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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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mandare gab an, er habe sie. da die ursprünglichen Bestandtheile liegen ge¬
blieben wären, zweimal aus den unterwegs aufgegriffenen Gefangenen erneu¬
ert und stehe jetzt wieder im Begriff die Zahl zu vervollständigen.^

Unter dieser Schaar von Unglücklichen befand sich ein junger Mann, der
durch sein Aussehen und dadurch, daß er von der Hauptmasse sich ein Wenig
entfernt hielt, die Aufmerksamkeit auf sich zog. Großfürst Constantin, der sich
in Benningsen'ö Stab befand, fragte ihn, nachdem er sich bei dem Gefangenen
nach seinem Vaterland, seinem Grad und den Umständen seiner Gefangen¬
nehmung erkundigt, ob er sich unter den gegenwärtigen Umständen nicht den
Tod wünschte. "Gewiß", sagte der Unglückliche, "wenn ich nicht befreit wer¬
den kann; denn ich weiß, daß ich in wenigen Stunden von Kälte erstarrt oder
von der Lanze eines Kosacken sterben muß, wie ich es von vielen hundert Ka¬
meraden gesehen habe, wenn sie vor Kälte, Hunger oder Ermüdung nicht
mehr mit fortkommen konnten. Ich habe Verwandte und Freunde in Frank¬
reich, die mein Schicksal beweinen werden -- um ihretwillen wünschte ich zu¬
rückzukehren; aber ist dies unmöglich, je eher alsdann diese Schmach und diese
Qualen zu Ende gehen, desto besser." Der Großfürst versicherte ihm dann,
wie er sein Schicksal im tiefsten Herzen bemittelte, daß aber Hülfe zu seiner
Errettung unmöglich sei; wünschte er jedoch wirklich sosort zu sterben, und
wollte er sich auf den Rücken hinlegen, so wollte er ihm, als einen Beweis
der Theilnahme, die er für ihn fühle, selbst den Todesstreich geben.

General Benningsen war eine kleine Strecke vorausgeritten, aber der eng¬
lische General, der sein Pferd angehalten hatte, um dem Gespräch zuzuhören,
protestirte jetzt gegen den Gedanken, als er den grausamen Vorschlag vernahm,
und wies dringend auf die Nothwendigkeit hin, den unglücklichen Offizier,
denn als einen solchen stellte er sich heraus, um jeden Preis zu retten, nach¬
dem man durch Anknüpfung eines Gesprächs Hoffnungen in ihm erregt hatte.

Als der englische General sah, daß man auf der andern Seite keineswegs
geneigt sei seine Absicht aufzugeben, gab er seinem Pferde die Sporen, um
den General Benningsen herbeizurufen; bevor er ihn jedoch einholte drehte er
sich zufällig um und sah den Großfürsten, der abgestiegen war. mit seinem
Säbel den verhängnißvollen Streich führen, welcher das Haupt fast vom
Rumpfe trennte! Der Großfürst ließ sich auch später nicht überzeugen, daß er
etwas Tadeinswerthes gethan. Er vertheidigte seine That durch den Beweg¬
grund und durch die Erlösung, die er dem Unglücklichen gebracht, da kein
Mittel vorhanden gewesen sei, ihn zu retten, und selbst wenn sich eins darge¬
boten hätte. Niemand gewagt hätte es anzuwenden.

Da das Hinschlachten der Gefangenen durch die Bauern mit allen denk¬
baren Qualen, bevor man ihnen den Tod gab, immer noch fortdauerte, schickte
der englische General eine Depesche an den Kaiser Alexander, in welcher er ihm


mandare gab an, er habe sie. da die ursprünglichen Bestandtheile liegen ge¬
blieben wären, zweimal aus den unterwegs aufgegriffenen Gefangenen erneu¬
ert und stehe jetzt wieder im Begriff die Zahl zu vervollständigen.^

Unter dieser Schaar von Unglücklichen befand sich ein junger Mann, der
durch sein Aussehen und dadurch, daß er von der Hauptmasse sich ein Wenig
entfernt hielt, die Aufmerksamkeit auf sich zog. Großfürst Constantin, der sich
in Benningsen'ö Stab befand, fragte ihn, nachdem er sich bei dem Gefangenen
nach seinem Vaterland, seinem Grad und den Umständen seiner Gefangen¬
nehmung erkundigt, ob er sich unter den gegenwärtigen Umständen nicht den
Tod wünschte. „Gewiß", sagte der Unglückliche, „wenn ich nicht befreit wer¬
den kann; denn ich weiß, daß ich in wenigen Stunden von Kälte erstarrt oder
von der Lanze eines Kosacken sterben muß, wie ich es von vielen hundert Ka¬
meraden gesehen habe, wenn sie vor Kälte, Hunger oder Ermüdung nicht
mehr mit fortkommen konnten. Ich habe Verwandte und Freunde in Frank¬
reich, die mein Schicksal beweinen werden — um ihretwillen wünschte ich zu¬
rückzukehren; aber ist dies unmöglich, je eher alsdann diese Schmach und diese
Qualen zu Ende gehen, desto besser." Der Großfürst versicherte ihm dann,
wie er sein Schicksal im tiefsten Herzen bemittelte, daß aber Hülfe zu seiner
Errettung unmöglich sei; wünschte er jedoch wirklich sosort zu sterben, und
wollte er sich auf den Rücken hinlegen, so wollte er ihm, als einen Beweis
der Theilnahme, die er für ihn fühle, selbst den Todesstreich geben.

