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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Ja der Nachbar that sogar ein Uebnges. Da es zu den Pflichten eines
Mannes von Welt gehört, Verse machen zu können, so wurde Gevatter Sören
auch in diese Kunst eingeweiht und auf solche Weise allmälig zu einem
Menschen zugestutzt, der sich vor dem Spiegel sagen konnte, er dürfe sich trotz
seiner kleinen Statur recht wohl neben andern Sterblichen sehen lassen.

Gevatter Sören war für solche Förderung seines innern Menschen nicht
undankbar. Er hielt etwas auf seinen Mentor und modelte sich, soviel es
seine Natur zuließ, nach dessen Manieren, vorzüglich aber liebte er es, wenn
er Gäste gebeten oder Sonntags den Frack angelegt hatte, in dem Idiom
seines Lehrers und Erziehers zum Weltbürger zu sprechen. Gelangen solche
Versuche, vornehm zu sein, nicht vollständig, da Sörens Zungenwerk nicht sür
die Aussprache des Z und des sah geschaffen war und kleinstädtische Gewohn¬
heiten sich vielleicht von allen Gewohnheiten am schwersten ablegen lassen, so
sah man doch den guten Willen.

Und diesen guten Willen bethätigte unser kleiner Mann auch in andern
Beziehungen, freilich zum Theil, weil er darin seinen Vortheil erblickte. Die
Zeiten waren damals im Ganzen recht erträglich. Sören war geworden, was
man einen wohlhabenden Mann nennt. Er befaß neben seinen Ackergütern
an der norwegischen Küste ergiebige Herings- und Dorschsischereien und mehre
fette Plantagen in Westindien, und er ließ den Ueberschuß des Ertrags dieser
Besitzungen dem gedachten südlichen Nachbar zukommen. Er hatte eine An.
zahl Schiffe auf der See. und er stellte sie jenem gleichfalls zur Verfügung.
In seinem Hause wurden die besten Handschuhe gemacht, in seinem Stall
vortreffliche Pferde gezogen, seine Felder trugen^ nach den Anweisungen des
Nachbars bestellt, mehr Korn, seine Wirthschaft erzeugte mehr Butter und
Speck, als er zu seinen täglichen sechs schnapsen haben mußte, und von allen
diesen guten Dingen schickte er jenem alljährlich etliche Schiffsladungen zu.
Es kam die Zeit, wo in Sörens Land außer solchen materiellen Dingen auch
Verse, Trauerspiele und Novellen wuchsen, und er war so artig, auch davon
das Beste dem Nachbar zu gönnen, und da dieser seine Sprache nicht ver¬
stand, sie sogar deutsch wachsen zu lassen.

Nun ist es freilich wahr, diese Geschenke waren nicht gerade Geschenke
im eigentlichsten Sinn des Wortes; denn Gevatter Sören nahm Geld dafür,
und er würde ohne die Fabriken, die der südliche Nachbar betrieb, sich nicht
haben als anständiger Mann kleiden können und ohne den Credit im Süden
nicht wol im Stande gewesen sein, andern Handel als seinen alten klein¬
städtischen zu treiben. Aber es war doch lobenswerth von eben, daß er be¬
griff, wie der Verkehr zwischen ihm und jenem, und zwar sowol der materielle
als der geistige, eine unabweisbare Nothwendigkeit und ein größerer Vortheil
für ihn als für den Nachbar war. und daß er sein freundschaftliches Einver-


Ja der Nachbar that sogar ein Uebnges. Da es zu den Pflichten eines
Mannes von Welt gehört, Verse machen zu können, so wurde Gevatter Sören
auch in diese Kunst eingeweiht und auf solche Weise allmälig zu einem
Menschen zugestutzt, der sich vor dem Spiegel sagen konnte, er dürfe sich trotz
seiner kleinen Statur recht wohl neben andern Sterblichen sehen lassen.

Gevatter Sören war für solche Förderung seines innern Menschen nicht
undankbar. Er hielt etwas auf seinen Mentor und modelte sich, soviel es
seine Natur zuließ, nach dessen Manieren, vorzüglich aber liebte er es, wenn
er Gäste gebeten oder Sonntags den Frack angelegt hatte, in dem Idiom
seines Lehrers und Erziehers zum Weltbürger zu sprechen. Gelangen solche
Versuche, vornehm zu sein, nicht vollständig, da Sörens Zungenwerk nicht sür
die Aussprache des Z und des sah geschaffen war und kleinstädtische Gewohn¬
heiten sich vielleicht von allen Gewohnheiten am schwersten ablegen lassen, so
sah man doch den guten Willen.

