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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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land, die er sich zuerst verschafft hatte. Es galt eher, als der russische Courier
in London einzutreffen, der 36 Stunden Vorsprung hatte, da man Wilson
in Petersburg seine Pässe vorenthalten hatte. Es gelang ihm durch eine
gewagte Fahrt über den bothmschen Meerbusen eher als der russische Courier
Gothenburg zu erreichen. Dort bewog er den Gouverneur ein 48stündiges
Embargo auf alle Schiffe zu legen, während er selbst in einer Kriegsbrigg in
See zu stechen versuchte. Ein heftiger Sturm vereitelte den ersten Versuch,
schließlich erreichte er aber doch noch die englische Küste, und kam früh ge¬
nug nach London, um dem Ministerium Zeit zu lassen, eine gerade in Plymouth
liegende russische Fregatte mit Geld zur Bezahlung der russischen Flotte im
Archipel mit Beschlag zu belegen, ehe der russische Courier in London mit
den andern Jnstructionen an den russischen Gesandten eintraf.

Nach diesen ersten diplomatischen Verwendungen trat Wilson, der sich, seit
1793 Offizier, bereits in den Niederlanden, in Aegypteli, in Ceylon, am Cap
der guten Hoffnung rühmlichst ausgezeichnet hatte, wieder in die Armee ein, und
ging 1808 als Generalmajor nach Portugal, um eine portugiesische Legion zu
organisiren, an deren Spitze er bis zur Reorganisation der portugiesischen Armee,
Ende 1809, mit Auszeichnung focht. Im April 1812 ging er, abermals in
besondern Aufträgen, nach der Türkei, um den englischen Gesandten in Con-
stantinopel zu unterstützen, überzeugte die beiden kriegslustiger Heerführer, den
Großwessir in Schumla und General Tschitschagow in Bukarest gegenseitig von
der Nothwendigkeit Frieden zu schließen, trug dadurch wesentlich zum Ab¬
schluß desselben bei und machte so die ganze Macht Rußlands gegen den
drohenden Angriff Frankreichs verfügbar. Dann eilte er nach Nußland, des¬
sen Boden der Feind schon betreten hatte, und nun begann der wichtige per¬
sönliche Antheil an der weitern Entwickelung der Ereignisse.

Wilson kam zu einem sehr kritischen Zeitpunkt im russischen Hauptquar¬
tier in Smolensk an. Die ganze Armee war auss Aeußerste unzufrieden
mit Barclay's Kriegführung. Die unter ihm stehenden Generäle, die freilich
keine Verantwortlichkeit für das von ihnen Vorgeschlagene zu tragen hatten
und die sich mit der, dem russischen Charakter eigenthümlichen Ueberhebung
dem Gegner in kriegerischer Hinsicht für vollkommen ebenbürtig hielten, riethen
immer zu einer entscheidenden Schlacht und jetzt war man bereits bis Smo¬
lensk zurückgewichen, ohne eine geliefert zu haben. Barclay, ein tapferer und
entschlossener Soldat, wenn auch kein große Verhältnisse überschauender Stra¬
tege, war im Grunde ebenfalls beständig geneigt, den Franzosen eine ent¬
scheidende Schlacht zu liefern. Doch am Vorabend derselben überkam ihn
stets das dunkle, aber sehr richtige Gefühl, daß die vorhandenen Kräfte zum
Angriff nicht ausreichten, und daß erst eine günstigere Gelegenheit abgewartet
werden müsse. So führte ihn schließlich lediglich das Bestreben, die Verein!-


land, die er sich zuerst verschafft hatte. Es galt eher, als der russische Courier
in London einzutreffen, der 36 Stunden Vorsprung hatte, da man Wilson
in Petersburg seine Pässe vorenthalten hatte. Es gelang ihm durch eine
gewagte Fahrt über den bothmschen Meerbusen eher als der russische Courier
Gothenburg zu erreichen. Dort bewog er den Gouverneur ein 48stündiges
Embargo auf alle Schiffe zu legen, während er selbst in einer Kriegsbrigg in
See zu stechen versuchte. Ein heftiger Sturm vereitelte den ersten Versuch,
schließlich erreichte er aber doch noch die englische Küste, und kam früh ge¬
nug nach London, um dem Ministerium Zeit zu lassen, eine gerade in Plymouth
liegende russische Fregatte mit Geld zur Bezahlung der russischen Flotte im
Archipel mit Beschlag zu belegen, ehe der russische Courier in London mit
den andern Jnstructionen an den russischen Gesandten eintraf.

Nach diesen ersten diplomatischen Verwendungen trat Wilson, der sich, seit
1793 Offizier, bereits in den Niederlanden, in Aegypteli, in Ceylon, am Cap
der guten Hoffnung rühmlichst ausgezeichnet hatte, wieder in die Armee ein, und
ging 1808 als Generalmajor nach Portugal, um eine portugiesische Legion zu
organisiren, an deren Spitze er bis zur Reorganisation der portugiesischen Armee,
Ende 1809, mit Auszeichnung focht. Im April 1812 ging er, abermals in
besondern Aufträgen, nach der Türkei, um den englischen Gesandten in Con-
stantinopel zu unterstützen, überzeugte die beiden kriegslustiger Heerführer, den
Großwessir in Schumla und General Tschitschagow in Bukarest gegenseitig von
der Nothwendigkeit Frieden zu schließen, trug dadurch wesentlich zum Ab¬
schluß desselben bei und machte so die ganze Macht Rußlands gegen den
drohenden Angriff Frankreichs verfügbar. Dann eilte er nach Nußland, des¬
sen Boden der Feind schon betreten hatte, und nun begann der wichtige per¬
sönliche Antheil an der weitern Entwickelung der Ereignisse.

Wilson kam zu einem sehr kritischen Zeitpunkt im russischen Hauptquar¬
tier in Smolensk an. Die ganze Armee war auss Aeußerste unzufrieden
mit Barclay's Kriegführung. Die unter ihm stehenden Generäle, die freilich
keine Verantwortlichkeit für das von ihnen Vorgeschlagene zu tragen hatten
und die sich mit der, dem russischen Charakter eigenthümlichen Ueberhebung
dem Gegner in kriegerischer Hinsicht für vollkommen ebenbürtig hielten, riethen
immer zu einer entscheidenden Schlacht und jetzt war man bereits bis Smo¬
lensk zurückgewichen, ohne eine geliefert zu haben. Barclay, ein tapferer und
entschlossener Soldat, wenn auch kein große Verhältnisse überschauender Stra¬
tege, war im Grunde ebenfalls beständig geneigt, den Franzosen eine ent¬
scheidende Schlacht zu liefern. Doch am Vorabend derselben überkam ihn
stets das dunkle, aber sehr richtige Gefühl, daß die vorhandenen Kräfte zum
Angriff nicht ausreichten, und daß erst eine günstigere Gelegenheit abgewartet
werden müsse. So führte ihn schließlich lediglich das Bestreben, die Verein!-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/492>, abgerufen am 24.08.2024.