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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Die Einführung des deutscheu Handelsgesetzbuchs.

Nach mehr als vierjähriger Arbeit hat die Konferenz zu Nürnberg die
Ausarbeitung eines deutschen Handelsgesetzbuchs vollendet. Große Erwar-
tungen knüpfen sich an dieses Werk, sowol wissenschaftliche, wie materielle und
politische. In einer Zeit, die nach so viel Worten endlich auch Thaten der
deutschen Einheit sehen möchte, scheint hier wenigstens einmal eine solche That
nahe herangerückt. Mit diesem nationalen Wunsch geht das Interesse des
Handels Hand in Hand; oder vielmehr das letztere gibt dem Drängen nach
einheitlicher Rechtserschaffung die reale Grundlage.

Daß der Handel eines zuverlässigen Rechtsschutzes bedarf, braucht nicht
von Neuem ausgeführt zu werden. Rechtssicherheit ist die Lebenslust des Han¬
dels und des Credit's. Wo der Austausch der Güter und Werthe längst, selbst
bis zu dem Kleinverkehr herab, nicht mehr in die engen Grenzen deutscher
Fürstenthümer und Königreiche zu bannen ist. fällt die Rechtssicherheit mit
der Rechtsgleichheit zusammen. Den bisherige" Rechtszustand sämmtlicher Einzel¬
länder zu übersehen, war kaum dem kundigsten Fachmann, geschweige den Ge¬
schäftsleuten möglich. Gebieterisch fordert der deutsche Handel, und nicht bloß
dieser, sondern auch der internationale Verkehr den bestimmten Ausdruck des-
sen, was in Dingen des Verkehrs Rechtens sei.

Als die Regierungen dem dringenden Verlangen nach-, oder wenn man
will entgegenkamen, hatte man zum Glück einen Präjudizfall, und Kwar
aus der Periode von 1848. Die Wechselrechtsconferenz hatte die deutsche
Wechselordnung berathen, bevor die Centralgewalt, welcher die Publication von
dem Schicksal vorbehalten war, existirte. Man wird dem Einfluß dieses
Präjudizsalls einige Wichtigkeit beimessen und das Zustandekommen der
Handelsrechtsconserenz nicht allein dem, freilich allerstärksten Einfluß der ma¬
teriellen Interessen, zuschreiben, wenn man sieht, daß kaum minderstarke Inter¬
essen. wie im Zoll-, Eisenbahn-, Telegraphen-, Gewerbewesen, keineswegs
bis jetzt genügten, um auch in andern Zweigen Schritte zu einer einheitlichen
Gesetzgebung anzuregen.

So weit wir noch von det Erfüllung billigster Wünsche in Bezug auf
Gleichheit des Maaßes, der Münze, des Rechts u. s. w. entfernt sind, so gern
wollen wir einstweilen das gemeinsame Handelsrecht als Abschlagszahlung
annehmen. Fast scheint es, als sollte die Nation für die Erfolglosigkeit der
Einheitsbestrebungen in unmittelbar staatlichen Dingen hier einigermaßen ent-
schädigt werden. Dieselben Regierungen, an deren eifersüchtigen Souve-
ränetätsbewußtsein bislang jeder Plan auf einheitliche Gestaltung des Heer-
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Die Einführung des deutscheu Handelsgesetzbuchs.

Nach mehr als vierjähriger Arbeit hat die Konferenz zu Nürnberg die
Ausarbeitung eines deutschen Handelsgesetzbuchs vollendet. Große Erwar-
tungen knüpfen sich an dieses Werk, sowol wissenschaftliche, wie materielle und
politische. In einer Zeit, die nach so viel Worten endlich auch Thaten der
deutschen Einheit sehen möchte, scheint hier wenigstens einmal eine solche That
nahe herangerückt. Mit diesem nationalen Wunsch geht das Interesse des
Handels Hand in Hand; oder vielmehr das letztere gibt dem Drängen nach
einheitlicher Rechtserschaffung die reale Grundlage.

Daß der Handel eines zuverlässigen Rechtsschutzes bedarf, braucht nicht
von Neuem ausgeführt zu werden. Rechtssicherheit ist die Lebenslust des Han¬
dels und des Credit's. Wo der Austausch der Güter und Werthe längst, selbst
bis zu dem Kleinverkehr herab, nicht mehr in die engen Grenzen deutscher
Fürstenthümer und Königreiche zu bannen ist. fällt die Rechtssicherheit mit
der Rechtsgleichheit zusammen. Den bisherige» Rechtszustand sämmtlicher Einzel¬
länder zu übersehen, war kaum dem kundigsten Fachmann, geschweige den Ge¬
schäftsleuten möglich. Gebieterisch fordert der deutsche Handel, und nicht bloß
dieser, sondern auch der internationale Verkehr den bestimmten Ausdruck des-
sen, was in Dingen des Verkehrs Rechtens sei.

