Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

vember hörte man allenthalben nur eine laute Klage: "Wir bekommen kein
Geld". -- "wir haben kein Geld", und leider waren diese Ausrufe Wahr¬
heit in der ausgedehntesten Bedeutung des Wortes.

Die geringen Mittel, mit denen Garibaldi seine Expedition unternommen,
waren nicht einmal hinreichend gewesen, seine erste Cohorte mit dem nöthigen Sold
zu versehen. Während des Feldzugs auf der Insel Sicilien erhielt der Ge¬
meine 5 Bajochi ---- 5 Kreuzer rheinisch pr. Tag, und für die Offiziere vom
General bis zum Secondelicutnant war eine Tagesgage von zwei Francs normirt.
Seit der Unterwerfung von Neapel war der Sold erhöht, so daß er so ziem¬
lich dem anderer Armeen auf Feldfuß entsprach. Auch war bestimmt worden, daß
die Gage für die verflossene Zeit sammt der Intrada della Campagna nach¬
bezahlt werden sollte. Im Monat September wurden die normirten Besol¬
dungen auch gezahlt, aber schon in der letzten Hälfte des October machte sich
eine Stockung bemerklich, und im November haben wol nur Wenige ihren
regelmäßigen Sold erhalten. Es gab Offiziere, welche sechs volle Wochen
nicht das Mindeste empfangen, es gab deren, die in Folge dessen länger als
24 Stunden nicht gegessen hatten, und Corpschefs gingen mit ihren Offizieren
zu den Vorgesetzten, um zu erklären, daß sie nicht mehr leben könnten. Man
lieh, wenn es möglich war, um sich für den Tag ein Stück Brot und ein
Glas Wein zu kaufen, und pries sich glücklich, wenn ein Zufall mehr be-
scheerte.

Hätte ich dies nicht selbst mit erlebt, so würde ich es nicht für möglich
halten, daß in dem reichen Neapel eine Armee von nicht viel über 20,000 Mann
binnen etwa acht Wochen in einen solchen Zustand gerathen könne. Aber
unerklärt bleibt mir immer, wie man verfahren sein muß, wenn'ich bedenke,
daß die Kriegsverwaltung bis Mitte November 150 Millionen Franken hat
ausgeben können, während daneben im Heere solche Zustände bestanden.

Trotz aller Noth und trotz aller Unordnung hatte man die Fahne, unter
der man diente, doch liebgewonnen, hoffte man doch, ihr zu größeren Thaten
zu folgen, und so war das Gefühl, das uns beschlich, als Gerüchte von
einer Auslösung der Armee auftauchten und von Tage zu Tage an Wahr¬
scheinlichkeit gewannen, ein drückendes und niederschlagendes. Die Wahr¬
scheinlichkeit aber wurde endlich zur Gewißheit. Eines Morgens schallte der
Apellruf der Signalhörner dnrch die Straßen, die Divisionen rückten ans, man
formirte sich und stellte sich vor dem Schloßportale die lange gerade Allee
hinunter auf. welche von der Eisenbahn durchschnitten wird. Alle Truppen
des Heeres waren anwesend. Es hieß, daß der König, dessen Einzug in
Neapel, so oft schon aufgeschoben, diesen Tag gehalten werden sollte, die
Armee begrüßen werde. Indeß erfuhren wir bald, daß eine telegraphische
Depesche gemeldet, er habe sich anders besowren. Victor Emanuel hat diese


vember hörte man allenthalben nur eine laute Klage: „Wir bekommen kein
Geld". — „wir haben kein Geld", und leider waren diese Ausrufe Wahr¬
heit in der ausgedehntesten Bedeutung des Wortes.

Die geringen Mittel, mit denen Garibaldi seine Expedition unternommen,
waren nicht einmal hinreichend gewesen, seine erste Cohorte mit dem nöthigen Sold
zu versehen. Während des Feldzugs auf der Insel Sicilien erhielt der Ge¬
meine 5 Bajochi ---- 5 Kreuzer rheinisch pr. Tag, und für die Offiziere vom
General bis zum Secondelicutnant war eine Tagesgage von zwei Francs normirt.
Seit der Unterwerfung von Neapel war der Sold erhöht, so daß er so ziem¬
lich dem anderer Armeen auf Feldfuß entsprach. Auch war bestimmt worden, daß
die Gage für die verflossene Zeit sammt der Intrada della Campagna nach¬
bezahlt werden sollte. Im Monat September wurden die normirten Besol¬
dungen auch gezahlt, aber schon in der letzten Hälfte des October machte sich
eine Stockung bemerklich, und im November haben wol nur Wenige ihren
regelmäßigen Sold erhalten. Es gab Offiziere, welche sechs volle Wochen
nicht das Mindeste empfangen, es gab deren, die in Folge dessen länger als
24 Stunden nicht gegessen hatten, und Corpschefs gingen mit ihren Offizieren
zu den Vorgesetzten, um zu erklären, daß sie nicht mehr leben könnten. Man
lieh, wenn es möglich war, um sich für den Tag ein Stück Brot und ein
Glas Wein zu kaufen, und pries sich glücklich, wenn ein Zufall mehr be-
scheerte.

