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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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ebenbürtig, ein wahrhaft künstlerisches Werk hervorbringen, wenn er auch auf
eine selbständige Darstellung verzichten muß. Einen solchen glücklichen Griff
hat Kaulbach mit seinem Reinecke Fuchs gethan; die Thiersage brachte be¬
stimmte feststehende Züge mit, und die Lächerlichkeit des menschlichen Treibens
an de" Thiergestalt Widerscheinen und aus ihr hervorleuchten zu lassen, war
ganz des modernen Künstlers Sache. --

Aber da doch die Gebilde der großen Dichter in unserer Phantasie ein¬
gebürgert, ein gleichsam selbständiges Leben führen: sollte der Maler nicht
zwischen Skizze oder Illustration und eigentlichem Gemälde eine fruchtbare
Mitte halten können? Die Farbe, welche dem Bilde eine anspruchsvolle Selb-
ständigkeit gibt und es gleichsam zum absoluten Individuum erhebt, mag weg¬
bleiben; dagegen scheint die Zeichnung, welche, ausführlicher als die Skizze,
die Gestalten in ihrer lebensvollen, runden Erscheinung wiedergibt und soweit
malerisch ist, als es ihre Natur und ihr Object zulassen, hier vollständig in
ihrem Rechte zu sein. Zugleich ist in der Photographie das Mittel gefunden,
die Schöpfung des Künstlers, die ja ihrem Gegenstände nach Gemeingut ist,
durch die unmittelbare Vervielfältigung des Originals Allen zugänglich zu
machen. Kommt die Sache nun in die richtigen Hände, so scheint es, sind
alle Bedingungen beisammen, um die Welt der Kunst mit einer gan,z neuen
unserer Zeit vollkommen angepaßten Gattung von Werken zu bereichern: ein
ästhetischer, dabei aus dem allgemeinen Bewußtsein hervorgegangencr und des¬
halb zündender Stoff in der richtigen Behandlung, zwar ohne den heitern be¬
lebenden Schein der Farbe, aber dafür unmittelbar so, wie ihn der Griffel des
Künstlers gebildet, in den weitesten Kreisen verbreitet: die Schöpfungen der
großen Dichter bildlich dargestellt durch die großen Künstler der Gegenwart:
Goethe durch Kaulbach.

Indessen ist die Sache so leicht nicht abgethan. In aller Kunst ist es
wie im Leben mit den Zwischenarten ein mißliches Ding, es ist immer etwas
Halbes, bald ein zu Viel, bald ein zu Wenig, schließlich ist Keinem recht ge¬
schehen. Die Kaulbach'schen Zeichnungen treten mit* zu anspruchsvoller Miene
auf. um zu den Illustrationen zu zählen oder bloße Skizzen zu heißen, das
große Format, die durchgeführte Licht- und Schattengebung, die sogar zu einer
farbenähnlichen Wirkung hier und da den Anlauf nimmt, die gründliche Modelli-
rung, die Ausführung der umgebenden Scenerie: die ganze Behandlung zielt
auf ein selbständiges Kunstwerk ab. Und doch kann keines der Blätter für
ein solches gelten. Indem der Maler seinen Stoff dem modernen Dichter
entnimmt, muß er sich, wie schon oben bemerkt, strenge an dessen Bildungen
halten; und so geräth er von vornherein in den Nachtheil, in seiner Pro-
duction gebunden zu sein, sein Object nicht im echtmalerischen Sinne behan¬
deln zu können. Was von dem Maler gilt, gilt in dieser Beziehung auch


ebenbürtig, ein wahrhaft künstlerisches Werk hervorbringen, wenn er auch auf
eine selbständige Darstellung verzichten muß. Einen solchen glücklichen Griff
hat Kaulbach mit seinem Reinecke Fuchs gethan; die Thiersage brachte be¬
stimmte feststehende Züge mit, und die Lächerlichkeit des menschlichen Treibens
an de» Thiergestalt Widerscheinen und aus ihr hervorleuchten zu lassen, war
ganz des modernen Künstlers Sache. —

Aber da doch die Gebilde der großen Dichter in unserer Phantasie ein¬
gebürgert, ein gleichsam selbständiges Leben führen: sollte der Maler nicht
zwischen Skizze oder Illustration und eigentlichem Gemälde eine fruchtbare
Mitte halten können? Die Farbe, welche dem Bilde eine anspruchsvolle Selb-
ständigkeit gibt und es gleichsam zum absoluten Individuum erhebt, mag weg¬
bleiben; dagegen scheint die Zeichnung, welche, ausführlicher als die Skizze,
die Gestalten in ihrer lebensvollen, runden Erscheinung wiedergibt und soweit
malerisch ist, als es ihre Natur und ihr Object zulassen, hier vollständig in
ihrem Rechte zu sein. Zugleich ist in der Photographie das Mittel gefunden,
die Schöpfung des Künstlers, die ja ihrem Gegenstände nach Gemeingut ist,
durch die unmittelbare Vervielfältigung des Originals Allen zugänglich zu
machen. Kommt die Sache nun in die richtigen Hände, so scheint es, sind
alle Bedingungen beisammen, um die Welt der Kunst mit einer gan,z neuen
unserer Zeit vollkommen angepaßten Gattung von Werken zu bereichern: ein
ästhetischer, dabei aus dem allgemeinen Bewußtsein hervorgegangencr und des¬
halb zündender Stoff in der richtigen Behandlung, zwar ohne den heitern be¬
lebenden Schein der Farbe, aber dafür unmittelbar so, wie ihn der Griffel des
Künstlers gebildet, in den weitesten Kreisen verbreitet: die Schöpfungen der
großen Dichter bildlich dargestellt durch die großen Künstler der Gegenwart:
Goethe durch Kaulbach.

Indessen ist die Sache so leicht nicht abgethan. In aller Kunst ist es
wie im Leben mit den Zwischenarten ein mißliches Ding, es ist immer etwas
Halbes, bald ein zu Viel, bald ein zu Wenig, schließlich ist Keinem recht ge¬
schehen. Die Kaulbach'schen Zeichnungen treten mit* zu anspruchsvoller Miene
auf. um zu den Illustrationen zu zählen oder bloße Skizzen zu heißen, das
große Format, die durchgeführte Licht- und Schattengebung, die sogar zu einer
farbenähnlichen Wirkung hier und da den Anlauf nimmt, die gründliche Modelli-
rung, die Ausführung der umgebenden Scenerie: die ganze Behandlung zielt
auf ein selbständiges Kunstwerk ab. Und doch kann keines der Blätter für
ein solches gelten. Indem der Maler seinen Stoff dem modernen Dichter
entnimmt, muß er sich, wie schon oben bemerkt, strenge an dessen Bildungen
halten; und so geräth er von vornherein in den Nachtheil, in seiner Pro-
duction gebunden zu sein, sein Object nicht im echtmalerischen Sinne behan¬
deln zu können. Was von dem Maler gilt, gilt in dieser Beziehung auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/54>, abgerufen am 02.10.2024.