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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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schließlich nach kirchlichen Gesichtspunkten bestimmt. Die Existenz einer solchen
Partei im preußischen Landtage ist ein sehr bedenkliches Zeichen und eine
Mahnung für die Regierung, auch hier einmal Hand ans Werk zu legen. Wie
gegenwärtig die Lage Europas ist. läßt sich voraussehen, daß in kürzester Frist
zwei große Parteien sich gegenüber stehen werden; auf der einen Seite werden
alle berechtigten Interessen Preußens liegen, der Führer der andern wird der
Ultramontanismus sein. Die Ereignisse in Italien werden uns vielleicht zu
Hilfe kommen, aber nur dann, wenn wir selber etwas dazu thun.




Theater.

Heinrich von Kleist's "Hermannsschlacht" ist im Anfang dieses Jahres in
der Bearbeitung von Fcodor West über mehre deutsche Bühnen gegangen; an
sich ein erfreuliches Ereigniß, da von allen deutschen Dichtern neben Lessing, Goethe
und Schiller Kleist am meisten verdient, unserm wirklichen Theater erhalten zu wer¬
den; und an der Bearbeitung ist hauptsächlich zu loben, daß sie die Eigenthümlich¬
keiten des Dichters nicht verwischt hat. Ueber seine Methode, so wie über den Erfolg
der Aufführung berichtet F. West in der "Schaubühne II., 2."; Einiges finden wir
noch hinzuzusetzen. -- Man merkt dem Stück an, daß Kleist nicht unmittelbar an
eine wirkliche Aufführung gedacht hat, die in dem großen napoleonischen Reich 1809
auch schlechterdings unmöglich war; Bearbeiter und Schauspieler müssen ein wenig
nachhelfen, aber mit steter Rücksicht auf den eigentlich poetischen Gehalt des Stücks.
-- Folgende" dürfte das Hauptaugenmerk sein. -- In einem großen Theil des Dra¬
mas erscheint Hermann als politischer Intrigant, der mit schlauer Berechnung die zweck¬
mäßigen Mittel wählt, um die Römer zu stürzen, und diesen Zweck auch glücklich
erreicht. Märe weiter nichts darin, so wäre das Stück ein Lustspiel in der Weise
von Scribe's Glas Wasser; der politische Inhalt selbst -- der deutsche Patriotismus,
die Nothwendigkeit, gegen den Unterdrücker jedes Mittel anzuwenden -- ist an sich
sehr lobenswerth, genügt aber nicht, das Stück dramatisch zu rechtfertigen; und
was der Herausgeber in dieser Beziehung sagt, gehört nicht zur Sache; denn anders
beurtheilen wir eine Handlung, die in einem geschlossenen Nahmen vor unsern Augen
vorgeht, anders ein Stück Geschichte aus den Zeitungen. So warm wir für die
Bildung des neu-italienischen Königreichs sein mögen, für eine Tragödie qualificirt
sie sich nicht. -- Der Zweck der Tragödie ist, Mitleid zu erregen, nicht Bewunde¬
rung;' und zwar Mitleid für den Helden. -- Kleist hat das dadurch möglich gemacht,


schließlich nach kirchlichen Gesichtspunkten bestimmt. Die Existenz einer solchen
Partei im preußischen Landtage ist ein sehr bedenkliches Zeichen und eine
Mahnung für die Regierung, auch hier einmal Hand ans Werk zu legen. Wie
gegenwärtig die Lage Europas ist. läßt sich voraussehen, daß in kürzester Frist
zwei große Parteien sich gegenüber stehen werden; auf der einen Seite werden
alle berechtigten Interessen Preußens liegen, der Führer der andern wird der
Ultramontanismus sein. Die Ereignisse in Italien werden uns vielleicht zu
Hilfe kommen, aber nur dann, wenn wir selber etwas dazu thun.




Theater.

Heinrich von Kleist's „Hermannsschlacht" ist im Anfang dieses Jahres in
der Bearbeitung von Fcodor West über mehre deutsche Bühnen gegangen; an
sich ein erfreuliches Ereigniß, da von allen deutschen Dichtern neben Lessing, Goethe
und Schiller Kleist am meisten verdient, unserm wirklichen Theater erhalten zu wer¬
den; und an der Bearbeitung ist hauptsächlich zu loben, daß sie die Eigenthümlich¬
keiten des Dichters nicht verwischt hat. Ueber seine Methode, so wie über den Erfolg
der Aufführung berichtet F. West in der „Schaubühne II., 2."; Einiges finden wir
noch hinzuzusetzen. — Man merkt dem Stück an, daß Kleist nicht unmittelbar an
eine wirkliche Aufführung gedacht hat, die in dem großen napoleonischen Reich 1809
auch schlechterdings unmöglich war; Bearbeiter und Schauspieler müssen ein wenig
nachhelfen, aber mit steter Rücksicht auf den eigentlich poetischen Gehalt des Stücks.
— Folgende« dürfte das Hauptaugenmerk sein. — In einem großen Theil des Dra¬
mas erscheint Hermann als politischer Intrigant, der mit schlauer Berechnung die zweck¬
mäßigen Mittel wählt, um die Römer zu stürzen, und diesen Zweck auch glücklich
erreicht. Märe weiter nichts darin, so wäre das Stück ein Lustspiel in der Weise
von Scribe's Glas Wasser; der politische Inhalt selbst — der deutsche Patriotismus,
die Nothwendigkeit, gegen den Unterdrücker jedes Mittel anzuwenden — ist an sich
sehr lobenswerth, genügt aber nicht, das Stück dramatisch zu rechtfertigen; und
was der Herausgeber in dieser Beziehung sagt, gehört nicht zur Sache; denn anders
beurtheilen wir eine Handlung, die in einem geschlossenen Nahmen vor unsern Augen
vorgeht, anders ein Stück Geschichte aus den Zeitungen. So warm wir für die
Bildung des neu-italienischen Königreichs sein mögen, für eine Tragödie qualificirt
sie sich nicht. — Der Zweck der Tragödie ist, Mitleid zu erregen, nicht Bewunde¬
rung;' und zwar Mitleid für den Helden. — Kleist hat das dadurch möglich gemacht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/48>, abgerufen am 22.07.2024.