Hätte ich dies nicht selbst mit erlebt, so würde ich es nicht für möglich
halten, daß in dem reichen Neapel eine Armee von nicht viel über 20,000 Mann
binnen etwa acht Wochen in einen solchen Zustand gerathen könne. Aber
unerklärt bleibt mir immer, wie man verfahren sein muß, wenn'ich bedenke,
daß die Kriegsverwaltung bis Mitte November 150 Millionen Franken hat
ausgeben können, während daneben im Heere solche Zustände bestanden.

Trotz aller Noth und trotz aller Unordnung hatte man die Fahne, unter
der man diente, doch liebgewonnen, hoffte man doch, ihr zu größeren Thaten
zu folgen, und so war das Gefühl, das uns beschlich, als Gerüchte von
einer Auslösung der Armee auftauchten und von Tage zu Tage an Wahr¬
scheinlichkeit gewannen, ein drückendes und niederschlagendes. Die Wahr¬
scheinlichkeit aber wurde endlich zur Gewißheit. Eines Morgens schallte der
Apellruf der Signalhörner dnrch die Straßen, die Divisionen rückten ans, man
formirte sich und stellte sich vor dem Schloßportale die lange gerade Allee
hinunter auf. welche von der Eisenbahn durchschnitten wird. Alle Truppen
des Heeres waren anwesend. Es hieß, daß der König, dessen Einzug in
Neapel, so oft schon aufgeschoben, diesen Tag gehalten werden sollte, die
Armee begrüßen werde. Indeß erfuhren wir bald, daß eine telegraphische
Depesche gemeldet, er habe sich anders besowren. Victor Emanuel hat diese


