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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Goethe und Kanlliach.

Die großen Fortschritte, welche die Photographie in der letzten Zeit ge¬
macht hat. geben ein neues vortreffliches Mittet an die Hand, die bildende
Kunst auf die leichteste Weise und im weitesten Umfange in das Leben ein¬
zuführen. Das Original wird in vollständiger Treue wiedergegeben; alle
Schwierigkeiten der nachbildenden Uebertragung aus ein mehr oder minder
sprödes Material sind mit einem Schlage gehoben, ebenso die störenden Zufällig¬
keiten, welche durch die rcproductive Hand des Kupferstechers. Holzschneiders.
Lithographen mit unterlaufen. Freilich fehlt der Photographie aus ebendem¬
selben Grunde das beseelende Gepräge der menschlichen Hand; es ist in ihrer
abstracten Wahrheit etwas Starres. Todtcnrcichartiges. Gespensterhaftes. das
in den Abbildern von Gemälden um so fühlbarer wird, als nicht bloß die
lebendige Wirkung der Farbe ausbleibt, sondern diese in dunkeln Flecken oder
falschen Lichtern oft ganz verkehrt kommt. Kann also die Photographie
wol die Zeichnung vollkommen. Licht- und Schattenwirkungen dagegen bloß
in beschränktem Maße richtig wiedergeben: so wird sie da Ausgezeichnetes
leisten, wo das Original von vornherein auf das photographische Abbild an-
Aelcgt ist. In einem solchen Falle wird dieses ganz ebenso wie das Original
wirken; man wird glauben, den individuellen Strich der Kohle, des Bleistiftes,
den lebendigen Zug und Druck der Hand unmittelbar vor sich zu haben. Und
setzt nur der erfindende Künstler unter jeden Abdruck eigenhändig seinen Namen,
so hat unsere Zeit auch in der Kunst ein natürliches Wunder geleistet. Die
vervielfältigende Technik schafft keine Abbilder mehr, sondern lauter Originale.

Eine vortreffliche Gelegenheit für den Meister ersten Ranges, die nackten
Wände des Privathauses mit seinen Schöpfungen zu schmücken, die unästhe¬
tische und nüchterne Gegenwart künstlerisch neu zu beleben. Für ein Geringes
mag sich auch der minder Bemittelte ein echtes Kunstwerk erwerben, an ihm
täglich seine Freude haben, sich und seine Familie bilden. Welche Aussichten,
welche Hoffnungen für den Anbruch einer neuen künstlerischen Aera!

Indessen scheint eine große Schwierigkeit von vornherein dem Unterneh¬
men entgegenzustehen; eine Schwierigkeit, die freilich selbst schon eine Folge


Grenzboten II, 1L61. 6
Goethe und Kanlliach.

Die großen Fortschritte, welche die Photographie in der letzten Zeit ge¬
macht hat. geben ein neues vortreffliches Mittet an die Hand, die bildende
Kunst auf die leichteste Weise und im weitesten Umfange in das Leben ein¬
zuführen. Das Original wird in vollständiger Treue wiedergegeben; alle
Schwierigkeiten der nachbildenden Uebertragung aus ein mehr oder minder
sprödes Material sind mit einem Schlage gehoben, ebenso die störenden Zufällig¬
keiten, welche durch die rcproductive Hand des Kupferstechers. Holzschneiders.
Lithographen mit unterlaufen. Freilich fehlt der Photographie aus ebendem¬
selben Grunde das beseelende Gepräge der menschlichen Hand; es ist in ihrer
abstracten Wahrheit etwas Starres. Todtcnrcichartiges. Gespensterhaftes. das
in den Abbildern von Gemälden um so fühlbarer wird, als nicht bloß die
lebendige Wirkung der Farbe ausbleibt, sondern diese in dunkeln Flecken oder
falschen Lichtern oft ganz verkehrt kommt. Kann also die Photographie
wol die Zeichnung vollkommen. Licht- und Schattenwirkungen dagegen bloß
in beschränktem Maße richtig wiedergeben: so wird sie da Ausgezeichnetes
leisten, wo das Original von vornherein auf das photographische Abbild an-
Aelcgt ist. In einem solchen Falle wird dieses ganz ebenso wie das Original
wirken; man wird glauben, den individuellen Strich der Kohle, des Bleistiftes,
den lebendigen Zug und Druck der Hand unmittelbar vor sich zu haben. Und
setzt nur der erfindende Künstler unter jeden Abdruck eigenhändig seinen Namen,
so hat unsere Zeit auch in der Kunst ein natürliches Wunder geleistet. Die
vervielfältigende Technik schafft keine Abbilder mehr, sondern lauter Originale.

