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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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einer Gelegenheit beraubt habe, nicht römischen, aber mehr als römischen --
russischen Stolz, durch eine von den Behörden und dem Volke veranstaltete Jn-
brandstcckung der Stadt, bevor die Anwesenheit des Feindes sie befleckt, an
den Tag zu legen. Er erklärte dem Marschall nie verzeihen zu wollen, daß er ihn
getauscht habe <und er hielt Wort), aber er wolle jetzt eigenhändig das von
uns Allen so bewunderte Schloß in Brand stecken, wenn der Feind weiter vor¬
dränge, und er beklagte nur. daß er nicht ein noch viel kostbareres Opfer
bringen könnte. Alles Abreden blieb umsonst; Nickts konnte ihn in seinem
Entschluß wankend machen.

Mit Tagesgrauen erschien eine Abordnung der Dorfältesten, welche dem
Grafen mittheilte, daß sie alle Anstalten getroffen, um mit den Truppen das
Dorf zu verlassen, und ihn um Erlaubniß baten, auf eine seiner Besitzungen
in Sibirien ziehen zu dürfen, da sie lieber dorthin oder in jede andere Pro¬
vinz des Reichs auswandern, als sich französischer Herrschaft unterwerfen
wollten. Der Graf ertheilte die Erlaubniß, und das ganze Dorf, 1700 Seo
im, setzte sich in Marsch und bot einen höchst rührenden Anblick dar, aber
man hörte keine Klage. "Gott verleihe unserm Kaiser und Rußland den Sieg"
und "des Himmels Segen auf unsern Herrn" waren die einzigen Ausrufungen,
welche ihrem Munde entschlüpften. Nachdem Rostopschin ihre Erklärung in
drei Sprachen an die Kirchenthür angeschlagen, bat er seine Freunde, sowie die
Vorposten auf einander zu feuern anfingen, und der Feind sich in Bewegung
setzte, ihn in das Schloß zu begleiten. Unter der Einfahrt angekommen, ließ
er brennende Fackeln an sämmtliche Anwesende vertheilen. Darauf führte er
sie die Treppe hinaus und trat in sein bestes Schlafzimmer. Hier blieb er ei¬
nen Augenblick stehen und sagte dann zu dem englischen General: "das ist
mein Hychzeitsbett; ich kann es nicht über das Herz bringen es anzuzünden,
Sie müssen mir diesen Schmerz ersparen." Erst als Rostopschin das ganze
übrige Zimmer in Brand gesteckt und nicht eher, ward dieser Wunsch erfüllt.
Wie die Anwesenden in jedes Zimmer gingen, wurde in jedes Feuer gewor¬
fen, und in einer Viertelstunde stand das ganze Schloß in hellen Flammen. Ro¬
stopschin begab sich dann nach den Ställen, aus denen ebenfalls bald die feu¬
rigen Zungen loderten, und blieb dann vor dem Baue stehen, um dem Fort¬
schreiten der Feuersbrunst und dem Einstürzen der Trümmer zuzusehen.

Als der letzte Abguß der Cavallogruppe zusammenbrach, sagte er: "Jetzt
ist mir's leicht um's Herz"; und da man die feindlichen Kugeln schon pfeifen
hörte, entfernten sich Alle, nachdem sie, an einem in die Augen fallenden Pfeiler
angeheftet, dem Feinde folgende, Besorgniß erregende und eindringliche Lehre
hinterlassen hatten:

"Ich habe acht Jahre gebraucht, um diesen Edelsitz auszuschmücken, wo ich
in dem Schooß meiner Familie ein glückliches Leben geführt habe.


einer Gelegenheit beraubt habe, nicht römischen, aber mehr als römischen —
russischen Stolz, durch eine von den Behörden und dem Volke veranstaltete Jn-
brandstcckung der Stadt, bevor die Anwesenheit des Feindes sie befleckt, an
den Tag zu legen. Er erklärte dem Marschall nie verzeihen zu wollen, daß er ihn
getauscht habe <und er hielt Wort), aber er wolle jetzt eigenhändig das von
uns Allen so bewunderte Schloß in Brand stecken, wenn der Feind weiter vor¬
dränge, und er beklagte nur. daß er nicht ein noch viel kostbareres Opfer
bringen könnte. Alles Abreden blieb umsonst; Nickts konnte ihn in seinem
Entschluß wankend machen.

