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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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und Vervollständigungen nur gemeinsam vorzunehmen, so hat doch die Aus¬
führung einer solchen gemeinsamen Arbeit auf alle Fülle leicht Hindernisse zu
erfahren und etwas ungemein Schwerfälliges. Bei einer mehr als dreißig-
fachcn Auslegung des Gesetzbuches werden sich voraussichtlich so viele abwei¬
chende Meinungen, wirkliche oder gesuchte Dunkelheiten, Unzuträglichkeiten.
unausführbare Konsequenzen u. tgi. finden, daß eine Gesetzgebungsconserenz
in permanenten Sitzungen genug zu thun haben wird, die Rechtsuugleichheiten
der Praxis wieder gleich zu machen. Dies würde vollständig vermieden, wenn
eine gemeinsame höchste Instanz die einheitliche Auslegung verträte und da¬
durch den einheitlichen Geist der gesammten Handelsrechrspflege sicherte. Man
würde alsdann nur da noch zu gemeinsamer Gesetzgebungsarbeit zu greifen
brauchen, wo es geradezu die Abschaffung bestehender, oder die Aufstellung
noch ganz fehlender Rechtssätze gilt. Und darin läge offenbar ein bedeutend prak¬
tischer und sachlicher Vortheil. Die Constituirung eines gemeinsamen deutschen
Gerichtshofes kann aber gewiß nicht zu den politischen Problemen und Un¬
möglichkeiten gerechnet werden. Gleichwol schweigt davon der Antrag des
Bundestags ganz und gar. Um so mehr ist es Pflicht, diesen Punkt hervor¬
zuheben.

Daß ein gemeinsames Gericht bestehen könnte, selbst unter den gegen¬
wärtigen politischen Verhältnissen, d. h. unbeschadet der Souveränetät der
Einzelstaaten, lehren mehrere der höchsten Gerichtshöfe Deutschlands. Was
im kleinen Kreise möglich ist, kann auch im großen bei gutem Willen nicht
unmöglich sein. Gewiß ist nach den vorliegenden Proben, daß dadurch die
Güte der Rechtssprechung nicht leidet. Das Oberappellationsgericht in Lübek
nimmt, vornehmlich in Handelssachen, wenn auch nicht allein in diesen, ehren
Nang ein, um den dasselbe fast alle anderen höchsten Tribunale beneiden dür¬
fen. Das Wohlthuende seiner Entscheidungen, welche mit voller wissenschaft¬
licher Kenntniß Lebenserfahrung und Billigkeit vereinigen, muß Jeder empfin¬
den, der in der Praxis der höchsten Gerichte Vergleiche zieht. Solchen Geist
Möchten wir dem deutschen obersten Handelsgericht. -- wenn es nicht selbst
E. ein Phantasiebild bleibt. -- wünschen.




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und Vervollständigungen nur gemeinsam vorzunehmen, so hat doch die Aus¬
führung einer solchen gemeinsamen Arbeit auf alle Fülle leicht Hindernisse zu
erfahren und etwas ungemein Schwerfälliges. Bei einer mehr als dreißig-
fachcn Auslegung des Gesetzbuches werden sich voraussichtlich so viele abwei¬
chende Meinungen, wirkliche oder gesuchte Dunkelheiten, Unzuträglichkeiten.
unausführbare Konsequenzen u. tgi. finden, daß eine Gesetzgebungsconserenz
in permanenten Sitzungen genug zu thun haben wird, die Rechtsuugleichheiten
der Praxis wieder gleich zu machen. Dies würde vollständig vermieden, wenn
eine gemeinsame höchste Instanz die einheitliche Auslegung verträte und da¬
durch den einheitlichen Geist der gesammten Handelsrechrspflege sicherte. Man
würde alsdann nur da noch zu gemeinsamer Gesetzgebungsarbeit zu greifen
brauchen, wo es geradezu die Abschaffung bestehender, oder die Aufstellung
noch ganz fehlender Rechtssätze gilt. Und darin läge offenbar ein bedeutend prak¬
tischer und sachlicher Vortheil. Die Constituirung eines gemeinsamen deutschen
Gerichtshofes kann aber gewiß nicht zu den politischen Problemen und Un¬
möglichkeiten gerechnet werden. Gleichwol schweigt davon der Antrag des
Bundestags ganz und gar. Um so mehr ist es Pflicht, diesen Punkt hervor¬
zuheben.