Eine vortreffliche Gelegenheit für den Meister ersten Ranges, die nackten
Wände des Privathauses mit seinen Schöpfungen zu schmücken, die unästhe¬
tische und nüchterne Gegenwart künstlerisch neu zu beleben. Für ein Geringes
mag sich auch der minder Bemittelte ein echtes Kunstwerk erwerben, an ihm
täglich seine Freude haben, sich und seine Familie bilden. Welche Aussichten,
welche Hoffnungen für den Anbruch einer neuen künstlerischen Aera!

Indessen scheint eine große Schwierigkeit von vornherein dem Unterneh¬
men entgegenzustehen; eine Schwierigkeit, die freilich selbst schon eine Folge


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[0051] Goethe und Kanlliach. Die großen Fortschritte, welche die Photographie in der letzten Zeit ge¬ macht hat. geben ein neues vortreffliches Mittet an die Hand, die bildende Kunst auf die leichteste Weise und im weitesten Umfange in das Leben ein¬ zuführen. Das Original wird in vollständiger Treue wiedergegeben; alle Schwierigkeiten der nachbildenden Uebertragung aus ein mehr oder minder sprödes Material sind mit einem Schlage gehoben, ebenso die störenden Zufällig¬ keiten, welche durch die rcproductive Hand des Kupferstechers. Holzschneiders. Lithographen mit unterlaufen. Freilich fehlt der Photographie aus ebendem¬ selben Grunde das beseelende Gepräge der menschlichen Hand; es ist in ihrer abstracten Wahrheit etwas Starres. Todtcnrcichartiges. Gespensterhaftes. das in den Abbildern von Gemälden um so fühlbarer wird, als nicht bloß die lebendige Wirkung der Farbe ausbleibt, sondern diese in dunkeln Flecken oder falschen Lichtern oft ganz verkehrt kommt. Kann also die Photographie wol die Zeichnung vollkommen. Licht- und Schattenwirkungen dagegen bloß in beschränktem Maße richtig wiedergeben: so wird sie da Ausgezeichnetes leisten, wo das Original von vornherein auf das photographische Abbild an- Aelcgt ist. In einem solchen Falle wird dieses ganz ebenso wie das Original wirken; man wird glauben, den individuellen Strich der Kohle, des Bleistiftes, den lebendigen Zug und Druck der Hand unmittelbar vor sich zu haben. Und setzt nur der erfindende Künstler unter jeden Abdruck eigenhändig seinen Namen, so hat unsere Zeit auch in der Kunst ein natürliches Wunder geleistet. Die vervielfältigende Technik schafft keine Abbilder mehr, sondern lauter Originale. Eine vortreffliche Gelegenheit für den Meister ersten Ranges, die nackten Wände des Privathauses mit seinen Schöpfungen zu schmücken, die unästhe¬ tische und nüchterne Gegenwart künstlerisch neu zu beleben. Für ein Geringes mag sich auch der minder Bemittelte ein echtes Kunstwerk erwerben, an ihm täglich seine Freude haben, sich und seine Familie bilden. Welche Aussichten, welche Hoffnungen für den Anbruch einer neuen künstlerischen Aera! Indessen scheint eine große Schwierigkeit von vornherein dem Unterneh¬ men entgegenzustehen; eine Schwierigkeit, die freilich selbst schon eine Folge Grenzboten II, 1L61. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/51>, abgerufen am 22.07.2024.