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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Wir entgegnen hierauf, daß Eisberge nicht blos bisweilen, sondern fast all¬
jährig, durch die Sommerhitze von den Eismassen der Polarsee losgethaut und
von Winden und Meeresströmungen fortgeführt, weit tiefer nach Süden, selbst bis
über den 50. Grad hinabtreiben, und daß mithin die Annahme. Pytheas sei im
Sommer auf Thule gewesen, die Wahrscheinlichkeit, daß er solche Eisberge
gesehen, nicht vermindert, sondern wesentlich erhöht. Referent selbst war wäh¬
rend einer achtwöchentlichen Reise über das atlantische Meer in den ersten
Wochen des Juli, wo sein Schiff sich zwischen den Hebriden und den Neu-
foundlandsbanken befand, wiederholt in Gefahr, denselben, die sich durch
dicke Nebel ankündigen, zu b"gegnen. und es ist bekannt, daß man den spur¬
losen Untergang mancher nach Amerika fahrenden Schiffe eben diesen nach
Süden herabfluthenden. oft inselgroßen Eisbergen zuschreibt. Geht ihre
Straße in der Regel nicht so weit östlich als die Shetlands-Jnseln, so ist kein
Grad. die Möglichkeit auszuschließen, daß anhaltende Weststürme sie ge¬
legentlich bis dahin geführt haben. So möchten wir uns die Meerlunge des
Pytheas weit eher als einen von'fluchenden Eisbrocken, Tangmassen, vielleicht
auch Quallen sowie von dichtem Nebel umgebenen Eisberg denken. Der
Reisende sah nur den Nebel, der weder Luft noch Wasser, und darunter den
wogenden Brei von Eisbrocken, der weder Wasser noch Land, nicht zu be¬
treten und nicht zu befahren war. Ein ächter nordatlantischer Nebel, der sich
fast mit der Hand greifen läßt, läßt sich, zumal wenn in ihm die Schatten
von Wellen und Schollen hin und her wallen, sehr wohl mit einer Qualle
oder Seelunge vergleichen.

Was die dritte von Ziegler für möglich gehaltene Erklärung des Phü-
nomens betrifft, welches Pytheas mit einer Meerlunge vergleicht, daß nämlich
die geronnene See, durch die man weder zu Fuß noch zu Schiff hindurch
konnte, vielleicht eine jener ungeheuern Tangwiesen gewesen sei, die man
zwischen den Azoren, den kanarischen Inseln und den Cap Verden antrifft,
so hat dieselbe noch weniger für sich als die Quallenhypothese. Allerdings
wurde von Columbus, der jene Fucusbanken (das sogenannte Sargassomeer)
westlich von den Azoren durchschifft, dieses seltsame Naturspiel eine geronnene
Flüssigkeit genannt, und das stimmt zu der n^/or" S<^"rr" recht wohl.
Aber diese Tangmassen finden sich nur zwischen den zuletzt genannten Inseln
sowie weiter südwestlich bei den Bahamas und Bermuden in solcher Dichtheit.
Man trifft Tang in Menge auch an den Küsten der Hebriden, der Orkrkeys.
der Shetlands-Jnseln und der Färber, nirgends aber so wie dort im tiefen
Süden, nirgends in solcher Ansammlung, daß auch nur entfernt die Meinung
entstehen könnte, man vermöge mit Schiffen nicht hindurch zu kommen.

Nehmen wir nun um, unser Verfasser habe bewiesen, was er sich mit
der ol'er angeführten Einschränkung zu beweisen vorgenommen, so hätten


Wir entgegnen hierauf, daß Eisberge nicht blos bisweilen, sondern fast all¬
jährig, durch die Sommerhitze von den Eismassen der Polarsee losgethaut und
von Winden und Meeresströmungen fortgeführt, weit tiefer nach Süden, selbst bis
über den 50. Grad hinabtreiben, und daß mithin die Annahme. Pytheas sei im
Sommer auf Thule gewesen, die Wahrscheinlichkeit, daß er solche Eisberge
gesehen, nicht vermindert, sondern wesentlich erhöht. Referent selbst war wäh¬
rend einer achtwöchentlichen Reise über das atlantische Meer in den ersten
Wochen des Juli, wo sein Schiff sich zwischen den Hebriden und den Neu-
foundlandsbanken befand, wiederholt in Gefahr, denselben, die sich durch
dicke Nebel ankündigen, zu b«gegnen. und es ist bekannt, daß man den spur¬
losen Untergang mancher nach Amerika fahrenden Schiffe eben diesen nach
Süden herabfluthenden. oft inselgroßen Eisbergen zuschreibt. Geht ihre
Straße in der Regel nicht so weit östlich als die Shetlands-Jnseln, so ist kein
Grad. die Möglichkeit auszuschließen, daß anhaltende Weststürme sie ge¬
legentlich bis dahin geführt haben. So möchten wir uns die Meerlunge des
Pytheas weit eher als einen von'fluchenden Eisbrocken, Tangmassen, vielleicht
auch Quallen sowie von dichtem Nebel umgebenen Eisberg denken. Der
Reisende sah nur den Nebel, der weder Luft noch Wasser, und darunter den
wogenden Brei von Eisbrocken, der weder Wasser noch Land, nicht zu be¬
treten und nicht zu befahren war. Ein ächter nordatlantischer Nebel, der sich
fast mit der Hand greifen läßt, läßt sich, zumal wenn in ihm die Schatten
von Wellen und Schollen hin und her wallen, sehr wohl mit einer Qualle
oder Seelunge vergleichen.

