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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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wird, was sie bezeichnet; allein davon, daß die Grundsätze auf dem Papier
stehen, hat das Volk noch nicht den Nutzen, den die Fraction Vincke anzu¬
nehmen schien."

Die Fraction Vincke wird erwähnt, nicht die Fraction Mathis; anch
das ist charakteristisch, da die erstere, einige freilich wichtige Fälle ausgenom¬
men, genau so gestimmt und genau so gesprochen hat, wie die mit der Na¬
tionalzeitung verbündete Fraction Behrends. Die Thaten des Landtags be¬
stehen aber in Stimmen und Sprechen; weiter hat er nichts zu thun.

Um diesen Ausfall gegen die Gelehrten, diese Bitterkeit gegen Vincke und
Aehnliches zu verstehen, muß man Folgendes ins Auge fassen. Die Parteien
sondern sich nicht bloß, ja nicht einmal vorzugsweise nach Principien, sondern
einmal nach Coterien, sodann nach socialen Volksklassen. Beides verdien! eine
nähere Beleuchtung.

Die Continuität unseres politischen Lebens datirt von 184S. In dieser
Zeit bildeten sich in den zahlreichen Parlamenten in Frankfurt, Berlin u. s. w.
politische Freundschaftsbündnisse oder Coterien, von denen die eine große
Gruppe Demokraten, die andere erst Constitutionelle, dann Gothaer genannt
wurden. Diese Freundschaftsverbindungen, in dem gemüthlichen Frankfurter
Wirthshausleben befestigt, haben auch seitdem immer zusammengehalten, sie
haben auch den alten Taufnamen aufbewahrt, wie die Whigs und Tones,
die Montecchi und Capuletti. und wenn es wirklich einmal dahin gekommen
ist. daß sie sich auf dem Boden verständigen Entschlusses mit einander ge¬
einigt haben, so braucht bloß einmal bei einem Glase Wein oder irgend sonst
einer Erregung eins von den alten Stichworten laut zu werden, so erhebt
sich von beiden Seiten ein gewaltiges Geschrei, das alte Sündenregister wird
abgeleiert, und man glaubt nicht mehr unter Männern, sondern unter Kin¬
dern zu sein. Und wenn Vincke nicht bloß in den meisten, sondern in allen
Fragen gestimmt hätte, wie izie Nationalzeitung, so würde ihm doch nicht
verziehen werden, daß er einmal Bruder Waldeck touchirt har. In solchen
Fällen erfordert der Comment, daß die ganze Couleur ins Geschirre geht! --
Die Sache möge diese Studentenausdrueke rechtfertigen! --

Zu welchem Unsinn aber solche blinde Wuth führt, das mag die Na-
tivnalzeitung selber mit Schrecken sehen, wenn sie ihren eigenen Artikel in
Ur. 267 wieder ausschlägt und die Stelle von einer Volksvertretung findet:
"die nicht einmal den Muth einer Meinung, geschweige denn die Fähigkeit
zu tapferen, ermuthigenden Rathschlägen sür die Regierung hat, und die etwa
das Vaterland nach der Vorschrift der allgemeinen Zeitung retten will,
um bei dem geschätzten Blatt keinen Anstoß zu erregen."

Und das soll die Fraction Vincke sein!! Man muß einen starken Grad
von Unzurechnungsfähigkeit annehmen, um diesem Passus nicht eine schlim¬
mere Deutung zu geben.

Das politische Programm, welches die Nationalzeitung in Bezug auf die


wird, was sie bezeichnet; allein davon, daß die Grundsätze auf dem Papier
stehen, hat das Volk noch nicht den Nutzen, den die Fraction Vincke anzu¬
nehmen schien."

Die Fraction Vincke wird erwähnt, nicht die Fraction Mathis; anch
das ist charakteristisch, da die erstere, einige freilich wichtige Fälle ausgenom¬
men, genau so gestimmt und genau so gesprochen hat, wie die mit der Na¬
tionalzeitung verbündete Fraction Behrends. Die Thaten des Landtags be¬
stehen aber in Stimmen und Sprechen; weiter hat er nichts zu thun.

Um diesen Ausfall gegen die Gelehrten, diese Bitterkeit gegen Vincke und
Aehnliches zu verstehen, muß man Folgendes ins Auge fassen. Die Parteien
sondern sich nicht bloß, ja nicht einmal vorzugsweise nach Principien, sondern
einmal nach Coterien, sodann nach socialen Volksklassen. Beides verdien! eine
nähere Beleuchtung.

