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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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lange dauernde Verfolgung zu überstehen. Czar Michael Feodorow itsch, vom
Patriarchen auf den Bibelspruch aufmerksam gemacht, nach welchen, was aus
dem Munde ausgehet, Sünde ist, verbot seinen Unterthanen den Tabaksgenuß
bei grausamen Strafen. Raucher bekamen die Knute und wurden verbannt.
Schimpfern schlitzte man die Nasenflügel aus. Allein schon unter Peter dem Gro¬
ßen, der für ein Geschenk von hunderttausend Thalern englischen Kaufleuten die
Einfuhr von Tabak gestattete und zugleich die Verbote seiner Vorgänger auf
dem Thron aushob, verbreitete sich das Tabnkruuchen über ganz Nußland, und
Peter der Dritte hielt im Schloß Oranienbaum Gelage, bei denen ebenso ge¬
waltig geschmaucht wurde wie früher im berliner Tabakscollegium. Nur die
Raskolmken (Altgläubige), hie allerdings fast die Hälfte der russischen Bauerir
zu sich zählen, verschmähen sowol Pfeife als Dose, indeß bloß deshalb, weil
sie. wie die von ihnen ebenfalls gehaßte Straßcnpflasterung, Neuerungen eines
Zeitalters find, das von ihnen als das Reich des Antichrist's angesehen wird.

Mit der größten Leidenschaft gaben sich die Türken. Geistesverwandte der
indianischen Rothhäute, dem neuen Gebrauch hin, der bei ihnen raker Achmed
dem Ersten auskam, aber unter ihnen fand derselbe auch die meisten Märtyrer.
Wie die osmanischen Dichter Tabak. Kaffee, Opium und Wein als die vier
Elemente des Vergnügens und als die "Polster des Genusses" priesen, so
schilderten die geistlichen Ausleger des Koran dieselben als die "Säulen des
Zeltes der Wollust" und als die "vier Wessire des Ibus." Mehre Sultane
schlössen sich der letzteren Auffassung an, erließen Verbote gegen den Tabak und
straften die Uebertretung derselben auf das Grausamste. Wer mit der Pfeife ge>
getroffen wurde, dem durchstach man die Nase, zog durch die Oeffnung das Pfeifen¬
rohr und führte ihn so geschändet aus einem Esel durch die Straßen Konstantinopels.
Ganz besonders grimmig wüthete Murad der Vierte gegen die Raucher. Doch waren
es nicht religiöse Gründe, die diesen Tyrannen dazu veranlaßten, und ebenso¬
wenig fühlte er sich durch die Feuersgefahr dazu bewogen, mit welcher Tau¬
sende von brennenden Pfeifen und Schwammstücken eine fast durchweg aus
Holz gebaute Stadt wie Stambul bedrohen. Die schreckliche Feuersbrunst,
welche 1633 die Stadt verheerte, gab nur den Vorwand zu der großen
Verfolgung, welche bald nachher gegen alle Tabaktrinker und Kaffcehausbe-
sucher losbrach. In Wahrheit wollte man damit nur die Unzufriedenen
schrecken, die sich bei Findjan und Tschibbuk in den Kaffeehäusern versammel¬
ten. Letztere wurden geschlossen, jeder, der mit einer Pfeife getroffen wurde,
war ein Kind des Todes. Sogar die Soldaten waren von diesem Verfahren
nicht ausgenommen, und Hunderte von ihnen wurden erdrosselt, geköpft und
gepfählt. Fast jeden Morgen sand man in den Straßen Leichen, welche
Kunde gaben von den nächtlichen Strafgerichten, die der blutige Padischa
mit seinen Henkersknechten an den von ihm Ertappten vollziehen ließ.


lange dauernde Verfolgung zu überstehen. Czar Michael Feodorow itsch, vom
Patriarchen auf den Bibelspruch aufmerksam gemacht, nach welchen, was aus
dem Munde ausgehet, Sünde ist, verbot seinen Unterthanen den Tabaksgenuß
bei grausamen Strafen. Raucher bekamen die Knute und wurden verbannt.
Schimpfern schlitzte man die Nasenflügel aus. Allein schon unter Peter dem Gro¬
ßen, der für ein Geschenk von hunderttausend Thalern englischen Kaufleuten die
Einfuhr von Tabak gestattete und zugleich die Verbote seiner Vorgänger auf
dem Thron aushob, verbreitete sich das Tabnkruuchen über ganz Nußland, und
Peter der Dritte hielt im Schloß Oranienbaum Gelage, bei denen ebenso ge¬
waltig geschmaucht wurde wie früher im berliner Tabakscollegium. Nur die
Raskolmken (Altgläubige), hie allerdings fast die Hälfte der russischen Bauerir
zu sich zählen, verschmähen sowol Pfeife als Dose, indeß bloß deshalb, weil
sie. wie die von ihnen ebenfalls gehaßte Straßcnpflasterung, Neuerungen eines
Zeitalters find, das von ihnen als das Reich des Antichrist's angesehen wird.

