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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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weitere Gesichtspunkte aufzuklären und zu bilden gesucht hat; es ist ein ebenso
großes Verdienst, daß sie in Bezug auf den Hauptgedanken, der preußischen
Politik eine Verschmelzung der beiden Parteien repräsentirt. Und jetzt, da wir
glücklicher Weise so weit sind, fangt sie auf einmal wieder an, in alt-demokrat
tischer Weise Mißtrauen gegen diejenige Klasse zu erwecken, durch die -alles
Große in Deutschland bis jetzt geschehen ist!

Wir begreifen ihre Taktik: sie will ihr altes Publicum an der Entwicke¬
lung Preußens festhalten. Solche Rücksicht ist nicht unnöthig; denn der soge¬
nannten Demokratie nähern sich noch andere Bewerber; bereits Hot der Hand¬
werkertag mit der Kreuzzeitung fraternisirt, und solche Erscheinungen stehen gar
nickt vereinzelt. Es ist aber ein sonderbares Mittel, der Sache des Liberalis¬
mus zu dienen, wenn sie die natürliche Spaltung zwischen dem Kleinbürger-
thum und Großbürgerthum noch vermehrt. Es handelt sich hier nicht um
diese oder jene Persönlichkeiten, nicht um diese oder jene Coterie, sondern um
zwei Klassen, die nur in ihrem festen Zusammenhalt gegen,den herrschenden
Adel etwas durchsetzen können. Sobald dieser alte Gegensatz in der schroffen
Form wieder heraus gekehrt wird, so ist die nächste Folge eine Schwächung
sowol des Großbürgerthums als des Kleinbürgerthums: denn der ängstlichere
Theil jener Klasse wird sich dann wieder der Reaction zuwenden, und von dem
Kleinbürgerthum, welches nur im festen Zusammenhalt mit seinen höher gebil¬
deten Standesgenossen einen Halt gewinnt," wird die Phrase theils zu einer
baldigen Erschlaffung, theils zum Rückzug auf das Proletariat führen.

Mit dem Stichwort "Thatkraft" wollen wir nicht zu verschwenderisch um¬
gehen. Der höhere Bürgerstand hat alle Veranlassung, in dieser Hinsicht be¬
scheiden zu sein, aber die deutsche Demokratie hat ihre Proben auch noch erst
abzulegen. Was zerstreute Krawatte helfen, hat die Vergangenheit gelehrt.
Von einem zusammenhängenden, geduldigen, unablässigen Wirken ist noch
nicht die Rede gewesen.

Sobald sich in der That die Meinung im Volke festsetzt, daß derjenige, der
aus dem Staatsleben ein Studium gemacht, der es von allen Seiten kennen
gelernt hat. deshalb weniger befähigt ist, den Staat zu regieren oder über
die Staatsregierung Controle zu halten; daß Einsicht die Willenskraft ver¬
mindert, daß Unkenntniß die Vorbedingung kräftiger Entschlüsse ist: -- dann
hat sich das deutsche Volk selbst das Urtheil gesprochen; dann ist es reif für
1- -j- den Polizeistaat; in zweiter Instanz reif für die Fuchtel.




Mit Ur. beginnt diese Zeitschrift ein neues Quartal,
welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be¬
ziehen ist. Die Verlagshandlung.




Veinnlwortlichcr Rodattcur: ". Moril, Busch.
Verlag von F. L, Hcrbig. -- Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

weitere Gesichtspunkte aufzuklären und zu bilden gesucht hat; es ist ein ebenso
großes Verdienst, daß sie in Bezug auf den Hauptgedanken, der preußischen
Politik eine Verschmelzung der beiden Parteien repräsentirt. Und jetzt, da wir
glücklicher Weise so weit sind, fangt sie auf einmal wieder an, in alt-demokrat
tischer Weise Mißtrauen gegen diejenige Klasse zu erwecken, durch die -alles
Große in Deutschland bis jetzt geschehen ist!

Wir begreifen ihre Taktik: sie will ihr altes Publicum an der Entwicke¬
lung Preußens festhalten. Solche Rücksicht ist nicht unnöthig; denn der soge¬
nannten Demokratie nähern sich noch andere Bewerber; bereits Hot der Hand¬
werkertag mit der Kreuzzeitung fraternisirt, und solche Erscheinungen stehen gar
nickt vereinzelt. Es ist aber ein sonderbares Mittel, der Sache des Liberalis¬
mus zu dienen, wenn sie die natürliche Spaltung zwischen dem Kleinbürger-
thum und Großbürgerthum noch vermehrt. Es handelt sich hier nicht um
diese oder jene Persönlichkeiten, nicht um diese oder jene Coterie, sondern um
zwei Klassen, die nur in ihrem festen Zusammenhalt gegen,den herrschenden
Adel etwas durchsetzen können. Sobald dieser alte Gegensatz in der schroffen
Form wieder heraus gekehrt wird, so ist die nächste Folge eine Schwächung
sowol des Großbürgerthums als des Kleinbürgerthums: denn der ängstlichere
Theil jener Klasse wird sich dann wieder der Reaction zuwenden, und von dem
Kleinbürgerthum, welches nur im festen Zusammenhalt mit seinen höher gebil¬
deten Standesgenossen einen Halt gewinnt," wird die Phrase theils zu einer
baldigen Erschlaffung, theils zum Rückzug auf das Proletariat führen.

Mit dem Stichwort „Thatkraft" wollen wir nicht zu verschwenderisch um¬
gehen. Der höhere Bürgerstand hat alle Veranlassung, in dieser Hinsicht be¬
scheiden zu sein, aber die deutsche Demokratie hat ihre Proben auch noch erst
abzulegen. Was zerstreute Krawatte helfen, hat die Vergangenheit gelehrt.
Von einem zusammenhängenden, geduldigen, unablässigen Wirken ist noch
nicht die Rede gewesen.

Sobald sich in der That die Meinung im Volke festsetzt, daß derjenige, der
aus dem Staatsleben ein Studium gemacht, der es von allen Seiten kennen
gelernt hat. deshalb weniger befähigt ist, den Staat zu regieren oder über
die Staatsregierung Controle zu halten; daß Einsicht die Willenskraft ver¬
mindert, daß Unkenntniß die Vorbedingung kräftiger Entschlüsse ist: — dann
hat sich das deutsche Volk selbst das Urtheil gesprochen; dann ist es reif für
1- -j- den Polizeistaat; in zweiter Instanz reif für die Fuchtel.




Mit Ur. beginnt diese Zeitschrift ein neues Quartal,
welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be¬
ziehen ist. Die Verlagshandlung.




Veinnlwortlichcr Rodattcur: ». Moril, Busch.
Verlag von F. L, Hcrbig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/530>, abgerufen am 22.07.2024.