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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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ders gewesen, und ich erfuhr jetzt von ihm einen Theil seiner Lebensgeschichte.
Er war Venetianer. hatte in der östreichischen Armee gedient, sich in der Lage
gesehen, unter Umständen gegen Landsleute kämpfen zu müssen, darum seinen
Abschied verlangt und erhalten, und befand sich jetzt auf dem Wege in's La¬
ger Garibaldi's. wo allen italienischen Offizieren des östreichischen Heeres gute
Aussichten eröffnet waren. Er sprach von den Oestreichern und ihrer Armee
mit Achtung, was mir um so mehr gefiel, als andere Bekanntschaften das
Gegentheil gethan hatten.

"Es bedarf Zeit und Geschick", sagte er, "eine solche neue Armee soweit
zu bringen, daß sie einer alten nur einigermaßen ähnlich sieht. Besonders
sie zusammenzuhalten, scheint schwer zu sein. Was ich höre und was wir
hier sehen." fügte er mit einem Blick auf die singend herumschlendernden
Rotbhemden hinzu, "zeigt, daß es eben nicht an Marodeuren fehlt." --
"Gesindel gibt's leider in allen Armeen", entgegnete ich. ""Allerdings, und
oft in großem Maßstabe, doch kann man hier eigentlich nicht behaupten, daß
die Ausreißer die Armee verlassen. Die Leute desertiren nur aus der einen
Division oder Brigade in die andere,"" -- Ich sah ihn zweifelnd an. "Es ist
Thatsache", sagte er. "Einer von meinen Freunden hat jetzt, da keine Com¬
pagnie zu bekommen war. ein Depot übernommen. Er versucht von den an¬
kommenden Freiwilligen so viel Leute wie möglich für die Brigade zu ge¬
winnen, und bekleidet sie mit dem, was er hat. mitunter vollständig, mit¬
unter auch nicht. Nun kann die Einkleidung doch nicht auf ein Mal gesche¬
hen, und das Warten ist langweilig. Die. welche fertig sind, verlangen also
Urlaub. Er wird verweigert. "Wir sind aber doch Freiwillige und keine an¬
geworbenen Soldaten," wird erwidert. Was thun? Halten kann er sie nicht --
Auskleiden ist auch eine üble Sache. So beurlaubt er sie auf, Treu und
Glauben für ein paar Stunden. Die Ehrlichen kehren zurück, Biele aber
bleiben weg. verkaufen ihre Montur und wiederholen dasselbe Verfahren bei
einer andern Brigade. Unter den Brigaden, die im Felde liegen, wird dasselbe
Spiel getrieben. Man ertappt gelegentlich einige aus Zufall, die meiste"
gehen frei aus. So ist mein Freund, um die Beurlaubung zu vermeiden,
auf die Idee gekommen, die schon Eingekleideten mit Kaffee und Zubehör
bewirthen zu lassen u. s. w." "--

Ich bat ihn jetzt, mir zu sagen, wer jene Herren seien, die eben in run¬
den breitkrämpigen Hüten, um welche goldene Schnüre mit Troddeln prangten,
'n schwarzen, anschließenden kurzen Leibröcken, die Beinkleider in einen halb¬
hohen Stiefel gesteckt, um den Leib einen Ledergürtel mit einem Dolch oder
Hirschfänger, an uns vorüberschritten.

"Es sind Garibaldi's Priester. Er hat ja," fügte er bei, ..ein ganzes
Bataillon solcher wunderlicher Heiligen."


Grenzboten II. 1861. no

ders gewesen, und ich erfuhr jetzt von ihm einen Theil seiner Lebensgeschichte.
Er war Venetianer. hatte in der östreichischen Armee gedient, sich in der Lage
gesehen, unter Umständen gegen Landsleute kämpfen zu müssen, darum seinen
Abschied verlangt und erhalten, und befand sich jetzt auf dem Wege in's La¬
ger Garibaldi's. wo allen italienischen Offizieren des östreichischen Heeres gute
Aussichten eröffnet waren. Er sprach von den Oestreichern und ihrer Armee
mit Achtung, was mir um so mehr gefiel, als andere Bekanntschaften das
Gegentheil gethan hatten.

„Es bedarf Zeit und Geschick", sagte er, „eine solche neue Armee soweit
zu bringen, daß sie einer alten nur einigermaßen ähnlich sieht. Besonders
sie zusammenzuhalten, scheint schwer zu sein. Was ich höre und was wir
hier sehen." fügte er mit einem Blick auf die singend herumschlendernden
Rotbhemden hinzu, „zeigt, daß es eben nicht an Marodeuren fehlt." —
„Gesindel gibt's leider in allen Armeen", entgegnete ich. „„Allerdings, und
oft in großem Maßstabe, doch kann man hier eigentlich nicht behaupten, daß
die Ausreißer die Armee verlassen. Die Leute desertiren nur aus der einen
Division oder Brigade in die andere,"" — Ich sah ihn zweifelnd an. „Es ist
Thatsache", sagte er. „Einer von meinen Freunden hat jetzt, da keine Com¬
pagnie zu bekommen war. ein Depot übernommen. Er versucht von den an¬
kommenden Freiwilligen so viel Leute wie möglich für die Brigade zu ge¬
winnen, und bekleidet sie mit dem, was er hat. mitunter vollständig, mit¬
unter auch nicht. Nun kann die Einkleidung doch nicht auf ein Mal gesche¬
hen, und das Warten ist langweilig. Die. welche fertig sind, verlangen also
Urlaub. Er wird verweigert. „Wir sind aber doch Freiwillige und keine an¬
geworbenen Soldaten," wird erwidert. Was thun? Halten kann er sie nicht —
Auskleiden ist auch eine üble Sache. So beurlaubt er sie auf, Treu und
Glauben für ein paar Stunden. Die Ehrlichen kehren zurück, Biele aber
bleiben weg. verkaufen ihre Montur und wiederholen dasselbe Verfahren bei
einer andern Brigade. Unter den Brigaden, die im Felde liegen, wird dasselbe
Spiel getrieben. Man ertappt gelegentlich einige aus Zufall, die meiste»
gehen frei aus. So ist mein Freund, um die Beurlaubung zu vermeiden,
auf die Idee gekommen, die schon Eingekleideten mit Kaffee und Zubehör
bewirthen zu lassen u. s. w." "--

Ich bat ihn jetzt, mir zu sagen, wer jene Herren seien, die eben in run¬
den breitkrämpigen Hüten, um welche goldene Schnüre mit Troddeln prangten,
'n schwarzen, anschließenden kurzen Leibröcken, die Beinkleider in einen halb¬
hohen Stiefel gesteckt, um den Leib einen Ledergürtel mit einem Dolch oder
Hirschfänger, an uns vorüberschritten.

„Es sind Garibaldi's Priester. Er hat ja," fügte er bei, ..ein ganzes
Bataillon solcher wunderlicher Heiligen."


Grenzboten II. 1861. no
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/403>, abgerufen am 24.08.2024.