Und diesen guten Willen bethätigte unser kleiner Mann auch in andern
Beziehungen, freilich zum Theil, weil er darin seinen Vortheil erblickte. Die
Zeiten waren damals im Ganzen recht erträglich. Sören war geworden, was
man einen wohlhabenden Mann nennt. Er befaß neben seinen Ackergütern
an der norwegischen Küste ergiebige Herings- und Dorschsischereien und mehre
fette Plantagen in Westindien, und er ließ den Ueberschuß des Ertrags dieser
Besitzungen dem gedachten südlichen Nachbar zukommen. Er hatte eine An.
zahl Schiffe auf der See. und er stellte sie jenem gleichfalls zur Verfügung.
In seinem Hause wurden die besten Handschuhe gemacht, in seinem Stall
vortreffliche Pferde gezogen, seine Felder trugen^ nach den Anweisungen des
Nachbars bestellt, mehr Korn, seine Wirthschaft erzeugte mehr Butter und
Speck, als er zu seinen täglichen sechs schnapsen haben mußte, und von allen
diesen guten Dingen schickte er jenem alljährlich etliche Schiffsladungen zu.
Es kam die Zeit, wo in Sörens Land außer solchen materiellen Dingen auch
Verse, Trauerspiele und Novellen wuchsen, und er war so artig, auch davon
das Beste dem Nachbar zu gönnen, und da dieser seine Sprache nicht ver¬
stand, sie sogar deutsch wachsen zu lassen.

Nun ist es freilich wahr, diese Geschenke waren nicht gerade Geschenke
im eigentlichsten Sinn des Wortes; denn Gevatter Sören nahm Geld dafür,
und er würde ohne die Fabriken, die der südliche Nachbar betrieb, sich nicht
haben als anständiger Mann kleiden können und ohne den Credit im Süden
nicht wol im Stande gewesen sein, andern Handel als seinen alten klein¬
städtischen zu treiben. Aber es war doch lobenswerth von eben, daß er be¬
griff, wie der Verkehr zwischen ihm und jenem, und zwar sowol der materielle
als der geistige, eine unabweisbare Nothwendigkeit und ein größerer Vortheil
für ihn als für den Nachbar war. und daß er sein freundschaftliches Einver-


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[0520] Ja der Nachbar that sogar ein Uebnges. Da es zu den Pflichten eines Mannes von Welt gehört, Verse machen zu können, so wurde Gevatter Sören auch in diese Kunst eingeweiht und auf solche Weise allmälig zu einem Menschen zugestutzt, der sich vor dem Spiegel sagen konnte, er dürfe sich trotz seiner kleinen Statur recht wohl neben andern Sterblichen sehen lassen. Gevatter Sören war für solche Förderung seines innern Menschen nicht undankbar. Er hielt etwas auf seinen Mentor und modelte sich, soviel es seine Natur zuließ, nach dessen Manieren, vorzüglich aber liebte er es, wenn er Gäste gebeten oder Sonntags den Frack angelegt hatte, in dem Idiom seines Lehrers und Erziehers zum Weltbürger zu sprechen. Gelangen solche Versuche, vornehm zu sein, nicht vollständig, da Sörens Zungenwerk nicht sür die Aussprache des Z und des sah geschaffen war und kleinstädtische Gewohn¬ heiten sich vielleicht von allen Gewohnheiten am schwersten ablegen lassen, so sah man doch den guten Willen. Und diesen guten Willen bethätigte unser kleiner Mann auch in andern Beziehungen, freilich zum Theil, weil er darin seinen Vortheil erblickte. Die Zeiten waren damals im Ganzen recht erträglich. Sören war geworden, was man einen wohlhabenden Mann nennt. Er befaß neben seinen Ackergütern an der norwegischen Küste ergiebige Herings- und Dorschsischereien und mehre fette Plantagen in Westindien, und er ließ den Ueberschuß des Ertrags dieser Besitzungen dem gedachten südlichen Nachbar zukommen. Er hatte eine An. zahl Schiffe auf der See. und er stellte sie jenem gleichfalls zur Verfügung. In seinem Hause wurden die besten Handschuhe gemacht, in seinem Stall vortreffliche Pferde gezogen, seine Felder trugen^ nach den Anweisungen des Nachbars bestellt, mehr Korn, seine Wirthschaft erzeugte mehr Butter und Speck, als er zu seinen täglichen sechs schnapsen haben mußte, und von allen diesen guten Dingen schickte er jenem alljährlich etliche Schiffsladungen zu. Es kam die Zeit, wo in Sörens Land außer solchen materiellen Dingen auch Verse, Trauerspiele und Novellen wuchsen, und er war so artig, auch davon das Beste dem Nachbar zu gönnen, und da dieser seine Sprache nicht ver¬ stand, sie sogar deutsch wachsen zu lassen. Nun ist es freilich wahr, diese Geschenke waren nicht gerade Geschenke im eigentlichsten Sinn des Wortes; denn Gevatter Sören nahm Geld dafür, und er würde ohne die Fabriken, die der südliche Nachbar betrieb, sich nicht haben als anständiger Mann kleiden können und ohne den Credit im Süden nicht wol im Stande gewesen sein, andern Handel als seinen alten klein¬ städtischen zu treiben. Aber es war doch lobenswerth von eben, daß er be¬ griff, wie der Verkehr zwischen ihm und jenem, und zwar sowol der materielle als der geistige, eine unabweisbare Nothwendigkeit und ein größerer Vortheil für ihn als für den Nachbar war. und daß er sein freundschaftliches Einver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/520>, abgerufen am 22.07.2024.