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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Uneinigkeit oder Zwietracht sein; -- Alles was Besorgnissen in Bezug darauf
ein Ende machen kaun, soll geschehen, aber so, daß es nicht aussieht, als
gäbe ich Drohungen nach, oder daß ich mir Vorwürfe wegen Ungerechtigkeit
zu machen habe. Das ist ein Fall, wo viel von der Art abhängt, wie man
ihn angreift. Lassen Sie mir ein wenig Zeit -- Alles wird zur Zufriedenheit
geordnet werden."

Auch in den weiteren Audienzen, die Wilson während seines Aufenthaltes
in Petersburg bei dem Kaiser hatte, bewies ihm dieser durch die huldvollste
und auszeichnendste Behandlung, daß, weit entfernt ihm wegen der Annahme
des gewiß sehr bedenklichen Auftrags zu grollen, er ihm vielmehr dankbar
dafür sei; und als sich der englische General verabschiedete, erklärte ihm der
Kaiser mit der größten Feierlichkeit und bei seiner Ehre, daß er keine Unter¬
handlungen mit Napoleon anknüpfen oder dulden werde, so lange sich ein
bewaffneter Franzose auf russischem Gebiet befände. Er ermächtigte ihn auch,
seine Erklärung Andern mitzutheilen und erklärte schließlich, lieber als Frieden
schließen, wollte er sich den Bart bis an den Gürtel wachsen lassen und in
Sibirien von Kartoffeln leben. Wie groß das Vertrauen war, welches er in
Sir Robert Wilson setzte, beweist aber am besten der Umstand, daß er ihn er-
mächigte nach seiner Rückkehr ins russische Hauptquartier mit aller seiner
Macht und allem seinen Einfluß, der Verpflichtung keinen Frieden zu schließen
gemäß, zum Schutz der Interessen der kaiserlichen Krone einzutreten, so oft
er die Neigung oder Absicht bemerkte sie zu beeinträchtigen.

Der englische General fand auch wirklich Veranlassung bei einer entschei¬
denden Gelegenheit von seiner Vollmacht Gebrauch zu machen. Der neue Ober¬
feldherr Kutusow, herbeigerufen von den lauten Wünschen der über die vorsichtige
Kriegführung Barclay's erbitterten altrussischen Partei, war noch viel weniger
der Mann, entscheidende schlüge zu führen. Schon aus körperlicher und gei¬
stiger Bequemlichkeit zur Unthätigkeit geneigt, sprach er, selbst als sich nach
dem Brand von Moskau der Krieg sichtlich günstiger für Rußland wendete,
nur davon, dem Feinde zum Rückzug goldene Brücken zu bauen. Anderer
Meinung war man in seinem Hauptquartier, wenn auch aus verschiedenen
Beweggründen. Ein Theil der Befehlshaber wollte den Feind, der das hei¬
lige Smolensk verwüstet und siegreich in die Hauptstadt des Reichs einge¬
zogen war, nicht ungestraft von bannen ziehen lassen; Anderen, wie dem in-
triguanten Benningsen, kam es nur darauf an, berechtigte Gründe zu einer Op¬
position zu finden, die sie machten, um das Ansehen des Oberfeldherrn zu
erschüttern und womöglich seine Stelle zu erlangen. Die Friedenssehnsucht
des alten Herrn war Allen wohl bekannt und alle seine Schritte wurden da¬
her aufs Genauste überwacht. Sir Robert Wilson, der sich seit Ende Sep¬
tember wieder in dem russischen Hauptquartier befand, war am 3. October


Uneinigkeit oder Zwietracht sein; — Alles was Besorgnissen in Bezug darauf
ein Ende machen kaun, soll geschehen, aber so, daß es nicht aussieht, als
gäbe ich Drohungen nach, oder daß ich mir Vorwürfe wegen Ungerechtigkeit
zu machen habe. Das ist ein Fall, wo viel von der Art abhängt, wie man
ihn angreift. Lassen Sie mir ein wenig Zeit — Alles wird zur Zufriedenheit
geordnet werden."

Auch in den weiteren Audienzen, die Wilson während seines Aufenthaltes
in Petersburg bei dem Kaiser hatte, bewies ihm dieser durch die huldvollste
und auszeichnendste Behandlung, daß, weit entfernt ihm wegen der Annahme
des gewiß sehr bedenklichen Auftrags zu grollen, er ihm vielmehr dankbar
dafür sei; und als sich der englische General verabschiedete, erklärte ihm der
Kaiser mit der größten Feierlichkeit und bei seiner Ehre, daß er keine Unter¬
handlungen mit Napoleon anknüpfen oder dulden werde, so lange sich ein
bewaffneter Franzose auf russischem Gebiet befände. Er ermächtigte ihn auch,
seine Erklärung Andern mitzutheilen und erklärte schließlich, lieber als Frieden
schließen, wollte er sich den Bart bis an den Gürtel wachsen lassen und in
Sibirien von Kartoffeln leben. Wie groß das Vertrauen war, welches er in
Sir Robert Wilson setzte, beweist aber am besten der Umstand, daß er ihn er-
mächigte nach seiner Rückkehr ins russische Hauptquartier mit aller seiner
Macht und allem seinen Einfluß, der Verpflichtung keinen Frieden zu schließen
gemäß, zum Schutz der Interessen der kaiserlichen Krone einzutreten, so oft
er die Neigung oder Absicht bemerkte sie zu beeinträchtigen.