Als die Regierungen dem dringenden Verlangen nach-, oder wenn man
will entgegenkamen, hatte man zum Glück einen Präjudizfall, und Kwar
aus der Periode von 1848. Die Wechselrechtsconferenz hatte die deutsche
Wechselordnung berathen, bevor die Centralgewalt, welcher die Publication von
dem Schicksal vorbehalten war, existirte. Man wird dem Einfluß dieses
Präjudizsalls einige Wichtigkeit beimessen und das Zustandekommen der
Handelsrechtsconserenz nicht allein dem, freilich allerstärksten Einfluß der ma¬
teriellen Interessen, zuschreiben, wenn man sieht, daß kaum minderstarke Inter¬
essen. wie im Zoll-, Eisenbahn-, Telegraphen-, Gewerbewesen, keineswegs
bis jetzt genügten, um auch in andern Zweigen Schritte zu einer einheitlichen
Gesetzgebung anzuregen.

So weit wir noch von det Erfüllung billigster Wünsche in Bezug auf
Gleichheit des Maaßes, der Münze, des Rechts u. s. w. entfernt sind, so gern
wollen wir einstweilen das gemeinsame Handelsrecht als Abschlagszahlung
annehmen. Fast scheint es, als sollte die Nation für die Erfolglosigkeit der
Einheitsbestrebungen in unmittelbar staatlichen Dingen hier einigermaßen ent-
schädigt werden. Dieselben Regierungen, an deren eifersüchtigen Souve-
ränetätsbewußtsein bislang jeder Plan auf einheitliche Gestaltung des Heer-
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[0453] Die Einführung des deutscheu Handelsgesetzbuchs. Nach mehr als vierjähriger Arbeit hat die Konferenz zu Nürnberg die Ausarbeitung eines deutschen Handelsgesetzbuchs vollendet. Große Erwar- tungen knüpfen sich an dieses Werk, sowol wissenschaftliche, wie materielle und politische. In einer Zeit, die nach so viel Worten endlich auch Thaten der deutschen Einheit sehen möchte, scheint hier wenigstens einmal eine solche That nahe herangerückt. Mit diesem nationalen Wunsch geht das Interesse des Handels Hand in Hand; oder vielmehr das letztere gibt dem Drängen nach einheitlicher Rechtserschaffung die reale Grundlage. Daß der Handel eines zuverlässigen Rechtsschutzes bedarf, braucht nicht von Neuem ausgeführt zu werden. Rechtssicherheit ist die Lebenslust des Han¬ dels und des Credit's. Wo der Austausch der Güter und Werthe längst, selbst bis zu dem Kleinverkehr herab, nicht mehr in die engen Grenzen deutscher Fürstenthümer und Königreiche zu bannen ist. fällt die Rechtssicherheit mit der Rechtsgleichheit zusammen. Den bisherige» Rechtszustand sämmtlicher Einzel¬ länder zu übersehen, war kaum dem kundigsten Fachmann, geschweige den Ge¬ schäftsleuten möglich. Gebieterisch fordert der deutsche Handel, und nicht bloß dieser, sondern auch der internationale Verkehr den bestimmten Ausdruck des- sen, was in Dingen des Verkehrs Rechtens sei. Als die Regierungen dem dringenden Verlangen nach-, oder wenn man will entgegenkamen, hatte man zum Glück einen Präjudizfall, und Kwar aus der Periode von 1848. Die Wechselrechtsconferenz hatte die deutsche Wechselordnung berathen, bevor die Centralgewalt, welcher die Publication von dem Schicksal vorbehalten war, existirte. Man wird dem Einfluß dieses Präjudizsalls einige Wichtigkeit beimessen und das Zustandekommen der Handelsrechtsconserenz nicht allein dem, freilich allerstärksten Einfluß der ma¬ teriellen Interessen, zuschreiben, wenn man sieht, daß kaum minderstarke Inter¬ essen. wie im Zoll-, Eisenbahn-, Telegraphen-, Gewerbewesen, keineswegs bis jetzt genügten, um auch in andern Zweigen Schritte zu einer einheitlichen Gesetzgebung anzuregen. So weit wir noch von det Erfüllung billigster Wünsche in Bezug auf Gleichheit des Maaßes, der Münze, des Rechts u. s. w. entfernt sind, so gern wollen wir einstweilen das gemeinsame Handelsrecht als Abschlagszahlung annehmen. Fast scheint es, als sollte die Nation für die Erfolglosigkeit der Einheitsbestrebungen in unmittelbar staatlichen Dingen hier einigermaßen ent- schädigt werden. Dieselben Regierungen, an deren eifersüchtigen Souve- ränetätsbewußtsein bislang jeder Plan auf einheitliche Gestaltung des Heer- * 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/453>, abgerufen am 22.07.2024.