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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Herr Sörensen.

Um den Leser nicht lange in Ungewißheit zu lassen.^ was er unter der
Ueberschrift zu erwarten hat. bemerken wir sogleich, daß die folgende Fami¬
liengeschichte in dem Ländchen nördlich der Königsau und auf den Inseln
an den beiden Belten spielt, und daß wir unter dem Namen "Herr Sören-
sen" in die Naturgeschichte der Völker jenen kleinen Neffen Onkel John Bulls
und Vetter Michels einzuführen beabsichtigen, den man bisher, wenn er Ci¬
vilkleider anhatte, als den Vollblutdünen, wenn er gereizt wurde und den
Soldatenrock anzog, als den "Hannemann" zu bezeichnen gewohnt war.

Es war in der guten alten Zeit der Zöpfe und der absoluten Könige,
der beschränkten Gesichtskreise, der kleinen Vaterländer und der Größe Däne¬
marks. Da lebte in den gedachten Gegenden ein Mann, der hieß Sören,
zu deutsch Severin. Und der Mann hatte einen Sohn, der hieß natürlich
Sörensen, zu deutsch Severins Sohn.

Von dem alten Sören läßt sich nicht viel, dafür aber fast lauter Gutes
berichten. Er war ein mäßig großer, kurzgespaltner. breitschultriger Mann
mit semmelblonden Haaren und wasserblauen Augen, einem ziemlich respecta-
blen Doppelkinne und einem entsprechenden Bauch unter der Schooßweste. In
seinen jungen Jahren Seemann gewesen -- ein unverbürgtes Gerücht be-
hauptet: Seeräuber -- dann Soldat, als welcher er sich verschiedene Male
tapfer mit dem Engländer gerauft, hatte er sich später einiges Vermögen er¬
worben, sich mehr zur Ruhe gesetzt und lebte nun das friedliche Leben eines
Kleinbürgers, der seinen Acker baut, jährlich seine paar Schweinchen fett macht
und dieselbe mit Gottes Hilfe und seines Königs Erlaubniß schlachtet und
verzehrt. Nebenbei betrieb er das Handschuhmachergewerbe und einen kleinen
Kramhandel, der mit der Zeit größer wurde und ihm sogar gestattete, sich ein
Reitpferd zu halten und andere Bücher als den Kalender zu lesen.

Der alte Sören hatte alle Tugenden der Leute seines Standes und ei¬
gentlich nur zwei Fehler, die nämlich, daß er schon zum Frühstück Schnaps trank
und daß er mehr als sich's für einen guten Christen wie er geziemt hätte,
seine Rede mit Fluchen und Schwören zu kräftigen liebte. Wenn er des Tages
seine sechs reichlichen Mahlzeiten zu sich nahm, so werden wir das mit dem
zehrenden Klima und mit dem Sprichwort "Ländlich. Schändlich" entschuldi¬
gen dürfen. Mußte er des Morgens zum Kaffee seinen Rum haben, zum
zweiten Frühstück seinen "klaren Schnaps", zum Mittagsbrod, "um den Ma¬
gen zu öffnen", einen tüchtigen "Dramen", war beim Mittagskaffee wieder


Herr Sörensen.

Um den Leser nicht lange in Ungewißheit zu lassen.^ was er unter der
Ueberschrift zu erwarten hat. bemerken wir sogleich, daß die folgende Fami¬
liengeschichte in dem Ländchen nördlich der Königsau und auf den Inseln
an den beiden Belten spielt, und daß wir unter dem Namen „Herr Sören-
sen" in die Naturgeschichte der Völker jenen kleinen Neffen Onkel John Bulls
und Vetter Michels einzuführen beabsichtigen, den man bisher, wenn er Ci¬
vilkleider anhatte, als den Vollblutdünen, wenn er gereizt wurde und den
Soldatenrock anzog, als den „Hannemann" zu bezeichnen gewohnt war.

Es war in der guten alten Zeit der Zöpfe und der absoluten Könige,
der beschränkten Gesichtskreise, der kleinen Vaterländer und der Größe Däne¬
marks. Da lebte in den gedachten Gegenden ein Mann, der hieß Sören,
zu deutsch Severin. Und der Mann hatte einen Sohn, der hieß natürlich
Sörensen, zu deutsch Severins Sohn.