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0509" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111941"/>
            <p xml:id="ID_1990" prev="#ID_1989"> vember hörte man allenthalben nur eine laute Klage: &#x201E;Wir bekommen kein<lb/>
Geld". &#x2014; &#x201E;wir haben kein Geld", und leider waren diese Ausrufe Wahr¬<lb/>
heit in der ausgedehntesten Bedeutung des Wortes.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1991"> Die geringen Mittel, mit denen Garibaldi seine Expedition unternommen,<lb/>
waren nicht einmal hinreichend gewesen, seine erste Cohorte mit dem nöthigen Sold<lb/>
zu versehen. Während des Feldzugs auf der Insel Sicilien erhielt der Ge¬<lb/>
meine 5 Bajochi ---- 5 Kreuzer rheinisch pr. Tag, und für die Offiziere vom<lb/>
General bis zum Secondelicutnant war eine Tagesgage von zwei Francs normirt.<lb/>
Seit der Unterwerfung von Neapel war der Sold erhöht, so daß er so ziem¬<lb/>
lich dem anderer Armeen auf Feldfuß entsprach. Auch war bestimmt worden, daß<lb/>
die Gage für die verflossene Zeit sammt der Intrada della Campagna nach¬<lb/>
bezahlt werden sollte. Im Monat September wurden die normirten Besol¬<lb/>
dungen auch gezahlt, aber schon in der letzten Hälfte des October machte sich<lb/>
eine Stockung bemerklich, und im November haben wol nur Wenige ihren<lb/>
regelmäßigen Sold erhalten. Es gab Offiziere, welche sechs volle Wochen<lb/>
nicht das Mindeste empfangen, es gab deren, die in Folge dessen länger als<lb/>
24 Stunden nicht gegessen hatten, und Corpschefs gingen mit ihren Offizieren<lb/>
zu den Vorgesetzten, um zu erklären, daß sie nicht mehr leben könnten. Man<lb/>
lieh, wenn es möglich war, um sich für den Tag ein Stück Brot und ein<lb/>
Glas Wein zu kaufen, und pries sich glücklich, wenn ein Zufall mehr be-<lb/>
scheerte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1992"> Hätte ich dies nicht selbst mit erlebt, so würde ich es nicht für möglich<lb/>
halten, daß in dem reichen Neapel eine Armee von nicht viel über 20,000 Mann<lb/>
binnen etwa acht Wochen in einen solchen Zustand gerathen könne. Aber<lb/>
unerklärt bleibt mir immer, wie man verfahren sein muß, wenn'ich bedenke,<lb/>
daß die Kriegsverwaltung bis Mitte November 150 Millionen Franken hat<lb/>
ausgeben können, während daneben im Heere solche Zustände bestanden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1993" next="#ID_1994"> Trotz aller Noth und trotz aller Unordnung hatte man die Fahne, unter<lb/>
der man diente, doch liebgewonnen, hoffte man doch, ihr zu größeren Thaten<lb/>
zu folgen, und so war das Gefühl, das uns beschlich, als Gerüchte von<lb/>
einer Auslösung der Armee auftauchten und von Tage zu Tage an Wahr¬<lb/>
scheinlichkeit gewannen, ein drückendes und niederschlagendes. Die Wahr¬<lb/>
scheinlichkeit aber wurde endlich zur Gewißheit. Eines Morgens schallte der<lb/>
Apellruf der Signalhörner dnrch die Straßen, die Divisionen rückten ans, man<lb/>
formirte sich und stellte sich vor dem Schloßportale die lange gerade Allee<lb/>
hinunter auf. welche von der Eisenbahn durchschnitten wird. Alle Truppen<lb/>
des Heeres waren anwesend. Es hieß, daß der König, dessen Einzug in<lb/>
Neapel, so oft schon aufgeschoben, diesen Tag gehalten werden sollte, die<lb/>
Armee begrüßen werde. Indeß erfuhren wir bald, daß eine telegraphische<lb/>
Depesche gemeldet, er habe sich anders besowren.  Victor Emanuel hat diese</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0509] vember hörte man allenthalben nur eine laute Klage: „Wir bekommen kein Geld". — „wir haben kein Geld", und leider waren diese Ausrufe Wahr¬ heit in der ausgedehntesten Bedeutung des Wortes. Die geringen Mittel, mit denen Garibaldi seine Expedition unternommen, waren nicht einmal hinreichend gewesen, seine erste Cohorte mit dem nöthigen Sold zu versehen. Während des Feldzugs auf der Insel Sicilien erhielt der Ge¬ meine 5 Bajochi ---- 5 Kreuzer rheinisch pr. Tag, und für die Offiziere vom General bis zum Secondelicutnant war eine Tagesgage von zwei Francs normirt. Seit der Unterwerfung von Neapel war der Sold erhöht, so daß er so ziem¬ lich dem anderer Armeen auf Feldfuß entsprach. Auch war bestimmt worden, daß die Gage für die verflossene Zeit sammt der Intrada della Campagna nach¬ bezahlt werden sollte. Im Monat September wurden die normirten Besol¬ dungen auch gezahlt, aber schon in der letzten Hälfte des October machte sich eine Stockung bemerklich, und im November haben wol nur Wenige ihren regelmäßigen Sold erhalten. Es gab Offiziere, welche sechs volle Wochen nicht das Mindeste empfangen, es gab deren, die in Folge dessen länger als 24 Stunden nicht gegessen hatten, und Corpschefs gingen mit ihren Offizieren zu den Vorgesetzten, um zu erklären, daß sie nicht mehr leben könnten. Man lieh, wenn es möglich war, um sich für den Tag ein Stück Brot und ein Glas Wein zu kaufen, und pries sich glücklich, wenn ein Zufall mehr be- scheerte. Hätte ich dies nicht selbst mit erlebt, so würde ich es nicht für möglich halten, daß in dem reichen Neapel eine Armee von nicht viel über 20,000 Mann binnen etwa acht Wochen in einen solchen Zustand gerathen könne. Aber unerklärt bleibt mir immer, wie man verfahren sein muß, wenn'ich bedenke, daß die Kriegsverwaltung bis Mitte November 150 Millionen Franken hat ausgeben können, während daneben im Heere solche Zustände bestanden. Trotz aller Noth und trotz aller Unordnung hatte man die Fahne, unter der man diente, doch liebgewonnen, hoffte man doch, ihr zu größeren Thaten zu folgen, und so war das Gefühl, das uns beschlich, als Gerüchte von einer Auslösung der Armee auftauchten und von Tage zu Tage an Wahr¬ scheinlichkeit gewannen, ein drückendes und niederschlagendes. Die Wahr¬ scheinlichkeit aber wurde endlich zur Gewißheit. Eines Morgens schallte der Apellruf der Signalhörner dnrch die Straßen, die Divisionen rückten ans, man formirte sich und stellte sich vor dem Schloßportale die lange gerade Allee hinunter auf. welche von der Eisenbahn durchschnitten wird. Alle Truppen des Heeres waren anwesend. Es hieß, daß der König, dessen Einzug in Neapel, so oft schon aufgeschoben, diesen Tag gehalten werden sollte, die Armee begrüßen werde. Indeß erfuhren wir bald, daß eine telegraphische Depesche gemeldet, er habe sich anders besowren. Victor Emanuel hat diese

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/509
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/509>, abgerufen am 25.08.2024.