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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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seiner Armee ein wirklicher Vortheil für die Welt sei; sein Nachlaß würde
nicht an Rußland oder an eine andere Continentalmacht fallen, sondern an
diejenige Macht, welche bereits die See beherrsche und deren Uebergewicht
dann unerträglich sein würde". Der darauf befohlene Rückzug, der nur durch
ein einziges, schmales DesiI6 gehen konnte, brachte sogar die Russen in eine
nicht minder gefährliche Lage, als in der eben die Franzosen gewesen waren,
aber unerklärlicher Weise erkannte oder benutzte Napoleon seinen Vortheil nicht
und kehrte nach der Straße von Moskau nach Smolensk um, der Welt das
kaum je gesehene Schauspiel gebend, daß zwei Heere sich gleichzeitig den Rü¬
cken zukehrten. Bei Wiäsma versäumte Kutusow zum zweiten Male die Ge¬
legenheit dem Feind den Untergang zu bereiten, und bei Krasnoi gab er die
Vortheile, die vor seinem Eintreffen auf dem Schlachtfelde erlangt worden
waren, wieder auf, so wie er vernahm, daß Napoleon selbst die Schlacht lei¬
tete. Die Unzufriedenheit machte sich diesmal nicht bloß unter den Generalen,
sondern auch bei den Truppen in lauten Worten Luft. Um sie zu beschwich¬
tigen, gab Kutusow Dispositionen zum Angriff für den nächsten Morgen aus,
und ließ so dem Feinde einen Abend und eine Nacht zum Rückzug frei.
Selbst als der Morgen kam, durfte noch nicht angegriffen werden, und als
Galitzin, von Benningsen dazu ermächtigt, der allgemeinen Ungeduld nach¬
gebend, einen erfolgreichen Angriff machte, gab der Marschall dem Adjutanten
Benningsens, der mit dieser Nachricht zu ihm kam, zur Antwort: "Wer
schickt Sie?" "General Benningsen, vom Schlachtfeld" sagte dieser; "und wir
erwarten nur den Befehl Ew. Excellenz, um Krasnoi und Alles was darin und
darum ist, zu nehmen." "Sagen Sie Ihrem General," war Kutusows Antwort,
indem er sich in seiner Droschke umkehrte "je in'on-k --".

Die Unfähigkeit seines Oberfeldherrn erkannte Alexander selbst später of¬
fen an. In Wilna, um seinem Geburtstag, den 26. Dec.. gestand er dem
englischen General offen ein, daß er wisse, der Marschall habe nichts gethan,
was er hätte thun sollen -- Nichts gegen den Feind unternommen, was er
hätte unterlassen können; alle seine Erfolge seien ihm aufgezwungen worden.
"Er hat einige von seinen alten türkischen Streichen gespielt", fuhr der Kai¬
ser fort, "aber der Moskaner Adel unterstützt ihn und will ihm durchaus den
Ruhm dieses Krieges zuschreiben. In einer halben Stunde muß ich daher,
(er machte eine Pause von einer Minute) diesen Mann mit dem Groszkrcuz
des Georgenordens schmücken und damit die Statuten dieses Ordens verletzen;
denn er ist die höchste Ehre des Reichs und bisher die reinste. Doch ich will
Sie nicht einladen dabei zu sein -- das würde mich zu sehr demüthigen;
aber ich habe keine Wahl -- ich muß einer gebieterischen Nothwendigkeit
nachgeben. Ich werde jedoch meine Armee nicht wieder verlassen, und der
Marschall soll nicht wieder Gelegenheit finden seine Fehler zu machen."


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seiner Armee ein wirklicher Vortheil für die Welt sei; sein Nachlaß würde
nicht an Rußland oder an eine andere Continentalmacht fallen, sondern an
diejenige Macht, welche bereits die See beherrsche und deren Uebergewicht
dann unerträglich sein würde". Der darauf befohlene Rückzug, der nur durch
ein einziges, schmales DesiI6 gehen konnte, brachte sogar die Russen in eine
nicht minder gefährliche Lage, als in der eben die Franzosen gewesen waren,
aber unerklärlicher Weise erkannte oder benutzte Napoleon seinen Vortheil nicht
und kehrte nach der Straße von Moskau nach Smolensk um, der Welt das
kaum je gesehene Schauspiel gebend, daß zwei Heere sich gleichzeitig den Rü¬
cken zukehrten. Bei Wiäsma versäumte Kutusow zum zweiten Male die Ge¬
legenheit dem Feind den Untergang zu bereiten, und bei Krasnoi gab er die
Vortheile, die vor seinem Eintreffen auf dem Schlachtfelde erlangt worden
waren, wieder auf, so wie er vernahm, daß Napoleon selbst die Schlacht lei¬
tete. Die Unzufriedenheit machte sich diesmal nicht bloß unter den Generalen,
sondern auch bei den Truppen in lauten Worten Luft. Um sie zu beschwich¬
tigen, gab Kutusow Dispositionen zum Angriff für den nächsten Morgen aus,
und ließ so dem Feinde einen Abend und eine Nacht zum Rückzug frei.
Selbst als der Morgen kam, durfte noch nicht angegriffen werden, und als
Galitzin, von Benningsen dazu ermächtigt, der allgemeinen Ungeduld nach¬
gebend, einen erfolgreichen Angriff machte, gab der Marschall dem Adjutanten
Benningsens, der mit dieser Nachricht zu ihm kam, zur Antwort: „Wer
schickt Sie?" „General Benningsen, vom Schlachtfeld" sagte dieser; „und wir
erwarten nur den Befehl Ew. Excellenz, um Krasnoi und Alles was darin und
darum ist, zu nehmen." „Sagen Sie Ihrem General," war Kutusows Antwort,
indem er sich in seiner Droschke umkehrte „je in'on-k —".

Die Unfähigkeit seines Oberfeldherrn erkannte Alexander selbst später of¬
fen an. In Wilna, um seinem Geburtstag, den 26. Dec.. gestand er dem
englischen General offen ein, daß er wisse, der Marschall habe nichts gethan,
was er hätte thun sollen — Nichts gegen den Feind unternommen, was er
hätte unterlassen können; alle seine Erfolge seien ihm aufgezwungen worden.
„Er hat einige von seinen alten türkischen Streichen gespielt", fuhr der Kai¬
ser fort, „aber der Moskaner Adel unterstützt ihn und will ihm durchaus den
Ruhm dieses Krieges zuschreiben. In einer halben Stunde muß ich daher,
(er machte eine Pause von einer Minute) diesen Mann mit dem Groszkrcuz
des Georgenordens schmücken und damit die Statuten dieses Ordens verletzen;
denn er ist die höchste Ehre des Reichs und bisher die reinste. Doch ich will
Sie nicht einladen dabei zu sein — das würde mich zu sehr demüthigen;
aber ich habe keine Wahl — ich muß einer gebieterischen Nothwendigkeit
nachgeben. Ich werde jedoch meine Armee nicht wieder verlassen, und der
Marschall soll nicht wieder Gelegenheit finden seine Fehler zu machen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/501>, abgerufen am 25.08.2024.