General Benningsen war eine kleine Strecke vorausgeritten, aber der eng¬
lische General, der sein Pferd angehalten hatte, um dem Gespräch zuzuhören,
protestirte jetzt gegen den Gedanken, als er den grausamen Vorschlag vernahm,
und wies dringend auf die Nothwendigkeit hin, den unglücklichen Offizier,
denn als einen solchen stellte er sich heraus, um jeden Preis zu retten, nach¬
dem man durch Anknüpfung eines Gesprächs Hoffnungen in ihm erregt hatte.

Als der englische General sah, daß man auf der andern Seite keineswegs
geneigt sei seine Absicht aufzugeben, gab er seinem Pferde die Sporen, um
den General Benningsen herbeizurufen; bevor er ihn jedoch einholte drehte er
sich zufällig um und sah den Großfürsten, der abgestiegen war. mit seinem
Säbel den verhängnißvollen Streich führen, welcher das Haupt fast vom
Rumpfe trennte! Der Großfürst ließ sich auch später nicht überzeugen, daß er
etwas Tadeinswerthes gethan. Er vertheidigte seine That durch den Beweg¬
grund und durch die Erlösung, die er dem Unglücklichen gebracht, da kein
Mittel vorhanden gewesen sei, ihn zu retten, und selbst wenn sich eins darge¬
boten hätte. Niemand gewagt hätte es anzuwenden.

Da das Hinschlachten der Gefangenen durch die Bauern mit allen denk¬
baren Qualen, bevor man ihnen den Tod gab, immer noch fortdauerte, schickte
der englische General eine Depesche an den Kaiser Alexander, in welcher er ihm


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[0506] mandare gab an, er habe sie. da die ursprünglichen Bestandtheile liegen ge¬ blieben wären, zweimal aus den unterwegs aufgegriffenen Gefangenen erneu¬ ert und stehe jetzt wieder im Begriff die Zahl zu vervollständigen.^ Unter dieser Schaar von Unglücklichen befand sich ein junger Mann, der durch sein Aussehen und dadurch, daß er von der Hauptmasse sich ein Wenig entfernt hielt, die Aufmerksamkeit auf sich zog. Großfürst Constantin, der sich in Benningsen'ö Stab befand, fragte ihn, nachdem er sich bei dem Gefangenen nach seinem Vaterland, seinem Grad und den Umständen seiner Gefangen¬ nehmung erkundigt, ob er sich unter den gegenwärtigen Umständen nicht den Tod wünschte. „Gewiß", sagte der Unglückliche, „wenn ich nicht befreit wer¬ den kann; denn ich weiß, daß ich in wenigen Stunden von Kälte erstarrt oder von der Lanze eines Kosacken sterben muß, wie ich es von vielen hundert Ka¬ meraden gesehen habe, wenn sie vor Kälte, Hunger oder Ermüdung nicht mehr mit fortkommen konnten. Ich habe Verwandte und Freunde in Frank¬ reich, die mein Schicksal beweinen werden — um ihretwillen wünschte ich zu¬ rückzukehren; aber ist dies unmöglich, je eher alsdann diese Schmach und diese Qualen zu Ende gehen, desto besser." Der Großfürst versicherte ihm dann, wie er sein Schicksal im tiefsten Herzen bemittelte, daß aber Hülfe zu seiner Errettung unmöglich sei; wünschte er jedoch wirklich sosort zu sterben, und wollte er sich auf den Rücken hinlegen, so wollte er ihm, als einen Beweis der Theilnahme, die er für ihn fühle, selbst den Todesstreich geben. General Benningsen war eine kleine Strecke vorausgeritten, aber der eng¬ lische General, der sein Pferd angehalten hatte, um dem Gespräch zuzuhören, protestirte jetzt gegen den Gedanken, als er den grausamen Vorschlag vernahm, und wies dringend auf die Nothwendigkeit hin, den unglücklichen Offizier, denn als einen solchen stellte er sich heraus, um jeden Preis zu retten, nach¬ dem man durch Anknüpfung eines Gesprächs Hoffnungen in ihm erregt hatte. Als der englische General sah, daß man auf der andern Seite keineswegs geneigt sei seine Absicht aufzugeben, gab er seinem Pferde die Sporen, um den General Benningsen herbeizurufen; bevor er ihn jedoch einholte drehte er sich zufällig um und sah den Großfürsten, der abgestiegen war. mit seinem Säbel den verhängnißvollen Streich führen, welcher das Haupt fast vom Rumpfe trennte! Der Großfürst ließ sich auch später nicht überzeugen, daß er etwas Tadeinswerthes gethan. Er vertheidigte seine That durch den Beweg¬ grund und durch die Erlösung, die er dem Unglücklichen gebracht, da kein Mittel vorhanden gewesen sei, ihn zu retten, und selbst wenn sich eins darge¬ boten hätte. Niemand gewagt hätte es anzuwenden. Da das Hinschlachten der Gefangenen durch die Bauern mit allen denk¬ baren Qualen, bevor man ihnen den Tod gab, immer noch fortdauerte, schickte der englische General eine Depesche an den Kaiser Alexander, in welcher er ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/506>, abgerufen am 25.08.2024.