Daß ein gemeinsames Gericht bestehen könnte, selbst unter den gegen¬
wärtigen politischen Verhältnissen, d. h. unbeschadet der Souveränetät der
Einzelstaaten, lehren mehrere der höchsten Gerichtshöfe Deutschlands. Was
im kleinen Kreise möglich ist, kann auch im großen bei gutem Willen nicht
unmöglich sein. Gewiß ist nach den vorliegenden Proben, daß dadurch die
Güte der Rechtssprechung nicht leidet. Das Oberappellationsgericht in Lübek
nimmt, vornehmlich in Handelssachen, wenn auch nicht allein in diesen, ehren
Nang ein, um den dasselbe fast alle anderen höchsten Tribunale beneiden dür¬
fen. Das Wohlthuende seiner Entscheidungen, welche mit voller wissenschaft¬
licher Kenntniß Lebenserfahrung und Billigkeit vereinigen, muß Jeder empfin¬
den, der in der Praxis der höchsten Gerichte Vergleiche zieht. Solchen Geist
Möchten wir dem deutschen obersten Handelsgericht. — wenn es nicht selbst
E. ein Phantasiebild bleibt. — wünschen.




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[0461] und Vervollständigungen nur gemeinsam vorzunehmen, so hat doch die Aus¬ führung einer solchen gemeinsamen Arbeit auf alle Fülle leicht Hindernisse zu erfahren und etwas ungemein Schwerfälliges. Bei einer mehr als dreißig- fachcn Auslegung des Gesetzbuches werden sich voraussichtlich so viele abwei¬ chende Meinungen, wirkliche oder gesuchte Dunkelheiten, Unzuträglichkeiten. unausführbare Konsequenzen u. tgi. finden, daß eine Gesetzgebungsconserenz in permanenten Sitzungen genug zu thun haben wird, die Rechtsuugleichheiten der Praxis wieder gleich zu machen. Dies würde vollständig vermieden, wenn eine gemeinsame höchste Instanz die einheitliche Auslegung verträte und da¬ durch den einheitlichen Geist der gesammten Handelsrechrspflege sicherte. Man würde alsdann nur da noch zu gemeinsamer Gesetzgebungsarbeit zu greifen brauchen, wo es geradezu die Abschaffung bestehender, oder die Aufstellung noch ganz fehlender Rechtssätze gilt. Und darin läge offenbar ein bedeutend prak¬ tischer und sachlicher Vortheil. Die Constituirung eines gemeinsamen deutschen Gerichtshofes kann aber gewiß nicht zu den politischen Problemen und Un¬ möglichkeiten gerechnet werden. Gleichwol schweigt davon der Antrag des Bundestags ganz und gar. Um so mehr ist es Pflicht, diesen Punkt hervor¬ zuheben. Daß ein gemeinsames Gericht bestehen könnte, selbst unter den gegen¬ wärtigen politischen Verhältnissen, d. h. unbeschadet der Souveränetät der Einzelstaaten, lehren mehrere der höchsten Gerichtshöfe Deutschlands. Was im kleinen Kreise möglich ist, kann auch im großen bei gutem Willen nicht unmöglich sein. Gewiß ist nach den vorliegenden Proben, daß dadurch die Güte der Rechtssprechung nicht leidet. Das Oberappellationsgericht in Lübek nimmt, vornehmlich in Handelssachen, wenn auch nicht allein in diesen, ehren Nang ein, um den dasselbe fast alle anderen höchsten Tribunale beneiden dür¬ fen. Das Wohlthuende seiner Entscheidungen, welche mit voller wissenschaft¬ licher Kenntniß Lebenserfahrung und Billigkeit vereinigen, muß Jeder empfin¬ den, der in der Praxis der höchsten Gerichte Vergleiche zieht. Solchen Geist Möchten wir dem deutschen obersten Handelsgericht. — wenn es nicht selbst E. ein Phantasiebild bleibt. — wünschen. 57*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/461>, abgerufen am 25.08.2024.