Der englische General fand auch wirklich Veranlassung bei einer entschei¬
denden Gelegenheit von seiner Vollmacht Gebrauch zu machen. Der neue Ober¬
feldherr Kutusow, herbeigerufen von den lauten Wünschen der über die vorsichtige
Kriegführung Barclay's erbitterten altrussischen Partei, war noch viel weniger
der Mann, entscheidende schlüge zu führen. Schon aus körperlicher und gei¬
stiger Bequemlichkeit zur Unthätigkeit geneigt, sprach er, selbst als sich nach
dem Brand von Moskau der Krieg sichtlich günstiger für Rußland wendete,
nur davon, dem Feinde zum Rückzug goldene Brücken zu bauen. Anderer
Meinung war man in seinem Hauptquartier, wenn auch aus verschiedenen
Beweggründen. Ein Theil der Befehlshaber wollte den Feind, der das hei¬
lige Smolensk verwüstet und siegreich in die Hauptstadt des Reichs einge¬
zogen war, nicht ungestraft von bannen ziehen lassen; Anderen, wie dem in-
triguanten Benningsen, kam es nur darauf an, berechtigte Gründe zu einer Op¬
position zu finden, die sie machten, um das Ansehen des Oberfeldherrn zu
erschüttern und womöglich seine Stelle zu erlangen. Die Friedenssehnsucht
des alten Herrn war Allen wohl bekannt und alle seine Schritte wurden da¬
her aufs Genauste überwacht. Sir Robert Wilson, der sich seit Ende Sep¬
tember wieder in dem russischen Hauptquartier befand, war am 3. October


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[0496] Uneinigkeit oder Zwietracht sein; — Alles was Besorgnissen in Bezug darauf ein Ende machen kaun, soll geschehen, aber so, daß es nicht aussieht, als gäbe ich Drohungen nach, oder daß ich mir Vorwürfe wegen Ungerechtigkeit zu machen habe. Das ist ein Fall, wo viel von der Art abhängt, wie man ihn angreift. Lassen Sie mir ein wenig Zeit — Alles wird zur Zufriedenheit geordnet werden." Auch in den weiteren Audienzen, die Wilson während seines Aufenthaltes in Petersburg bei dem Kaiser hatte, bewies ihm dieser durch die huldvollste und auszeichnendste Behandlung, daß, weit entfernt ihm wegen der Annahme des gewiß sehr bedenklichen Auftrags zu grollen, er ihm vielmehr dankbar dafür sei; und als sich der englische General verabschiedete, erklärte ihm der Kaiser mit der größten Feierlichkeit und bei seiner Ehre, daß er keine Unter¬ handlungen mit Napoleon anknüpfen oder dulden werde, so lange sich ein bewaffneter Franzose auf russischem Gebiet befände. Er ermächtigte ihn auch, seine Erklärung Andern mitzutheilen und erklärte schließlich, lieber als Frieden schließen, wollte er sich den Bart bis an den Gürtel wachsen lassen und in Sibirien von Kartoffeln leben. Wie groß das Vertrauen war, welches er in Sir Robert Wilson setzte, beweist aber am besten der Umstand, daß er ihn er- mächigte nach seiner Rückkehr ins russische Hauptquartier mit aller seiner Macht und allem seinen Einfluß, der Verpflichtung keinen Frieden zu schließen gemäß, zum Schutz der Interessen der kaiserlichen Krone einzutreten, so oft er die Neigung oder Absicht bemerkte sie zu beeinträchtigen. Der englische General fand auch wirklich Veranlassung bei einer entschei¬ denden Gelegenheit von seiner Vollmacht Gebrauch zu machen. Der neue Ober¬ feldherr Kutusow, herbeigerufen von den lauten Wünschen der über die vorsichtige Kriegführung Barclay's erbitterten altrussischen Partei, war noch viel weniger der Mann, entscheidende schlüge zu führen. Schon aus körperlicher und gei¬ stiger Bequemlichkeit zur Unthätigkeit geneigt, sprach er, selbst als sich nach dem Brand von Moskau der Krieg sichtlich günstiger für Rußland wendete, nur davon, dem Feinde zum Rückzug goldene Brücken zu bauen. Anderer Meinung war man in seinem Hauptquartier, wenn auch aus verschiedenen Beweggründen. Ein Theil der Befehlshaber wollte den Feind, der das hei¬ lige Smolensk verwüstet und siegreich in die Hauptstadt des Reichs einge¬ zogen war, nicht ungestraft von bannen ziehen lassen; Anderen, wie dem in- triguanten Benningsen, kam es nur darauf an, berechtigte Gründe zu einer Op¬ position zu finden, die sie machten, um das Ansehen des Oberfeldherrn zu erschüttern und womöglich seine Stelle zu erlangen. Die Friedenssehnsucht des alten Herrn war Allen wohl bekannt und alle seine Schritte wurden da¬ her aufs Genauste überwacht. Sir Robert Wilson, der sich seit Ende Sep¬ tember wieder in dem russischen Hauptquartier befand, war am 3. October

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/496>, abgerufen am 25.08.2024.