsten, aber auch keine gleichgiltigen Momente der Dichtung sind: wenn nnr
diese Motive künstlerisch aufgefaßt und ausgeführt, in ihrer Erscheinung, Form.
Leben und Charakter haben. Auch darf der Künstler, der die Schöpfungen Goethe's
sich zum Vorwurf nimmt, den Goethe'schen Genius nicht verleugnen. In seinen
Bildungen wird einHnuch von der harmonischen Heiterkeit, von der maßvollen
Leidenschaft, von der Tiefe und Milde desselben, von der "Klarheit und Gleichheit
des Gemüths" wie sich Schiller einmal ausdrückt, sein müssen. Ein Kaulbach, der für
einen denkenden Künstler und ästhetischen Denker gilt, wird uns nicht nur^sein ge-
stalteudes Talent, er wird auch eindringendes Verständniß. Tiefe der Empfin¬
dung und Auffassung zeigen wollen. Ja, es ist von ihm weniger zu fürch¬
ten, daß er an der Oberfläche haften bleibe, als daß er in die Tiefe der


von dem Zcicknev. der ein in sich abgeschlossenes, auf sich beruhendes Bild
liefern will. Der wirkliche Dichter malt und zeichnet nickt, lini ist es um
den treffenden Ausdruck der Empfindungen, die Entfaltung der Charaktere,
die Verwicklung der Leidenschaften. Handlungen und. Schicksale zu thun, und
um dies Alles nicht, wie es äußerlich erscheint, sondern in der innerlich vor¬
gestellten Welt in fortwährender Bewegung verläuft. Lessing hat es ein- für
allemal ausgesprochen, daß der Poet Körper nur andeutungsweise durch Hand-
lungen darstellen kann. So mag sich denn zufällig hier und da beim Dich¬
ter eine Situation finden, welche malerisch wirtlich darstellbar ist, die den
inneren Vorgang aus der sichtbare» Erscheinung vollständig hervorleuchten läßt;
aber es werden dies immer Momente untergeordneter Art sein, in denen sich
der eigentliche dichterische Genius nicht kundgibt. Das Bild, das sie darstellt,
wird immer auf die Dichtung zurückweisen und der Beschauer zu den Scenen
weitergehen, in denen der eigentliche Nerv des Werkes, die ganze schöpfe-
rische Kraft und Fülle des Poeten liegt. Also selbst nicht einmal im günstig¬
sten Falle ein Kunstwerk, das auf sich bericht. Solche Scenen aber, in denen
das Herz der Poesie schlägt, in einem selbständigen Bilde darstellen zu wollen,
hüte sich vor Allem der Künstler; keine schlimmere Niederlage für ihn, als
wenn er es unternimmt, mit dem Dichter auf dessen Felde zu wetteifern! —
Diese Halbheit, die in der Sache selber liegt, haftet auch an den Kaul-
bach'schen Zeichnungen. Es sind keine bloßen Illustrationen, keine Skizzen
und doch auch keine in sich abgeschlossenen Kunstwerke- sie lehnen sich an
Goethe an, sie weisen von der Betrachtung immer wieder auf den Dichter
hinüber.

Indessen mag's drum sein; nehmen wir die Blätter, wie sie sind, und
fragen wir nicht weiter nach der Gattung, zu der sie gehören oder nicht ge¬
hören. Wenn sie nur Motive behandeln, die sich darstellen lassen, solche
zugleich, in denen der dichterische Geist zwar nicht seinen höchsten, aber immer¬
hin einen seiner würdigen Ausdruck gefunden hat, die zwar nicht die inhalt¬
vollsten, aber auch keine gleichgiltigen Momente der Dichtung sind: wenn nnr
diese Motive künstlerisch aufgefaßt und ausgeführt, in ihrer Erscheinung, Form.
Leben und Charakter haben. Auch darf der Künstler, der die Schöpfungen Goethe's
sich zum Vorwurf nimmt, den Goethe'schen Genius nicht verleugnen. In seinen
Bildungen wird einHnuch von der harmonischen Heiterkeit, von der maßvollen
Leidenschaft, von der Tiefe und Milde desselben, von der „Klarheit und Gleichheit
des Gemüths" wie sich Schiller einmal ausdrückt, sein müssen. Ein Kaulbach, der für
einen denkenden Künstler und ästhetischen Denker gilt, wird uns nicht nur^sein ge-
stalteudes Talent, er wird auch eindringendes Verständniß. Tiefe der Empfin¬
dung und Auffassung zeigen wollen. Ja, es ist von ihm weniger zu fürch¬
ten, daß er an der Oberfläche haften bleibe, als daß er in die Tiefe der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/55>, abgerufen am 26.08.2024.