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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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das Recht. Die Folgen für das Vaterland müssen aber allerdings in Erwä¬
gung gezogen werden, ehe man sich entschließt. Wenn die Regierung sich auf
das Herrenhaus stützt, so wird sie notwendigerweise versuchen müssen, das
Haus der Abgeordneten in dieselbe Richtung zu treiben-, und ob der Erfolg
eines solchen Unternehmens undenkbar ist, darüber wird man zweifelhaft,
wenn nur an die Wahlen von 1855 denkt, an denen sich doch die "demo¬
kratische Partei" bereits bechelligte. Es würde vmeilig sei", aus der Stim¬
mung in Berlin ohne Weiteres auf die Stimmung der Provinzen zu
schließen.

Noch einmal: es kann einen Zeitpunkt geben, wo man auf alle Gefahr hin
die Rolle der reinen Opposition übernimmt; daß der unter dem Einfluß einer all¬
gemeinen Begeisterung für das neue Ministerium erwählte Landtag diese Rolle
nicht übernehmen konnte, darf ihm Niemand zum Borwurf machen. Daß
in den Reihen der Abgeordneten sich keine Staatsmänner gezeigt haben ist ein
Unglück, aber auch kein Vorwurf. Wo sind sie? -- Die alten Namen, sagt
man, sind verbraucht, aber neue sind keine hervorgetreten. Die Demokraten
haben den Vortheil, seit zwölf Jahren von der Bühne verschwunden zu sein,
was aber von Zeit zu Zeit aus jener Seite aufgetaucht ist -- man denke an
Roobertus u. s. w. -- gibt auch keine glänzende Aussicht. Es ist ein gro¬
ßes Unglück für Deutschland, grade im gegenwärtigen Augenblick an großen
Kräften, an starken Naturen so arm zu sein; aber der Natur kann man nicht
gebieten, man wird es mit mittelmäßigen versuchen müssen.

Wichtiger ist ein zweiter Vorwurf gegen die bisherige Majorität: sie hat
für die eigentliche Aufgabe Preußens d. h. für seine deutsche Politik, sehr we¬
nig Sinn gezeigt. Zum Theil lag das in der schlechten Geschäftsordnung,
aber es stand ja frei diese zu verbessern. An guter Gesinnung hat es keines¬
wegs gefehlt, einzelne Reden von Vincke, Carlowitz u. s. w. waren stark ge¬
nug; aber es fehlte an Ausdauer. Die öffentliche Meinung bringt im eng¬
lischen Parlament dadurch etwas hervor, daß sie mit gespannter Aufmerksam¬
keit jeden Schritt der Regierung verfolgt, daß sie täglich dem Ministerium zu Leibe
geht, täglich ihre Mahnungen wiederholt; die preußischen Abgeordneten dage¬
gen glaubten ihre Pflicht gethan zu haben, wenn sie sich ein oder zweimal im
Lauf der Session aussprachen. Während die wichtigsten Verhandlungen geführt
wurden, schien die deutsche Frage im Hause der Abgeordneten völlig eingeschla¬
fen zu sein. Hier kann auch das Verhältniß zum Ministerium nichts zur Ent¬
schuldigung beitragen, denn jedes ernsthafte Drängen von Seiten der Abgeord¬
neten verstärkt die Stellung der preußischen Minister in Deutschland, und auf die
Nervosität eines Einzelnen kann doch keine Rücksicht genommen werden! Der
Grund lag tiefer. Das Interesse für die deutsche Frage ist wol da, aber im
Ganzen noch nicht viel stärker als das Interesse für Italien oder für Amerika;


das Recht. Die Folgen für das Vaterland müssen aber allerdings in Erwä¬
gung gezogen werden, ehe man sich entschließt. Wenn die Regierung sich auf
das Herrenhaus stützt, so wird sie notwendigerweise versuchen müssen, das
Haus der Abgeordneten in dieselbe Richtung zu treiben-, und ob der Erfolg
eines solchen Unternehmens undenkbar ist, darüber wird man zweifelhaft,
wenn nur an die Wahlen von 1855 denkt, an denen sich doch die „demo¬
kratische Partei" bereits bechelligte. Es würde vmeilig sei», aus der Stim¬
mung in Berlin ohne Weiteres auf die Stimmung der Provinzen zu
schließen.

Noch einmal: es kann einen Zeitpunkt geben, wo man auf alle Gefahr hin
die Rolle der reinen Opposition übernimmt; daß der unter dem Einfluß einer all¬
gemeinen Begeisterung für das neue Ministerium erwählte Landtag diese Rolle
nicht übernehmen konnte, darf ihm Niemand zum Borwurf machen. Daß
in den Reihen der Abgeordneten sich keine Staatsmänner gezeigt haben ist ein
Unglück, aber auch kein Vorwurf. Wo sind sie? — Die alten Namen, sagt
man, sind verbraucht, aber neue sind keine hervorgetreten. Die Demokraten
haben den Vortheil, seit zwölf Jahren von der Bühne verschwunden zu sein,
was aber von Zeit zu Zeit aus jener Seite aufgetaucht ist — man denke an
Roobertus u. s. w. — gibt auch keine glänzende Aussicht. Es ist ein gro¬
ßes Unglück für Deutschland, grade im gegenwärtigen Augenblick an großen
Kräften, an starken Naturen so arm zu sein; aber der Natur kann man nicht
gebieten, man wird es mit mittelmäßigen versuchen müssen.

Wichtiger ist ein zweiter Vorwurf gegen die bisherige Majorität: sie hat
für die eigentliche Aufgabe Preußens d. h. für seine deutsche Politik, sehr we¬
nig Sinn gezeigt. Zum Theil lag das in der schlechten Geschäftsordnung,
aber es stand ja frei diese zu verbessern. An guter Gesinnung hat es keines¬
wegs gefehlt, einzelne Reden von Vincke, Carlowitz u. s. w. waren stark ge¬
nug; aber es fehlte an Ausdauer. Die öffentliche Meinung bringt im eng¬
lischen Parlament dadurch etwas hervor, daß sie mit gespannter Aufmerksam¬
keit jeden Schritt der Regierung verfolgt, daß sie täglich dem Ministerium zu Leibe
geht, täglich ihre Mahnungen wiederholt; die preußischen Abgeordneten dage¬
gen glaubten ihre Pflicht gethan zu haben, wenn sie sich ein oder zweimal im
Lauf der Session aussprachen. Während die wichtigsten Verhandlungen geführt
wurden, schien die deutsche Frage im Hause der Abgeordneten völlig eingeschla¬
fen zu sein. Hier kann auch das Verhältniß zum Ministerium nichts zur Ent¬
schuldigung beitragen, denn jedes ernsthafte Drängen von Seiten der Abgeord¬
neten verstärkt die Stellung der preußischen Minister in Deutschland, und auf die
Nervosität eines Einzelnen kann doch keine Rücksicht genommen werden! Der
Grund lag tiefer. Das Interesse für die deutsche Frage ist wol da, aber im
Ganzen noch nicht viel stärker als das Interesse für Italien oder für Amerika;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/464>, abgerufen am 25.08.2024.