Von dem alten Sören läßt sich nicht viel, dafür aber fast lauter Gutes
berichten. Er war ein mäßig großer, kurzgespaltner. breitschultriger Mann
mit semmelblonden Haaren und wasserblauen Augen, einem ziemlich respecta-
blen Doppelkinne und einem entsprechenden Bauch unter der Schooßweste. In
seinen jungen Jahren Seemann gewesen — ein unverbürgtes Gerücht be-
hauptet: Seeräuber — dann Soldat, als welcher er sich verschiedene Male
tapfer mit dem Engländer gerauft, hatte er sich später einiges Vermögen er¬
worben, sich mehr zur Ruhe gesetzt und lebte nun das friedliche Leben eines
Kleinbürgers, der seinen Acker baut, jährlich seine paar Schweinchen fett macht
und dieselbe mit Gottes Hilfe und seines Königs Erlaubniß schlachtet und
verzehrt. Nebenbei betrieb er das Handschuhmachergewerbe und einen kleinen
Kramhandel, der mit der Zeit größer wurde und ihm sogar gestattete, sich ein
Reitpferd zu halten und andere Bücher als den Kalender zu lesen.

Der alte Sören hatte alle Tugenden der Leute seines Standes und ei¬
gentlich nur zwei Fehler, die nämlich, daß er schon zum Frühstück Schnaps trank
und daß er mehr als sich's für einen guten Christen wie er geziemt hätte,
seine Rede mit Fluchen und Schwören zu kräftigen liebte. Wenn er des Tages
seine sechs reichlichen Mahlzeiten zu sich nahm, so werden wir das mit dem
zehrenden Klima und mit dem Sprichwort „Ländlich. Schändlich" entschuldi¬
gen dürfen. Mußte er des Morgens zum Kaffee seinen Rum haben, zum
zweiten Frühstück seinen „klaren Schnaps", zum Mittagsbrod, „um den Ma¬
gen zu öffnen", einen tüchtigen „Dramen", war beim Mittagskaffee wieder


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[0518] Herr Sörensen. Um den Leser nicht lange in Ungewißheit zu lassen.^ was er unter der Ueberschrift zu erwarten hat. bemerken wir sogleich, daß die folgende Fami¬ liengeschichte in dem Ländchen nördlich der Königsau und auf den Inseln an den beiden Belten spielt, und daß wir unter dem Namen „Herr Sören- sen" in die Naturgeschichte der Völker jenen kleinen Neffen Onkel John Bulls und Vetter Michels einzuführen beabsichtigen, den man bisher, wenn er Ci¬ vilkleider anhatte, als den Vollblutdünen, wenn er gereizt wurde und den Soldatenrock anzog, als den „Hannemann" zu bezeichnen gewohnt war. Es war in der guten alten Zeit der Zöpfe und der absoluten Könige, der beschränkten Gesichtskreise, der kleinen Vaterländer und der Größe Däne¬ marks. Da lebte in den gedachten Gegenden ein Mann, der hieß Sören, zu deutsch Severin. Und der Mann hatte einen Sohn, der hieß natürlich Sörensen, zu deutsch Severins Sohn. Von dem alten Sören läßt sich nicht viel, dafür aber fast lauter Gutes berichten. Er war ein mäßig großer, kurzgespaltner. breitschultriger Mann mit semmelblonden Haaren und wasserblauen Augen, einem ziemlich respecta- blen Doppelkinne und einem entsprechenden Bauch unter der Schooßweste. In seinen jungen Jahren Seemann gewesen — ein unverbürgtes Gerücht be- hauptet: Seeräuber — dann Soldat, als welcher er sich verschiedene Male tapfer mit dem Engländer gerauft, hatte er sich später einiges Vermögen er¬ worben, sich mehr zur Ruhe gesetzt und lebte nun das friedliche Leben eines Kleinbürgers, der seinen Acker baut, jährlich seine paar Schweinchen fett macht und dieselbe mit Gottes Hilfe und seines Königs Erlaubniß schlachtet und verzehrt. Nebenbei betrieb er das Handschuhmachergewerbe und einen kleinen Kramhandel, der mit der Zeit größer wurde und ihm sogar gestattete, sich ein Reitpferd zu halten und andere Bücher als den Kalender zu lesen. Der alte Sören hatte alle Tugenden der Leute seines Standes und ei¬ gentlich nur zwei Fehler, die nämlich, daß er schon zum Frühstück Schnaps trank und daß er mehr als sich's für einen guten Christen wie er geziemt hätte, seine Rede mit Fluchen und Schwören zu kräftigen liebte. Wenn er des Tages seine sechs reichlichen Mahlzeiten zu sich nahm, so werden wir das mit dem zehrenden Klima und mit dem Sprichwort „Ländlich. Schändlich" entschuldi¬ gen dürfen. Mußte er des Morgens zum Kaffee seinen Rum haben, zum zweiten Frühstück seinen „klaren Schnaps", zum Mittagsbrod, „um den Ma¬ gen zu öffnen", einen tüchtigen „Dramen", war beim Mittagskaffee wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/518>, abgerufen am 24.08.2024.