Was die dritte von Ziegler für möglich gehaltene Erklärung des Phü-
nomens betrifft, welches Pytheas mit einer Meerlunge vergleicht, daß nämlich
die geronnene See, durch die man weder zu Fuß noch zu Schiff hindurch
konnte, vielleicht eine jener ungeheuern Tangwiesen gewesen sei, die man
zwischen den Azoren, den kanarischen Inseln und den Cap Verden antrifft,
so hat dieselbe noch weniger für sich als die Quallenhypothese. Allerdings
wurde von Columbus, der jene Fucusbanken (das sogenannte Sargassomeer)
westlich von den Azoren durchschifft, dieses seltsame Naturspiel eine geronnene
Flüssigkeit genannt, und das stimmt zu der n^/or« S<^«rr« recht wohl.
Aber diese Tangmassen finden sich nur zwischen den zuletzt genannten Inseln
sowie weiter südwestlich bei den Bahamas und Bermuden in solcher Dichtheit.
Man trifft Tang in Menge auch an den Küsten der Hebriden, der Orkrkeys.
der Shetlands-Jnseln und der Färber, nirgends aber so wie dort im tiefen
Süden, nirgends in solcher Ansammlung, daß auch nur entfernt die Meinung
entstehen könnte, man vermöge mit Schiffen nicht hindurch zu kommen.

Nehmen wir nun um, unser Verfasser habe bewiesen, was er sich mit
der ol'er angeführten Einschränkung zu beweisen vorgenommen, so hätten


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[0033] Wir entgegnen hierauf, daß Eisberge nicht blos bisweilen, sondern fast all¬ jährig, durch die Sommerhitze von den Eismassen der Polarsee losgethaut und von Winden und Meeresströmungen fortgeführt, weit tiefer nach Süden, selbst bis über den 50. Grad hinabtreiben, und daß mithin die Annahme. Pytheas sei im Sommer auf Thule gewesen, die Wahrscheinlichkeit, daß er solche Eisberge gesehen, nicht vermindert, sondern wesentlich erhöht. Referent selbst war wäh¬ rend einer achtwöchentlichen Reise über das atlantische Meer in den ersten Wochen des Juli, wo sein Schiff sich zwischen den Hebriden und den Neu- foundlandsbanken befand, wiederholt in Gefahr, denselben, die sich durch dicke Nebel ankündigen, zu b«gegnen. und es ist bekannt, daß man den spur¬ losen Untergang mancher nach Amerika fahrenden Schiffe eben diesen nach Süden herabfluthenden. oft inselgroßen Eisbergen zuschreibt. Geht ihre Straße in der Regel nicht so weit östlich als die Shetlands-Jnseln, so ist kein Grad. die Möglichkeit auszuschließen, daß anhaltende Weststürme sie ge¬ legentlich bis dahin geführt haben. So möchten wir uns die Meerlunge des Pytheas weit eher als einen von'fluchenden Eisbrocken, Tangmassen, vielleicht auch Quallen sowie von dichtem Nebel umgebenen Eisberg denken. Der Reisende sah nur den Nebel, der weder Luft noch Wasser, und darunter den wogenden Brei von Eisbrocken, der weder Wasser noch Land, nicht zu be¬ treten und nicht zu befahren war. Ein ächter nordatlantischer Nebel, der sich fast mit der Hand greifen läßt, läßt sich, zumal wenn in ihm die Schatten von Wellen und Schollen hin und her wallen, sehr wohl mit einer Qualle oder Seelunge vergleichen. Was die dritte von Ziegler für möglich gehaltene Erklärung des Phü- nomens betrifft, welches Pytheas mit einer Meerlunge vergleicht, daß nämlich die geronnene See, durch die man weder zu Fuß noch zu Schiff hindurch konnte, vielleicht eine jener ungeheuern Tangwiesen gewesen sei, die man zwischen den Azoren, den kanarischen Inseln und den Cap Verden antrifft, so hat dieselbe noch weniger für sich als die Quallenhypothese. Allerdings wurde von Columbus, der jene Fucusbanken (das sogenannte Sargassomeer) westlich von den Azoren durchschifft, dieses seltsame Naturspiel eine geronnene Flüssigkeit genannt, und das stimmt zu der n^/or« S<^«rr« recht wohl. Aber diese Tangmassen finden sich nur zwischen den zuletzt genannten Inseln sowie weiter südwestlich bei den Bahamas und Bermuden in solcher Dichtheit. Man trifft Tang in Menge auch an den Küsten der Hebriden, der Orkrkeys. der Shetlands-Jnseln und der Färber, nirgends aber so wie dort im tiefen Süden, nirgends in solcher Ansammlung, daß auch nur entfernt die Meinung entstehen könnte, man vermöge mit Schiffen nicht hindurch zu kommen. Nehmen wir nun um, unser Verfasser habe bewiesen, was er sich mit der ol'er angeführten Einschränkung zu beweisen vorgenommen, so hätten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/33>, abgerufen am 25.08.2024.