Mit der größten Leidenschaft gaben sich die Türken. Geistesverwandte der
indianischen Rothhäute, dem neuen Gebrauch hin, der bei ihnen raker Achmed
dem Ersten auskam, aber unter ihnen fand derselbe auch die meisten Märtyrer.
Wie die osmanischen Dichter Tabak. Kaffee, Opium und Wein als die vier
Elemente des Vergnügens und als die „Polster des Genusses" priesen, so
schilderten die geistlichen Ausleger des Koran dieselben als die „Säulen des
Zeltes der Wollust" und als die „vier Wessire des Ibus." Mehre Sultane
schlössen sich der letzteren Auffassung an, erließen Verbote gegen den Tabak und
straften die Uebertretung derselben auf das Grausamste. Wer mit der Pfeife ge>
getroffen wurde, dem durchstach man die Nase, zog durch die Oeffnung das Pfeifen¬
rohr und führte ihn so geschändet aus einem Esel durch die Straßen Konstantinopels.
Ganz besonders grimmig wüthete Murad der Vierte gegen die Raucher. Doch waren
es nicht religiöse Gründe, die diesen Tyrannen dazu veranlaßten, und ebenso¬
wenig fühlte er sich durch die Feuersgefahr dazu bewogen, mit welcher Tau¬
sende von brennenden Pfeifen und Schwammstücken eine fast durchweg aus
Holz gebaute Stadt wie Stambul bedrohen. Die schreckliche Feuersbrunst,
welche 1633 die Stadt verheerte, gab nur den Vorwand zu der großen
Verfolgung, welche bald nachher gegen alle Tabaktrinker und Kaffcehausbe-
sucher losbrach. In Wahrheit wollte man damit nur die Unzufriedenen
schrecken, die sich bei Findjan und Tschibbuk in den Kaffeehäusern versammel¬
ten. Letztere wurden geschlossen, jeder, der mit einer Pfeife getroffen wurde,
war ein Kind des Todes. Sogar die Soldaten waren von diesem Verfahren
nicht ausgenommen, und Hunderte von ihnen wurden erdrosselt, geköpft und
gepfählt. Fast jeden Morgen sand man in den Straßen Leichen, welche
Kunde gaben von den nächtlichen Strafgerichten, die der blutige Padischa
mit seinen Henkersknechten an den von ihm Ertappten vollziehen ließ.


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[0390] lange dauernde Verfolgung zu überstehen. Czar Michael Feodorow itsch, vom Patriarchen auf den Bibelspruch aufmerksam gemacht, nach welchen, was aus dem Munde ausgehet, Sünde ist, verbot seinen Unterthanen den Tabaksgenuß bei grausamen Strafen. Raucher bekamen die Knute und wurden verbannt. Schimpfern schlitzte man die Nasenflügel aus. Allein schon unter Peter dem Gro¬ ßen, der für ein Geschenk von hunderttausend Thalern englischen Kaufleuten die Einfuhr von Tabak gestattete und zugleich die Verbote seiner Vorgänger auf dem Thron aushob, verbreitete sich das Tabnkruuchen über ganz Nußland, und Peter der Dritte hielt im Schloß Oranienbaum Gelage, bei denen ebenso ge¬ waltig geschmaucht wurde wie früher im berliner Tabakscollegium. Nur die Raskolmken (Altgläubige), hie allerdings fast die Hälfte der russischen Bauerir zu sich zählen, verschmähen sowol Pfeife als Dose, indeß bloß deshalb, weil sie. wie die von ihnen ebenfalls gehaßte Straßcnpflasterung, Neuerungen eines Zeitalters find, das von ihnen als das Reich des Antichrist's angesehen wird. Mit der größten Leidenschaft gaben sich die Türken. Geistesverwandte der indianischen Rothhäute, dem neuen Gebrauch hin, der bei ihnen raker Achmed dem Ersten auskam, aber unter ihnen fand derselbe auch die meisten Märtyrer. Wie die osmanischen Dichter Tabak. Kaffee, Opium und Wein als die vier Elemente des Vergnügens und als die „Polster des Genusses" priesen, so schilderten die geistlichen Ausleger des Koran dieselben als die „Säulen des Zeltes der Wollust" und als die „vier Wessire des Ibus." Mehre Sultane schlössen sich der letzteren Auffassung an, erließen Verbote gegen den Tabak und straften die Uebertretung derselben auf das Grausamste. Wer mit der Pfeife ge> getroffen wurde, dem durchstach man die Nase, zog durch die Oeffnung das Pfeifen¬ rohr und führte ihn so geschändet aus einem Esel durch die Straßen Konstantinopels. Ganz besonders grimmig wüthete Murad der Vierte gegen die Raucher. Doch waren es nicht religiöse Gründe, die diesen Tyrannen dazu veranlaßten, und ebenso¬ wenig fühlte er sich durch die Feuersgefahr dazu bewogen, mit welcher Tau¬ sende von brennenden Pfeifen und Schwammstücken eine fast durchweg aus Holz gebaute Stadt wie Stambul bedrohen. Die schreckliche Feuersbrunst, welche 1633 die Stadt verheerte, gab nur den Vorwand zu der großen Verfolgung, welche bald nachher gegen alle Tabaktrinker und Kaffcehausbe- sucher losbrach. In Wahrheit wollte man damit nur die Unzufriedenen schrecken, die sich bei Findjan und Tschibbuk in den Kaffeehäusern versammel¬ ten. Letztere wurden geschlossen, jeder, der mit einer Pfeife getroffen wurde, war ein Kind des Todes. Sogar die Soldaten waren von diesem Verfahren nicht ausgenommen, und Hunderte von ihnen wurden erdrosselt, geköpft und gepfählt. Fast jeden Morgen sand man in den Straßen Leichen, welche Kunde gaben von den nächtlichen Strafgerichten, die der blutige Padischa mit seinen Henkersknechten an den von ihm Ertappten vollziehen ließ.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/390>, abgerufen am 24.08.2024.