Die Continuität unseres politischen Lebens datirt von 184S. In dieser
Zeit bildeten sich in den zahlreichen Parlamenten in Frankfurt, Berlin u. s. w.
politische Freundschaftsbündnisse oder Coterien, von denen die eine große
Gruppe Demokraten, die andere erst Constitutionelle, dann Gothaer genannt
wurden. Diese Freundschaftsverbindungen, in dem gemüthlichen Frankfurter
Wirthshausleben befestigt, haben auch seitdem immer zusammengehalten, sie
haben auch den alten Taufnamen aufbewahrt, wie die Whigs und Tones,
die Montecchi und Capuletti. und wenn es wirklich einmal dahin gekommen
ist. daß sie sich auf dem Boden verständigen Entschlusses mit einander ge¬
einigt haben, so braucht bloß einmal bei einem Glase Wein oder irgend sonst
einer Erregung eins von den alten Stichworten laut zu werden, so erhebt
sich von beiden Seiten ein gewaltiges Geschrei, das alte Sündenregister wird
abgeleiert, und man glaubt nicht mehr unter Männern, sondern unter Kin¬
dern zu sein. Und wenn Vincke nicht bloß in den meisten, sondern in allen
Fragen gestimmt hätte, wie izie Nationalzeitung, so würde ihm doch nicht
verziehen werden, daß er einmal Bruder Waldeck touchirt har. In solchen
Fällen erfordert der Comment, daß die ganze Couleur ins Geschirre geht! —
Die Sache möge diese Studentenausdrueke rechtfertigen! —

Zu welchem Unsinn aber solche blinde Wuth führt, das mag die Na-
tivnalzeitung selber mit Schrecken sehen, wenn sie ihren eigenen Artikel in
Ur. 267 wieder ausschlägt und die Stelle von einer Volksvertretung findet:
„die nicht einmal den Muth einer Meinung, geschweige denn die Fähigkeit
zu tapferen, ermuthigenden Rathschlägen sür die Regierung hat, und die etwa
das Vaterland nach der Vorschrift der allgemeinen Zeitung retten will,
um bei dem geschätzten Blatt keinen Anstoß zu erregen."

Und das soll die Fraction Vincke sein!! Man muß einen starken Grad
von Unzurechnungsfähigkeit annehmen, um diesem Passus nicht eine schlim¬
mere Deutung zu geben.

Das politische Programm, welches die Nationalzeitung in Bezug auf die


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[0527] wird, was sie bezeichnet; allein davon, daß die Grundsätze auf dem Papier stehen, hat das Volk noch nicht den Nutzen, den die Fraction Vincke anzu¬ nehmen schien." Die Fraction Vincke wird erwähnt, nicht die Fraction Mathis; anch das ist charakteristisch, da die erstere, einige freilich wichtige Fälle ausgenom¬ men, genau so gestimmt und genau so gesprochen hat, wie die mit der Na¬ tionalzeitung verbündete Fraction Behrends. Die Thaten des Landtags be¬ stehen aber in Stimmen und Sprechen; weiter hat er nichts zu thun. Um diesen Ausfall gegen die Gelehrten, diese Bitterkeit gegen Vincke und Aehnliches zu verstehen, muß man Folgendes ins Auge fassen. Die Parteien sondern sich nicht bloß, ja nicht einmal vorzugsweise nach Principien, sondern einmal nach Coterien, sodann nach socialen Volksklassen. Beides verdien! eine nähere Beleuchtung. Die Continuität unseres politischen Lebens datirt von 184S. In dieser Zeit bildeten sich in den zahlreichen Parlamenten in Frankfurt, Berlin u. s. w. politische Freundschaftsbündnisse oder Coterien, von denen die eine große Gruppe Demokraten, die andere erst Constitutionelle, dann Gothaer genannt wurden. Diese Freundschaftsverbindungen, in dem gemüthlichen Frankfurter Wirthshausleben befestigt, haben auch seitdem immer zusammengehalten, sie haben auch den alten Taufnamen aufbewahrt, wie die Whigs und Tones, die Montecchi und Capuletti. und wenn es wirklich einmal dahin gekommen ist. daß sie sich auf dem Boden verständigen Entschlusses mit einander ge¬ einigt haben, so braucht bloß einmal bei einem Glase Wein oder irgend sonst einer Erregung eins von den alten Stichworten laut zu werden, so erhebt sich von beiden Seiten ein gewaltiges Geschrei, das alte Sündenregister wird abgeleiert, und man glaubt nicht mehr unter Männern, sondern unter Kin¬ dern zu sein. Und wenn Vincke nicht bloß in den meisten, sondern in allen Fragen gestimmt hätte, wie izie Nationalzeitung, so würde ihm doch nicht verziehen werden, daß er einmal Bruder Waldeck touchirt har. In solchen Fällen erfordert der Comment, daß die ganze Couleur ins Geschirre geht! — Die Sache möge diese Studentenausdrueke rechtfertigen! — Zu welchem Unsinn aber solche blinde Wuth führt, das mag die Na- tivnalzeitung selber mit Schrecken sehen, wenn sie ihren eigenen Artikel in Ur. 267 wieder ausschlägt und die Stelle von einer Volksvertretung findet: „die nicht einmal den Muth einer Meinung, geschweige denn die Fähigkeit zu tapferen, ermuthigenden Rathschlägen sür die Regierung hat, und die etwa das Vaterland nach der Vorschrift der allgemeinen Zeitung retten will, um bei dem geschätzten Blatt keinen Anstoß zu erregen." Und das soll die Fraction Vincke sein!! Man muß einen starken Grad von Unzurechnungsfähigkeit annehmen, um diesem Passus nicht eine schlim¬ mere Deutung zu geben. Das politische Programm, welches die Nationalzeitung in Bezug auf die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/527>, abgerufen am 22.07.2024.