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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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der Grundbesitz in Virginien seltner in andere Hände übergegangen ist als in
irgend einem andern Staat der Union.

Mackay erzählt: "Ein Virginier sprach sich einst sehr lebhaft gegen die
Schwäche seiner Landsleute aus, aber kaum fünf Minuten nachher machte er
mir die vertrauliche Mittheilung, daß er die Abstammung seiner Familie di-
rect auf Wilhelm den Eroberer zurückleiten könne. Wahrscheinlich las er auf
meinem erstaunten Gesicht, daß ich dies für einen etwas wunderbaren Cmnmen-
tar zu seiner vorhergehenden Kritik des virginischen Charakters hielt; denn er
fügte sofort hinzu, es mache ihm die größte Freude, den Dünkel einer altjüng¬
ferlichen Tante zu ducken, indem er sie daran erinnerte, daß sie mütterlicher
Seits von einem armen irischen Mädchen herstamme, das nach den Ufern des
James River transportirt und dort für eine Tonne Tabak verkauft worden sei."

Das Leben auf dem Lande ist in Virginien nichts weniger als einsam
und langweilig. Während eines großen Theils des Jahres finden im ganzen
Staat häufige Besuchsrcisen Statt. Die Pflanzer haben in dieser Zeit ihre
Freunde aus der Nachbarschaft und aus der Ferne oft wochenlang bei sich,
und die Vergnügungen nehmen dann kein Ende. Zu solcher Gastlichkeit eignen
sich ihre Häuser sehr gut, da sie im Vergleich mit denen in den Nordstaaten
meist sehr groß und geräumig sind. Bei vielen derselben fällt das Auge auf
imposante Steinmassen von unregelmäßiger Architektur, die von dem strengen
einfachen Baustyl des Nordens außerordentlich absticht. Gewöhnlich ist der
Kern eines solchen Landsitzes ein altmodisches Gebäude aus der Zeit vor der
Revolution, welchem die späteren Besitzer die verschiedenartigsten Flügel ange¬
fügt haben. Ueberraschend ist es für den Fremden, wenn er zum ersten Mal
alterthümliche Thürmchen, Erker und hervortretende Giebel inmitten des Laubes
amerikanischer Bäume erblickt; denn es will ihm vorkommen, als ob sich der¬
artige Dinge mehr zu unserer Eiche, Tanne oder Linde paßten, als in die Um¬
gebung des Hickory, des Tulpenbaumes und der Magnolie. Was wir an den
Ufern des Rhein und der Donau ganz in der Ordnung und nicht des Be¬
merkens werth finden, das fällt uns auf. wenn wir ihm am Noanoke und
Shenandoah begegnen. Es ist die neue Welt, in welcher das Haus und die
Sitte der alten doppelt alt erscheinen.

Während der Dauer der erwähnten Besuche treffen sich die Gäste zuweilen
schon beim Frühstück, zuweilen erst nach demselben. Gilt es einen allgemeinen
Ausflug, so bricht man auf. bevor die Hitze des Tages sich fühlbar macht.
Sonst verbringt man den Vormittag mit Spaziergängen im Garten oder mit
Vorbereitungen auf den Abend. Gegen elf Uhr verschwindet Alles, was nicht
jagt oder fischt, in seine Zimmer, läßt Gardinen und Sommerladen herunter
und gibt sich dem Schlummer oder doch einer behaglich träumerischen Ruhe
hin, bis die Strahlen der Sonne weniger grell und heiß werden. Der Abend


der Grundbesitz in Virginien seltner in andere Hände übergegangen ist als in
irgend einem andern Staat der Union.

Mackay erzählt: „Ein Virginier sprach sich einst sehr lebhaft gegen die
Schwäche seiner Landsleute aus, aber kaum fünf Minuten nachher machte er
mir die vertrauliche Mittheilung, daß er die Abstammung seiner Familie di-
rect auf Wilhelm den Eroberer zurückleiten könne. Wahrscheinlich las er auf
meinem erstaunten Gesicht, daß ich dies für einen etwas wunderbaren Cmnmen-
tar zu seiner vorhergehenden Kritik des virginischen Charakters hielt; denn er
fügte sofort hinzu, es mache ihm die größte Freude, den Dünkel einer altjüng¬
ferlichen Tante zu ducken, indem er sie daran erinnerte, daß sie mütterlicher
Seits von einem armen irischen Mädchen herstamme, das nach den Ufern des
James River transportirt und dort für eine Tonne Tabak verkauft worden sei."

Das Leben auf dem Lande ist in Virginien nichts weniger als einsam
und langweilig. Während eines großen Theils des Jahres finden im ganzen
Staat häufige Besuchsrcisen Statt. Die Pflanzer haben in dieser Zeit ihre
Freunde aus der Nachbarschaft und aus der Ferne oft wochenlang bei sich,
und die Vergnügungen nehmen dann kein Ende. Zu solcher Gastlichkeit eignen
sich ihre Häuser sehr gut, da sie im Vergleich mit denen in den Nordstaaten
meist sehr groß und geräumig sind. Bei vielen derselben fällt das Auge auf
imposante Steinmassen von unregelmäßiger Architektur, die von dem strengen
einfachen Baustyl des Nordens außerordentlich absticht. Gewöhnlich ist der
Kern eines solchen Landsitzes ein altmodisches Gebäude aus der Zeit vor der
Revolution, welchem die späteren Besitzer die verschiedenartigsten Flügel ange¬
fügt haben. Ueberraschend ist es für den Fremden, wenn er zum ersten Mal
alterthümliche Thürmchen, Erker und hervortretende Giebel inmitten des Laubes
amerikanischer Bäume erblickt; denn es will ihm vorkommen, als ob sich der¬
artige Dinge mehr zu unserer Eiche, Tanne oder Linde paßten, als in die Um¬
gebung des Hickory, des Tulpenbaumes und der Magnolie. Was wir an den
Ufern des Rhein und der Donau ganz in der Ordnung und nicht des Be¬
merkens werth finden, das fällt uns auf. wenn wir ihm am Noanoke und
Shenandoah begegnen. Es ist die neue Welt, in welcher das Haus und die
Sitte der alten doppelt alt erscheinen.

Während der Dauer der erwähnten Besuche treffen sich die Gäste zuweilen
schon beim Frühstück, zuweilen erst nach demselben. Gilt es einen allgemeinen
Ausflug, so bricht man auf. bevor die Hitze des Tages sich fühlbar macht.
Sonst verbringt man den Vormittag mit Spaziergängen im Garten oder mit
Vorbereitungen auf den Abend. Gegen elf Uhr verschwindet Alles, was nicht
jagt oder fischt, in seine Zimmer, läßt Gardinen und Sommerladen herunter
und gibt sich dem Schlummer oder doch einer behaglich träumerischen Ruhe
hin, bis die Strahlen der Sonne weniger grell und heiß werden. Der Abend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/516>, abgerufen am 25.08.2024.