Mit Tagesgrauen erschien eine Abordnung der Dorfältesten, welche dem
Grafen mittheilte, daß sie alle Anstalten getroffen, um mit den Truppen das
Dorf zu verlassen, und ihn um Erlaubniß baten, auf eine seiner Besitzungen
in Sibirien ziehen zu dürfen, da sie lieber dorthin oder in jede andere Pro¬
vinz des Reichs auswandern, als sich französischer Herrschaft unterwerfen
wollten. Der Graf ertheilte die Erlaubniß, und das ganze Dorf, 1700 Seo
im, setzte sich in Marsch und bot einen höchst rührenden Anblick dar, aber
man hörte keine Klage. „Gott verleihe unserm Kaiser und Rußland den Sieg"
und „des Himmels Segen auf unsern Herrn" waren die einzigen Ausrufungen,
welche ihrem Munde entschlüpften. Nachdem Rostopschin ihre Erklärung in
drei Sprachen an die Kirchenthür angeschlagen, bat er seine Freunde, sowie die
Vorposten auf einander zu feuern anfingen, und der Feind sich in Bewegung
setzte, ihn in das Schloß zu begleiten. Unter der Einfahrt angekommen, ließ
er brennende Fackeln an sämmtliche Anwesende vertheilen. Darauf führte er
sie die Treppe hinaus und trat in sein bestes Schlafzimmer. Hier blieb er ei¬
nen Augenblick stehen und sagte dann zu dem englischen General: „das ist
mein Hychzeitsbett; ich kann es nicht über das Herz bringen es anzuzünden,
Sie müssen mir diesen Schmerz ersparen." Erst als Rostopschin das ganze
übrige Zimmer in Brand gesteckt und nicht eher, ward dieser Wunsch erfüllt.
Wie die Anwesenden in jedes Zimmer gingen, wurde in jedes Feuer gewor¬
fen, und in einer Viertelstunde stand das ganze Schloß in hellen Flammen. Ro¬
stopschin begab sich dann nach den Ställen, aus denen ebenfalls bald die feu¬
rigen Zungen loderten, und blieb dann vor dem Baue stehen, um dem Fort¬
schreiten der Feuersbrunst und dem Einstürzen der Trümmer zuzusehen.

Als der letzte Abguß der Cavallogruppe zusammenbrach, sagte er: „Jetzt
ist mir's leicht um's Herz"; und da man die feindlichen Kugeln schon pfeifen
hörte, entfernten sich Alle, nachdem sie, an einem in die Augen fallenden Pfeiler
angeheftet, dem Feinde folgende, Besorgniß erregende und eindringliche Lehre
hinterlassen hatten:

„Ich habe acht Jahre gebraucht, um diesen Edelsitz auszuschmücken, wo ich
in dem Schooß meiner Familie ein glückliches Leben geführt habe.


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[0503] einer Gelegenheit beraubt habe, nicht römischen, aber mehr als römischen — russischen Stolz, durch eine von den Behörden und dem Volke veranstaltete Jn- brandstcckung der Stadt, bevor die Anwesenheit des Feindes sie befleckt, an den Tag zu legen. Er erklärte dem Marschall nie verzeihen zu wollen, daß er ihn getauscht habe <und er hielt Wort), aber er wolle jetzt eigenhändig das von uns Allen so bewunderte Schloß in Brand stecken, wenn der Feind weiter vor¬ dränge, und er beklagte nur. daß er nicht ein noch viel kostbareres Opfer bringen könnte. Alles Abreden blieb umsonst; Nickts konnte ihn in seinem Entschluß wankend machen. Mit Tagesgrauen erschien eine Abordnung der Dorfältesten, welche dem Grafen mittheilte, daß sie alle Anstalten getroffen, um mit den Truppen das Dorf zu verlassen, und ihn um Erlaubniß baten, auf eine seiner Besitzungen in Sibirien ziehen zu dürfen, da sie lieber dorthin oder in jede andere Pro¬ vinz des Reichs auswandern, als sich französischer Herrschaft unterwerfen wollten. Der Graf ertheilte die Erlaubniß, und das ganze Dorf, 1700 Seo im, setzte sich in Marsch und bot einen höchst rührenden Anblick dar, aber man hörte keine Klage. „Gott verleihe unserm Kaiser und Rußland den Sieg" und „des Himmels Segen auf unsern Herrn" waren die einzigen Ausrufungen, welche ihrem Munde entschlüpften. Nachdem Rostopschin ihre Erklärung in drei Sprachen an die Kirchenthür angeschlagen, bat er seine Freunde, sowie die Vorposten auf einander zu feuern anfingen, und der Feind sich in Bewegung setzte, ihn in das Schloß zu begleiten. Unter der Einfahrt angekommen, ließ er brennende Fackeln an sämmtliche Anwesende vertheilen. Darauf führte er sie die Treppe hinaus und trat in sein bestes Schlafzimmer. Hier blieb er ei¬ nen Augenblick stehen und sagte dann zu dem englischen General: „das ist mein Hychzeitsbett; ich kann es nicht über das Herz bringen es anzuzünden, Sie müssen mir diesen Schmerz ersparen." Erst als Rostopschin das ganze übrige Zimmer in Brand gesteckt und nicht eher, ward dieser Wunsch erfüllt. Wie die Anwesenden in jedes Zimmer gingen, wurde in jedes Feuer gewor¬ fen, und in einer Viertelstunde stand das ganze Schloß in hellen Flammen. Ro¬ stopschin begab sich dann nach den Ställen, aus denen ebenfalls bald die feu¬ rigen Zungen loderten, und blieb dann vor dem Baue stehen, um dem Fort¬ schreiten der Feuersbrunst und dem Einstürzen der Trümmer zuzusehen. Als der letzte Abguß der Cavallogruppe zusammenbrach, sagte er: „Jetzt ist mir's leicht um's Herz"; und da man die feindlichen Kugeln schon pfeifen hörte, entfernten sich Alle, nachdem sie, an einem in die Augen fallenden Pfeiler angeheftet, dem Feinde folgende, Besorgniß erregende und eindringliche Lehre hinterlassen hatten: „Ich habe acht Jahre gebraucht, um diesen Edelsitz auszuschmücken, wo ich in dem Schooß meiner Familie ein glückliches Leben geführt habe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/503>, abgerufen am 25.08.2024.